Für die CSU ist es der bisher fehlende Baustein hin zu einer "Asylwende", für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist es die Lösung eines schier unlösbaren Interessenkonflikts: eine Einigung im "Geist der Partnerschaft in der Europäischen Union" und trotzdem ein entscheidender Schritt, "um Sekundärmigration zu ordnen und zu steuern". Doch auch nach dem Kompromiss der Union im Asylstreit bleiben viele Fragen offen - und die beinhalten neues Konfliktpotenzial.
Im laufenden Jahr sind bis Mitte Juni 18.349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen worden, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac erfasst waren - also in einem anderen Land schon registriert wurden. Das berichtet die "Passauer Neuen Presse" unter Berufung auf das Innenministerium.
Es geht also nicht um besonders viele Fälle. Aber der CSU ging es im Asylstreit vor allem um ein Zeichen: Der Staat soll nach den Turbulenzen von 2015 zeigen, dass er an den Grenzen wieder die Kontrolle hat.
Kritiker nennen das "wahlkampfbedingte Symbolpolitik". Die CSU hingegen argumentiert, dass sich das Jahr 2015 nicht wiederholen dürfe - und es dafür neue Regelungen gerade an den Grenzen brauche.
So sieht der Kompromiss von CDU und CSU im Asylstreit aus
Wie die nun gefundene Regelung aussehen soll, welche offenen Fragen noch geklärt werden müssen - und wer jetzt eigentlich der Gewinner des Asylstreits ist: die wichtigsten Fragen und Antworten.
Transitzentren sollen geschaffen werden
An der deutsch-österreichischen Grenze - und ausschließlich dort - sollen Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise gehindert werden.
Das soll mithilfe von Transitzentren und der juristischen Konstruktion der "Fiktion der Nichteinreise" funktionieren.
In der für Einreisen maßgeblichen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz heißt es: "Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls, soweit an den EU-Außengrenzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann."
Heißt also: Kommt ein Flüchtling in ein Transitzentrum, ist die Person im juristischen Sinne nicht eingereist, auch wenn sie körperlich die Kontrollstationen passiert hat.
Verfahren wie am Flughafen
Die Formulierung erinnert an das Prozedere an Flughäfen. Es greift für Asylbewerber, die aus einem als sicher eingestuften Land mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen.
Im Flughafenverfahren ist "das Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen", wie es im Asylgesetz heißt. Der Anspruch auf ein Asylverfahren entsteht erst mit dem Aufenthalt in einem Land.
Auf diese Weise ermöglicht das Flughafenverfahren beschleunigte Entscheidungen und Zurückweisungen. So ähnlich soll es wohl in den Transitzentren laufen.
Das legt allerdings nahe, dass Migranten diese Sammelstellen auch nicht verlassen können, sondern dort interniert werden müssten.
Länder sollen Flüchtlinge zurücknehmen
Aus den Transitzentren sollen die Asylbewerber, bei denen nach einer Prüfung kein Bleiberecht festgestellt wird, direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden.
"Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen", heißt es in dem von der Union vorgelegten Papier.
Wenn Länder sich einer Rücknahme verweigern, soll "die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich" stattfinden.
Das heißt: Das Nachbarland soll all jene Migranten aus Ländern aufnehmen, die keine Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung aus Deutschland abschließen wollen.
So reagiert Österreich
Ein von der Union gewünschtes Abkommen zur Rücknahme muss erst noch mit Österreich ausgehandelt werden. Dafür ist Innenminister Seehofer zuständig und will deswegen schnellstmöglich nach Wien reisen, wie er am am Morgen angekündigt hat.
Doch die dortige Regierung hatte ihm in diesem Punkt zuvor bereits sprichwörtlich Grenzen aufgezeigt - und kündigte Maßnahmen zum Schutz seiner Südgrenze an.
"Die Einigung von CDU und CSU deutet darauf hin, dass Deutschland nationale Maßnahmen zur Bekämpfung der Migrationsströme setzen will", teilte die Regierung in Wien mit.
"Sollte diese Einigung so zur deutschen Regierungsposition werden, sehen wir uns dazu veranlasst, Handlungen zu setzen, um Nachteile für Österreich und seine Bevölkerung abzuwenden", heißt es weiter.
Ein Kompromiss, der viele Fragen offen lässt
Das ist nicht die einzige Frage, die nach der Einigung von Montagabend noch offen ist. So müssen einzelne Formulierungen noch inhaltlich ausgestaltet werden. Zudem muss auch die SPD dem Kompromiss noch zustimmen.
In welchem Fall sind andere Länder zuständig?
Die Formulierungen sind uneindeutig. "Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind", sollen an der Einreise gehindert werden, heißt es in dem Unionspapier.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) wollte eigentlich all jene zurückschicken, die in anderen EU-Staaten schon mit Fingerabdrücken registriert sind.
Eine reine Registrierung bedeutet aber nicht automatisch, dass dieses Land für das Asylverfahren auch zuständig ist.
So sieht die Dublin-Verordnung eine Zuständigkeitsprüfung vor. Dabei spielen auch andere Kriterien wie der Aufenthaltsort von Familienangehörigen eine große Rolle.
Wird die SPD dem Kompromissvorschlag zustimmen?
2015 lehnte die Partei in der damaligen großen Koalition Transitzentren eindeutig ab. Der SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach von "Haftzonen", das sei weder organisatorisch durchführbar noch rechtlich darstellbar.
Nun geht es aber nicht pauschal um ankommende Flüchtlinge, sondern um relativ wenige Fälle ohne eindeutige Bleibeperspektive. Deswegen kündigte Parteichefin Andrea Nahles eine eingehende Prüfung des Vorschlags an.
Die SPD hatte zuvor angeboten, dass in den diskutierten Fällen ein beschleunigtes Verfahren angewendet werden könnte. Wenn es so kommt, geht es um einen Aufenthalt von einer Woche in den Zentren.
Die Parteilinke dürfte den Vorschlag dennoch als inhuman ablehnen, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat dies bereits getan. Geschlossene Lager sind für ihn wie für viele andere Genossen ein Tabu.
Lehnt die SPD den Kompromiss ab, wäre die Alternative ein Koalitionsbruch - und damit eine Neuwahl. Es könnte der alte Willy-Brandt-Spruch bei der SPD zum Tragen kommen: "Erst das Land, dann die Partei."
Wer ist der Gewinner des Asylstreits?
Seehofer hat weniger herausgeholt, als er wollte - und zwar eine Zurückweisung direkt an der Grenze, auch wenn die Länder, wo der Asylbewerber bereits mit Fingerabdrücken registriert ist, diesen nicht zurücknehmen.
Hier hat sich Merkel voll und ganz durchgesetzt. Dafür wurde die juristische Konstruktion der "Fiktion einer Nichteinreise" betont.
Andererseits wäre es ohne den Druck aus Bayern wohl kaum zu der beim EU-Gipfel vereinbarten weiteren Verschärfung der europäischen Asylpolitik mit einem Maßnahmenpaket gegen die hohe Zahl an Mittelmeer-Flüchtlingen gekommen.
Das Gleiche gilt für die von Kanzlerin Merkel geplanten bilateralen Abkommen mit anderen europäischen Staaten zur Rücknahme von Migranten.
In diesen Punkten wird sich Seehofer als Gewinner darstellen - trotz der Rücknahme des angekündigten Rücktritts.
Ob das auch der Wähler so sieht, wird erst die bayerische Landtagswahl am 14. Oktober zeigen. Bis dahin wird sich auch zeigen, wie gut die Regelung in der Realität ist.
Wie wirkungsvoll ist der Kompromiss?
Die Wirkung ist tatsächlich fraglich. Denn es geht nur um die deutsch-österreichische Grenze - und dort wird aktuell nur an drei Stellen kontrolliert.
Zwar gibt es eine Schleierfahndung im Hinterland. Doch es ist schwer vorstellbar - auch rechtlich -, dass Menschen, die schon Kilometer von der Grenze entfernt auf deutscher Seite aufgegriffen werden, noch einmal zurück in die Transitzentren direkt an der Grenze kommen können - sie haben ja längst deutschen Boden betreten.
An den anderen Grenzen Deutschlands zu Nachbarländern soll sich zudem überhaupt nichts ändern.
Und zur Erinnerung: Es geht im laufenden Jahr um - Stand Juni - weniger als 20.000 Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind.
Die Mehrheit der Migranten, die nach Deutschland kommen, beantragen das erste Mal hier Asyl - von Januar bis April waren das laut UNHCR 55.000 Menschen.
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