Abtrünnige, militärische Niederlagen und Kommunikationsschwierigkeiten: Der IS steckt offenbar in einer tiefen Krise. Einzig, die Terrormiliz selbst will davon nichts wissen. Und agitiert weiter gegen den Westen. Noch lauter, noch bedrohlicher, wie es scheint.
Mit der Drohung, westliche Ziele wie den Eiffelturm, das Weiße Haus oder den Big Ben angreifen zu wollen, macht die sunnitisch-fundamentalistische Terrormiliz in diesen Tagen wieder auf sich aufmerksam. Was auf den ersten Blick beängstigend klingt, schätzen Experten aber eher als neue Propaganda-Strategie ein.
"Große Terroranschläge bedürfen im Vorhinein einiger Planung", sagt Armin Staigis von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er glaubt, dass die dafür aufwendigen Vorbereitungen den hiesigen Sicherheitsdiensten rechtzeitig bekannt würden, um derartige Anschläge zu verhindern.
IS hat nach Innen ein großes Problem
Was auch gegen großangelegte Operationen spricht, sind die internen Querelen, mit denen die Dschihadisten um Anführer Abu Bakr al Baghdadi derzeit zu tun haben. Immer häufiger wird von Abtrünnigen und Machtkämpfen berichtet. So wurde unlängst nicht nur bekannt, dass einige Anhänger des IS die Gruppe verlassen haben. Auch ließ die Führung ihren größten Rechtsgelehrten, Richter Abu Jaafar al-Hattab, köpfen, weil er zu mächtig geworden war. "Das Wertefundament des IS", kommentiert Sicherheitsexperte Staigis, "ist nach außen und nach innen im Wesentlichen von Gewalt geprägt".
Militärische Einmischung ist keine Lösung
Militärische Niederlagen wie im Tauziehen um Kobane und zähe Kampfhandlungen in Tikrit setzen den IS zusätzliche unter Druck. Doch Staigis warnt vor voreiligen Schlüssen. "Ich würde sehr vorsichtig sein, Zerfallserscheinung oder gar das Ende des IS zu prognostizieren." Die Terrormiliz, ist sich Staigis sicher, wird nicht so schnell verschwinden. Allein das von ihr noch immer kontrollierte, großflächige Gebiet spreche dagegen.
Auch scheint der Westen kein Interesse daran zu haben, sich vor Ort verstärkt gegen den IS zu engagieren. Schon gar nicht mit Bodentruppen. Vielmehr werden seit dem Attentat auf Charlie Hebdo-Mitarbeiter nicht nur in Frankreich immer wieder Forderungen laut, die Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Land zu erhöhen anstatt sich militärisch in den Konflikt hineinziehen zu lassen.
Ob sich die westliche Zurückhaltung durch eine fehlende gemeinsame Strategie erklären lässt? Geht es nach Staigis, fehlt es an diplomatischen, humanitären und entwicklungspolitischen Instrumenten, etwa zur Unterstützung der liberalen Kräfte im Irak.
Gefahr geht von Einzeltätern aus
Und so kann der IS weiter nahezu unbehelligt machen, wofür er am meisten gefürchtet wird: neue Anhänger rekrutieren, weltweit. Statt auf eigenen Webseiten bewegt sich die Terrororganisation auf Facebook und auf anderen Plattformen – natürlich nicht ganz offen. In der Vergangenheit hat Facebook so manches verdächtige Konto gesperrt. Doch der IS agiert offenbar subtil genug, um sich in sozialen Netzwerken fortzubewegen.
Tamirace Fakhoury vom Hamburger GIGA Institut für Nahost-Studien erkennt in der breit gefächerten Vorgehensweise des IS eine ausgeklügelte Methode, um neue Sympathisanten zu gewinnen. Hinter den neu ausgerufenen Anschlagszielen vermutet Fakhoury den Versuch, die internationale Wahrnehmung irrezuleiten, um weniger vorhersehbar aufzutreten. "Außerdem sucht der IS nach neuen Zielen, um von den Herausforderungen, die die Erweiterung seines Territoriums mit sich bringt, abzulenken."
Welche Gefahr durch den IS für Israel ausgehen könnte, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Staigis ist aber überzeugt: "Der israelische Staat ist vorbildlich, was den Schutz seiner Bürger angeht. Die Gefahr dort sehe ich eher darin, dass mit einer Verschärfung des Konflikts der Raketenbeschuss aus dem Südlibanon oder Gaza auf das Land zunehmen könnte".
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