Armin Laschet ist als nächster Bundesaußenminister im Gespräch. Im Interview spricht der CDU-Politiker über seine Ambitionen, die Lage in Syrien und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Ein Interview

Läuft sich da jemand für sein nächtes Amt warm? Armin Laschet (CDU) hat die noch amtierende Außenministerin Annalena Baerbock in den Libanon und nach Syrien begleitet. Jetzt ist er auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Aserbaidschan und Armenien unterwegs.

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Kein Wunder also, dass in Berlin gemunkelt wird: Der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen könnte in der nächsten Bundesregierung an die Spitze des Auswärtigen Amts treten. Als erster Außenminister mit CDU-Parteibuch seit mehr als 60 Jahren. Allerdings gibt es auch andere Kandidaten, etwa Johann Wadephul und Norbert Röttgen.

Im Gespräch mit unserer Redaktion hält sich Laschet bedeckt. Doch er hat viel zu sagen zu den Kriegen und Krisen auf der Welt.

Herr Laschet, man könnte meinen, Sie positionierten sich bereits für ein Amt im Kabinett von Friedrich Merz. Wollen Sie Außenminister werden?

Armin Laschet: Nein, das ist alles Spekulation. Die Spitzen der drei Parteien sind ja gerade im Gespräch, um die Dissenspunkte der Arbeitsgruppen zu klären. Die Frage, wer welches Ressort besetzen wird, entscheidet sich in den allerletzten Stunden und insofern ist das kein Thema.

Wir gehen jetzt einmal hypothetisch davon aus, Sie würden Außenminister. Was ist für Sie der Kern guter Außenpolitik?

Außenpolitik bedeutet meinem Verständnis nach, dass man mit schwierigsten Menschen und Ländern auf der Erde gemeinsame Lösungen finden muss. Sie hat nicht das Ziel, andere zu belehren, was sie zu tun haben. Man muss versuchen, deutsche und europäische Interessen, durchzusetzen, und dazu muss man mit jedem reden. Das wird in vielen Fällen nicht angenehm sein. Aber Probleme kann man nur lösen, wenn man redet. Außerdem bedeutet Außenpolitik nicht, innenpolitisch besonders markig zu bestimmten Themen aufzutreten. Manchmal bedeutet es auch, still Lösungen herbeizuführen. Denn man kann davon ausgehen, dass alles, was man im Inland sagt, auch im Ausland wahrgenommen wird.

Welche Rolle spielt Moral in der Außenpolitik?

Nun, wertegeleitet sollte Außenpolitik schon immer sein. Aber das macht man nicht, indem man moralisch überheblich alle belehrt. Sondern man muss verantwortungsethisch im Sinne Max Webers an guten Lösungen arbeiten. Wir haben zu viele Gesinnungs- und zu wenige Verantwortungsethiker.

Lassen Sie uns das an einem aktuellen Beispiel illustrieren. In der Türkei ist der Istanbuler Bürgermeister Imamoglu unter fadenscheinigen Begründungen abgesetzt worden. Wie sollte Deutschland damit umgehen?

Die Vorgänge rund um den Istanbuler Oberbürgermeister sind für die Demokratie in der Türkei nicht gut, und es gehen auch Menschen auf die Straßen. Aber andererseits wird man mit der Türkei zusammenarbeiten müssen. Ich nehme einmal das Beispiel Nato: Wenn wir wollen, dass wir den europäischen Teil der Nato stärken, um ohne die USA handlungsfähig zu sein, dann brauchen wir die Türkei als einen der größten Nato-Staaten in Europa. Das Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine hat auch die Türkei ausgehandelt. Das hat für große Teile Afrikas die Ernährung gesichert. Und unsere Migrationspolitik ist durch das EU-Türkei-Abkommen in eine neue Ordnung gekommen. Man kann also unter vier Augen respektvoll Kritik üben, erst recht, weil die Türkei immer noch EU-Beitrittskandidat ist.

"Das Ziel, die Hamas militärisch auszuschalten, ist richtig."

Armin Laschet

Demonstrationen sehen wir derzeit auch gegen die Hamas im Gaza-Streifen und in Israel gegen Benjamin Netanjahu. Der israelische Premier steht außenpolitisch für sein hartes Vorgehen im Gaza-Streifen in der Kritik, innenpolitisch versucht er sich an einer autokratischen Umgestaltung durch die Justizreform. Wie blicken Sie auf Israel und den Krieg mit der Hamas?

Israel ist eine Demokratie. Da gehört es dazu, dass Tausende Menschen gegen Netanjahu demonstrieren können, dass sie öffentlich die Freilassung der Geiseln fordern können. Sie haben in der israelischen Gesellschaft manchen Extremen, auch unter den Ministern, bis hin zu pazifistischen Linken auf der anderen Seite. Das Ziel, die Hamas militärisch auszuschalten, ist richtig. Ich war zuletzt auch in Syrien. Dort sieht man, dass der Iran und die Hisbollah massiv geschwächt sind. Auch im Libanon gibt es wieder Luft zum Atmen, nachdem die Hisbollah nicht mehr alles dominiert. Und dass nun in Gaza Menschen, die dort in großer Not leben, gegen die Hamas auf die Straße gehen, ist eine bemerkenswerte und positive Entwicklung.

Sie haben selbst Ihren Besuch im Libanon und in Syrien angesprochen. In Syrien herrscht nach dem Sturz des Diktators Assad jetzt der Interimspräsident Ahmed Al-Scharaa. Doch der ist ein schwieriger Partner.

In der Tat ist es so, dass er selbst Islamist ist und islamistische Rebellengruppen angeführt hat. Und die Kernfrage ist: Wohin will er dieses Land nun führen? Man arbeitet an einer Verfassung, und er ist mit der Zivilgesellschaft im Gespräch. Wohin das am Ende führt, ist natürlich noch offen. Assad selbst war ein brutaler Diktator. Aber Alewiten und Christen hatten dort ihren Raum zu leben. Und nun gibt es Racheakte an den Alewiten wie das Massaker in Latakia. Die Regierung distanziert sich davon, was positiv ist. Doch die Frage ist, ob die Übergangsregierung in der Lage und willens ist, die Minderheiten zu schützen.

Wie sollte die deutsche Politik mit den neuen Machthabern umgehen?

Deutschland und Europa können hier Einfluss ausüben. Wir unterstützen den Wiederaufbau, wenn Syrien einen Staat aufbaut, in dem Minderheiten geschützt leben können. Dazu haben die Gespräche gedient, bei denen ich auf Bitten unserer Fraktionsführung Außenministerin Baerbock begleitet habe. Sie wollte einen Teilnehmer aus der Partei der künftigen Regierung, um zu signalisieren, dass deutsche Politik Kontinuität ausstrahlt und die Bedingungen für Unterstützung gleich bleiben.

Armin Laschet und Annalena Baerbock vor kurzem im zerstörten Stadtteil Jobar in Syriens Hauptstadt Damaskus. © picture alliance/AA/photothek.de/Florian Gaertner

Eine große außenpolitische Herausforderung bleibt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sie selbst standen wegen Ihrer Haltung in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. Die Süddeutsche Zeitung hat Sie einmal als "Putin-Versteher" bezeichnet.

Ich habe in meinem ganzen Leben keine Russlandnähe gehabt. Ich bin im Kalten Krieg groß geworden und die Sowjetunion war immer klar die imperialistische Bedrohung, gegen die man sich die gesamte Jugend über gewandt hat. Insofern finde ich manche Beschreibung etwas eigenartig. Zur Politik gehört dazu, dass man mit der anderen Seite redet. Es wird immer gerne der Besuch von Sergej Lawrow beim Petersburger Dialog genannt, bei dem ich mit ihm natürlich als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen geredet habe, mitunter auch kritisch, aber natürlich intern.

Zur Gaspipeline Nord Stream 2 hatten Sie eine andere, weniger klare Meinung als etwa Ihr Parteifreund Norbert Röttgen.

Nord Stream 1 ist von Rot-Grün beschlossen worden, Nord Stream 2 ist unter Angela Merkel beschlossen worden. Allerdings ist durch Nord Stream 2 nie Gas geflossen. Der Grad der Abhängigkeit vom russischen Gas war insgesamt zu hoch und auch der Verkauf der Gasspeicher war ein Fehler. Als Oppositionspolitiker in Nordrhein-Westfalen vor 2017 war allerdings mein Einfluss auf das Zustandekommen dieser energiepolitischen Entscheidungen eher gering.

Die Politik hatte damals die Hoffnung, wirtschaftlicher Austausch könne den Frieden gewährleisten. War das naiv?

Wandel durch Handel, die Idee von Egon Bahr, war nie meine Position. Aber dass man, wenn Volkswirtschaften zum Vorteil beider Seiten verknüpft werden, stabilisierende Wirkung erwarten kann, ist richtig. Wir haben aber parallel vergessen, dass wir auch stark genug für den Fall einer militärischen Eskalation sein müssen. Wir haben jahrelang das Zwei-Prozent-Ziel der Nato vernachlässigt. Im Wahlkampf 2021 habe ich noch für das Zwei-Prozent-Ziel gekämpft, gegen SPD und Grüne. Wach geworden sind die erst beim russischen Einmarsch im Februar 2022.

Die neue US-Regierung will Sanktionen aufheben und ihre Beziehungen zu Russland normalisieren. Auch in Ihrer Partei haben sich der Abgeordnete Thomas Bareiß oder Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in diese Richtung geäußert. Wie sehen Sie das?

Es ist das komplett falsche Signal, jetzt über so etwas zu sprechen. Wir haben ein europäisches Sanktionssystem und daraus scheren wir nicht aus. Da ist unsere Haltung klar. Es gibt keinen Anlass, daran etwas zu ändern, solange der Krieg nicht beendet ist. Und auch dann sind noch viele Fragen offen: Wie sieht das Abkommen aus? Stimmt die Ukraine zu? Was ist mit Sicherheitsgarantien?

Wie sichern wir denn einen möglichen Frieden in der Ukraine? Keir Starmer und Emmanuel Macron gehen derzeit voran. Was müsste Deutschland machen?

Das kann man jetzt noch nicht sagen. Die Verhandlungen sind nicht abgeschlossen und es ist noch nicht absehbar, was Russland bereit ist, zu geben. Hier wird die fünfte oder sechste Frage vor der ersten beantwortet. Ich finde es gut, dass der britische und der französische Premierminister ihre Akzente setzen, aber für Deutschland lässt sich diese Frage noch nicht beantworten.

Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet von einer neuen Lagebewertung des Bundesnachrichtendienstes und der Bundeswehr: Russland sehe sich in einem Systemkonflikt mit dem Westen und sei bereit, seine imperialistischen Ziele über die Ukraine hinaus mit militärischer Gewalt umzusetzen. Wie muss man die Lösung des Ukraine-Kriegs also vor dem Hintergrund des imperialistischen Strebens Russlands beilegen?

Das ist eine andere Frage. Wir müssen uns für den Fall wappnen, dass Nato-Gebiet angegriffen werden könnte. Das hat zunächst nichts mit der Ukraine zu tun. Denn wenn diese Szenarien stimmen sollten – und man muss sich immer auf den "worst case" einstellen – dann müssen wir mehr für unsere Verteidigung tun. Und das nehmen sich die Bundesregierung und die Europäische Union vor.

Sicherheits- und Militärexperten halten zum Beispiel einen russischen Angriff auf die kleine estnische Stadt Narwa für möglich.

Sie stellen theoretische Szenarien auf. Jeder Quadratmeter Nato-Territorium wird geschützt durch Artikel 5. Jeder Quadratmeter. Und alles andere ist Spekulation.

Donald Trump hat aber schon in seiner ersten Amtszeit gesagt, er wolle nicht wegen Montenegro den Dritten Weltkrieg vom Zaun brechen. Damals ging es um den Nato-Beitritt des Balkanstaats. Die Frage ist also: Was kommt auf Europa zu, wenn die USA einem angegriffenen Nato-Staat nicht zur Hilfe kommen wollen?

Wir müssen uns vorbereiten. Aber das sind mir zu viele Wenn-Fragen. Donald Trump ändert seine Position jeden Tag. Wir müssen alles dafür tun, dass wir, wenn eine solche Situation eintritt, stark genug sind, um selbst zu handeln. Das haben wir über Jahre verschlafen und wir holen es jetzt nach.

"Donald Trump ist für die nächsten vier Jahre Präsident. Ich halte nichts davon, sich täglich über ihn lustig zu machen."

Armin Laschet

In der EU hofft man auf eine vermittelnde Rolle Italiens: Dessen Premierministerin Giorgia Meloni ist Verbündete der Ukraine, hat aber gute Kontakte zu Trump. Haben Sie auch gute Kontakte zu den US-Republikanern?

Ja, die gibt es. Natürlich haben wir zu Republikanern Kontakte, aber natürlich nicht so intensiv wie Meloni. Donald Trump ist für die nächsten vier Jahre Präsident. Ich halte nichts davon, sich täglich über ihn lustig zu machen. Wir müssen alles dafür tun, ihn zu überzeugen, dass auch die USA etwas von einem guten Verhältnis zu Europa haben. Dass auch die USA von freiem Handel profitieren. Solange es möglich ist, zu überzeugen, sollten wir es tun. Wir dürfen die Amerikaner nicht leichtfertig abschreiben.

Die USA haben ja auch vom Beistandsversprechen der Nato profitiert.

Genau. Ich weiß nicht, ob Donald Trump das so präsent hat. Aber die Europäer sind den Amerikanern nach dem Anschlag vom 11. September 2001 beigesprungen und europäische Soldaten sind in Afghanistan gestorben. Man sollte sich nach 70 Jahren Nato vor Augen führen, dass das der einzige Fall war.

Sie haben lange an der RTWH in Aachen unterrichtet, mittlerweile lehren Sie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Was bringt Ihnen die Lehre für die aktive Politik?

Das Interessante an der Politikwissenschaft und der Lehre über internationale Politik ist, dass man in größeren Zusammenhängen denkt und historische Aspekte miteinbezieht. Die Studierenden haben einen jeweils sehr eigenen politikwissenschaftlichen Ansatz, der nicht immer deckungsgleich mit der realen Politik ist. Aber um Grundzüge der internationalen Ordnung zu verstehen und historisch einzuordnen, ist es sehr hilfreich, sich immer wieder mal aus der praktischen Politik zurückzuziehen und sich der wissenschaftlichen Analyse zu widmen. Deshalb lehre ich sehr gerne Grundlagen der internationalen Politik.

Über den Gesprächspartner

  • Armin Laschet war unter anderem Mitglied des Europäischen Parlaments, der erste Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen sowie Ministerpräsident des Bundeslandes. Als Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der CDU führte er die Partei 2021 in den Bundestagswahlkampf, verlor allerdings gegen die SPD. Seitdem ist Laschet Mitglied des Bundestags.