Schon während der Koalitionsverhandlungen war klar, dass Schwarz-Blau einschneidende Verschärfungen im Asylrecht plant. Wie einschneidend - und realistisch - diese sind, schätzt Anny Knapp, Obfrau der österreichischen Asylkoordination, ein.
182 Seiten ist das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ stark. Es trägt den Titel "Zusammen. Für unser Österreich" (Download als PDF). Ein Punkt schlägt nicht nur national hohe Wellen: die Pläne für Flüchtlinge und Migration.
Es ist ein harter Kurs, der eingeschlagen wird. Von Abnahme des Bargelds, einem "Stopp der Zuwanderung in den Sozialstaat" und Abgabe der Handys ist in dem Programm die Rede. Integrationsbeauftrage und Asylhelfer reagieren schockiert.
Was ist konkret geplant? Und welche Punkte wird die Regierung tatsächlich so durchsetzen können?
Flüchtlinge sollen gesamtes Bargeld abgeben
Wer sich in Österreich um Asyl bewirbt, soll künftig bei Antragsstellung sein gesamtes Bargeld abgeben. Genutzt werden soll es für die Deckung der Grundversorgung.
In der Schweiz wird das bereits so gehandhabt. Für Anny Knapp, Obfrau der Asylkoordination Österreich, bedeutet das jedoch eine klare Beschneidung der Menschenrechte: "Hier greift das Eigentumsrecht."
Knapps Aussage nach ist eine solche Umsetzung nicht machbar, vor allen Dingen nicht automatisiert. "Vielleicht kann im Einzelfall ein Verfahren angestrebt werden."
Asylwerber sollen Handys bei Behörden abgeben
Dieser Punkt des schwarz-blauen Regierungsprogramms machte auch im Ausland Schlagzeilen: Migranten sollen ihre Handys abgeben.
Ziel ist eine Auslesung der Daten, um die Identität der Antragsteller auch anhand ihrer Social-Media-Profile feststellen zu können. Auch könne man so die angegebene Reiseroute besser verifizieren und Schlepper dingfest machen, wird argumentiert.
Laut Asylkoordinatorin Knapp wird dies schon länger vereinzelt praktiziert, vor allem bei Asylwerbern, deren Identität unklar ist. Hier könne das Handy Rückschlüsse geben.
Jedoch: "Eine automatisierte Auslesung wird verfassungsrechtlich nicht möglich sein", glaubt sie. Ohne konkreten Zweck könne datenschutzrechtlich kein Handy ausgelesen werden. "Leider wissen viele Flüchtlinge nicht, dass sie die Herausgabe auch erst einmal verweigern können."
Nur Sachleistungen für Geflüchtete ohne Anerkennung
Kein Geld für asylsuchende Flüchtlinge, sondern ausschließlich Sachleistungen: Auch das will die neue Regierung durchsetzen. Es soll von Behördenseite ein Bedarf bestimmt werden - ohne Möglichkeit, eine freie Entscheidung zu treffen.
"Ein bisschen Spielraum müsste hier definitiv bleiben", urteilt Knapp. Schließlich sei es ein Menschenrecht, frei zu entscheiden, was der Mensch individuell benötige. "Selbst in Gefängnissen bekommen Häftlinge einen geringen Geldbetrag, um ihren individuellen Bedarf an Zigaretten oder Schokolade zu decken."
Geldleistungen werden auf ein Minimum gekürzt
Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtige bekommen auch auf Basis des neuen Regierungsprogramms weiter Geld. Allerdings soll sich die Grundleistung künftig auf maximal 365 Euro belaufen.
Ein Integrationsbonus von 155 Euro ist zusätzlich möglich. Familien sollen nur mehr 1.500 Euro maximal erhalten.
Auch hier sieht Asylkoordinatorin Knapp Schwierigkeiten. Denn: Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht vor, dass bei anerkannten Flüchtlingen eine Gleichbehandlung mit Staatsbürgern greift.
Hilfsbedürftige Österreicher erhalten jedoch derzeit 840 Euro. Grundsätzlich werde jedoch diskutiert, den Betrag für alle Staatsbürger langfristig zu senken, erklärt Knapp. Eine Anpassung wäre dann auch für Asylberechtigte eine Möglichkeit.
Brückenklassen statt normaler Schule
Flüchtlingskinder sollen - geht es nach Schwarz-Blau - künftig in sogenannten "Brückenklassen" in ihren Unterkünften unterrichtet werden. Das mögliche Ziel: eine schnelle Integration zu vermeiden.
Wie die Umsetzung solcher Brückenklassen funktionieren soll, ist laut Knapp noch unklar. Viele Unterkünfte seien dezentral angesiedelt, die Quartiere oftmals zu klein für einen Unterricht sowie Lehrer Mangelware.
Weniger Integration bedeutet nach Ansicht der Asylexpertin auch schnellere Abschiebungen. Dass konsequenter abgeschoben werden soll, ist auch im Regierungsprogramm verankert.
"Die Gesellschaft sowie die Flüchtlinge gewinnen beide, wenn sie im Schulbereich aufeinander treffen", ist sich Knapp sicher. Empathie und Verständnis würden gefördert. "Doch das ist nicht gewollt."
Johann Gudenus, neuer FPÖ-Klubobmann im Parlament, hatte Anfang der Woche in einem ORF-Interview den Schritt verteidigt, Flüchtlinge künftig nur noch in Massenquartieren und nicht mehr privat unterzubringen - obwohl die privaten Unterkünfte deutlich weniger kosten.
Zudem merkte er, dass es der FPÖ auch bei anerkannten Flüchtlingen nicht um Integration gehe. Asyl solle nicht zu Integration führen, sagte Gudenus. Es sei ein Recht auf Schutz auf Zeit, keine Zuwanderung.
Krankheiten sollen offen gelegt werden
Unter dem Punkt Migration und Flüchtlinge steht im Regierungsprogramm auch, dass die ärztliche Verschwiegenheitspflicht eingeschränkt werden soll, wenn "Erkrankungen oder Einschränkungen" des Asylwerbers "grundversorgungsrelevant" sind.
"Ein Aussetzen der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht ist sicher nicht möglich", sagt Anny Knapp. Jedoch gilt schon jetzt, dass Migranten ihre ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen einreichen, um eine für sie angepasste Betreuung zu bekommen.
Bei temporären Erkrankungen wird immer wieder ein Arzt konsultiert, der die Situation individuell neu prüft, um auch die Grundversorgung neu zu beurteilen.
Insgesamt ist das Regierungsprogramm für die Asylhelferin ein Schock. "Die Botschaft und Maßnahmen sind klar: Kommt nicht nach Österreich", sagt Knapp. Viele der geplanten Regeln seien nicht genügend durchdacht und gesetzlich abgestimmt.
Trotzdem bangt sie. "Viele Flüchtlinge wissen gar nicht, welche Rechte sie haben. Aus Angst vor einer Abschiebung wehren sie sich oft nicht gegen Entscheidungen."
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