Kaum ein geplantes Vorhaben der Regierung spaltet so sehr wie die Notverordnung. Sie ist ein versuchter Spagat zwischen "Versorgungskapazität sichern" und "internationales Recht einhalten". Gefordert und konzipiert wurde sie von der ÖVP - sie will die Verordnung so schnell wie möglich aktivieren. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Schett sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Was ist der Plan?

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Generell soll die Asyl-Notverordnung regeln, was passiert, wenn die umstrittene Obergrenze überschritten wird. Anfang des Jahres einigten sich SPÖ und ÖVP auf ein Maximum von 37.500 Flüchtlingen für 2016, um kaum organisierbare Zustände wie im Jahr 2015 zu vermeiden.

Auch wenn es im Moment nicht danach aussieht, als würde diese Obergrenze heuer erreicht, will Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) vorsorgen: Asylanträge sollen nach der Notverordnung direkt an der Grenze gestellt werden, Flüchtlinge sollen zwei Wochen lang in Anhaltezentren festgehalten werden dürfen.

Wenn die Notverordnung noch vor 1. Jänner 2017 aktiviert wird, muss Österreich Asylanträge bis zum Jahresende gar nicht behandeln. Asylwerber könnten direkt in ein Anhaltezentrum gebracht werden und müssten warten. Es stünde ihnen jedoch frei, das Land zu verlassen.

Wie wird die Notverordnung begründet?

Wegen eines "Rückstaus" der Asylverfahren – angesichts der großen Zahl an ankommenden Flüchtlingen im Jahr 2015 durchaus ein Problem – sei das "Funktionieren der öffentlichen Einrichtungen" bereits jetzt bedroht, heißt es von Unterstützern.

Auch im Gesundheits- und Pflegebereich könnte es zu Engpässen kommen - unter anderem weil viele (vor allem minderjährige) Flüchtlinge psychologische Betreuung brauchen.

ÖVP-Politiker, die hinter der Verordnung stehen, verweisen immer wieder auf die bis zu einer Million Flüchtlinge, die in Libyen auf ihre Chance zur Weiterfahrt warten. Ein vergleichbarer Zustrom an Migranten wie im vergangnen Jahr könne das System der öffentlichen Versorgung und Unterbringung endgültig zum Zusammenbruch führen, argumentierte Innenminister Sobotka.

Zudem verweist das Innenministerium darauf, dass die Kriminalität von Fremden und der Anteil von Asylwerbern an dieser Kriminalität im vergangenen Jahr gestiegen sei. Die angespannte Stimmung in Unterbringungsstätten, ethnische Konflikte innerhalb der Flüchtlingsgruppen und Radikalisierungstendenzen von Flüchtlingen im Gefängnis unterstützten diesen Trend.

Wie reagiert die Opposition?

Alev Korun, die Menschenrechtssprecherin der Grünen, befürchtet eine Verlagerung des Problems auf andere Länder und einen "menschenrechtlichen und europarechtlichen Notzustand".

Die Neos kritisieren, die Notverordnung werde gar nicht gebraucht - die Regierung solle sich lieber um Integrationsfragen kümmern. Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak hält zudem ein Vertragsverletzungsverfahren vonseiten der EU-Kommission für realistisch.

Der FPÖ wiederum geht die Notverordnung nicht weit genug: Sie fordert einen kompletten Asylstopp und findet, die Verordnung täusche eine restriktive Asylpolitik lediglich vor.

Was heißt das jetzt?

Es wurden viele Argumente für die Notverordnung gesammelt und einige Übertreibungen eingebaut – auch, um zu verhindern, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die umstrittene Verordnung kippt.

Gleichzeitig lässt sich der Regierung schlecht vorwerfen, hier zu übertreiben – geltendes Vertragsrecht der EU, auch in Sachen Asyl, darf nur in einer "Notstandssituation" außer Kraft gesetzt werden.

Insofern ist es nur logisch, dass sich das Innenministerium Mühe gibt, diesen auch herbeizuschreiben. Ob die öffentliche Versorgung allerdings wirklich so bedroht ist, wie in der Notverordnung argumentiert wird, darf man bezweifeln.

Im Endeffekt ist die Notverordnung als weitere symbolpolitische Maßnahme zu sehen: Man will auf jeden Fall organisiert wirken und ja keine Flüchtlinge zur Reise verlocken. Außerdem will die Regierung ein Zeichen an die Rechten und Besorgten senden: "Auch wir wollen nicht zu viele Flüchtlinge."

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