SPÖ und ÖVP streiten und blockieren sich nur zu oft - ein Grund, warum wieder laut über ein Mehrheitswahlrecht nachgedacht wird. Was spricht dafür und was dagegen? Der Kritiker Heinz Mayer und der Befürworter Klaus Poier sind sich zumindest in einem Punkt einig: dass Österreich Veränderungen braucht.
Die endlosen Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP, aktuell zur Steuerreform, machen es deutlich: Die Große Koalition tut sich schon aufgrund ihrer festgefahrenen politischen Ideologien schwer, Reformen umzusetzen. "Es sind weit reichende Kompromisse notwendig, die dann meistens weder Fisch noch Fleisch sind", kritisiert Klaus Poier, Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität in Graz. "Reformen werden blockiert, was jahrzehntelang Kosten nachschleppt." Eine mögliche Lösung für den Konflikt wäre die Einführung eines Mehrheitswahlrechts.
Die Mehrheitswahl verfolgt das Ziel, eine parlamentarische Regierungsmehrheit für eine Partei herbeizuführen. Jene Partei, die am meisten Stimmen erhält, stellt dann auch die Regierung. Bekanntestes Beispiel sind wohl die USA: Es regieren entweder die Demokraten oder die Republikaner. Sie können ihre Legislaturperiode großteils selbstständig gestalten. Umgemünzt auf Österreich hieße das: Eine Partei kann fünf Jahre lang bestimmen, und die Bürger entscheiden bei den nächsten Wahlen, ob sie mit dem Kurs zufrieden sind oder nicht.
Das spricht für die Mehrheitswahl
Befürworter des Mehrheitswahlrechts weisen darauf hin, dass eindeutige Mehrheitsverhältnisse im Parlament die Regierungsbildung vereinfachen. "Wir sehen in Österreich und vielen anderen Ländern, dass es aufgrund der Pluralisierung der Parteienlandschaft immer schwieriger wird, stabile Regierungen zu bilden", erklärt Politikwissenschaftler Poier. "Das Parteienspektrum hat sich auseinander entwickelt und viele Parteien können nicht miteinander. So bleibt fast immer nur Rot-Schwarz als Regierungsform über." Bei einem Mehrheitswahlrecht hätten die Bürger die Chance, tatsächlich zu entscheiden, wer die Regierung bildet.
Eine Mehrheitswahl ist in unterschiedlichen Formen möglich. In einer extremen Variante regiert eine Partei alleine. Klaus Poier brachte vor 15 Jahren die Idee eines minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts auf. Damit hätten auch kleinere Parteien Überlebenschancen. "Mein Vorschlag lautet, dass die stärkste Partei zwar die Mehrheit bekommt aber nur mit der Hälfte der Mandate plus einem Mandat. Dann würde es nahe liegen, dass sich die Regierungspartei einen Partner sucht", sagt Poier. Auf Bundesebene würden sich im Gegensatz zur heutigen Situation völlig neue Alternativen auftun. So könnte es beispielsweise zu einer ÖVP-Neos-Koalition oder zu einer Koalition zwischen SPÖ und Grünen kommen.
Das spricht gegen die Mehrheitswahl
Kritiker befürchten, dass es durch ein Mehrheitswahlrecht zu einem Zweiparteiensystem kommen könnte. Zahlreiche gesellschaftliche und politische Gruppen wären nicht mehr im Parlament vertreten - und ihre Stimmen wären nach der Wahl verloren. Der Verfassungsjurist Heinz Mayer sieht noch einen weiteren Nachteil: "Beim Mehrheitswahlrecht kann es passieren, dass eine Minderheit über eine Mehrheit bestimmt. Erhält nämlich nur eine Partei die Mandatsmehrheit, wäre es möglich, dass ein Viertel der Wähler die restlichen Dreiviertel beherrscht".
Dem Argument, dass eine einzige bestimmende Partei politisch mehr bewegen könnte, entgegnet Mayer: "Wenn sie gestaltet. Sie kann aber auch relativ viel Unfug treiben. Ich wünsche mir nicht, dass eine der mittlerweile drei fast gleichstarken Parteien eine Legislaturperiode alleine herrschen kann. Ich sehe nicht, was da rauskommen soll". Der Verfassungsjurist war schon immer ein Gegner des Mehrheitswahlrechts, bezeichnet sich aber als "mittlerweile etwas geläutert" - vor allem, "weil die Kompromissfähigkeit unserer politischen Konstellation eine sehr geringe ist". Mayer schlägt vor, der stärksten Partei 49 Prozent der Mandate zu geben. Dann müsste sie sich einen Koalitionspartner suchen, und der könnte auch ein sehr kleiner sein.
Dass es tatsächlich zu einem Mehrheitswahlrecht kommt, glaubt Mayer nicht. "Dazu müssten beide Regierungsparteien mitspielen. Sie haben viel zu viel Angst, dass sie nach der Wahl weg wären. Ich glaube, sie haben sich mit dem jetzigen Zustand gut abgefunden, der ihnen ja weitgehend zusichert, dass sie in der nächsten Regierung vertreten sind. Die derzeitige Situation ist ganz schlecht, von der sollten wir loskommen. Wir müssen etwas überlegen, das ein besseres Spiel der Kräfte zulässt".
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