Die Bühne des Gerichtssaals gehört am achten Prozesstag den Menschen, die der Halle-Attentäter töten wollte. Vier von ihnen schildern dem Gericht, wie sie den Anschlag erlebt haben, wie sie das Erlebte verarbeiten konnten - und was sie dem Angeklagten mitzuteilen haben.

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"Es hat nichts gebracht" - diese Botschaft haben Überlebende aus der Synagoge von Halle dem Angeklagten im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober mit auf den Weg zurück ins Hochsicherheitsgefängnis gegeben. Nach Angehörigen, Bekannten, Brandexperten und Waffengutachtern kamen am achten Tag erstmals vier der Menschen zu Wort, die der Angeklagte erklärtermaßen töten wollte.

Am Ende schaffte er es nicht einmal, sie vom Feiern ihres wichtigsten Feiertags abzuhalten. Man habe die Feier zwar unterbrochen, sagte ein Rabbi am Dienstag vor Gericht. Dann aber habe die Gemeinde die Gebete zu Jom Kippur zunächst in der Synagoge und dann im Krankenhaus, in das die Überlebenden gebracht wurden, zu Ende gesprochen. "Jüdisches Leben in Deutschland wird weitergehen, es wird wachsen und gedeihen und es ist mir ein Privileg, ein Teil davon zu sein", sagte er.

"Wir verstecken uns nicht"

"Wir haben keine Angst, wir verstecken uns nicht, wir sind laut und wir werden gehört", sagte er und bekam dafür viel Applaus von den Besuchern. Ein ungewöhnlicher Vorgang in deutschen Gerichten, doch die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens ließ die Besucher applaudieren, mehrmals.

Vor dem Oberlandesgericht Naumburg läuft seit dem 21. Juli der Prozess gegen den Sachsen-Anhalter Stephan Balliet. Die Verhandlung findet aus Platzgründen im Landgericht Magdeburg statt. Der 28 Jahre alte Angeklagte hatte zu Prozessbeginn eingeräumt, am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht zu haben, in der Synagoge von Halle ein Massaker anzurichten. Dort feierten zu dem Zeitpunkt 52 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Nachdem er nicht in die Synagoge gelangt war, erschoss der Mann eine vorbeikommende 40 Jahre alte Passantin und später einen 20-Jährigen in einem Dönerimbiss.

"Ich werde ihm nie vergeben"

Vor allem der Tod der 40-Jährigen und des 20-Jährigen mache ihr schwer zu schaffen, sagte eine Frau im Zeugenstand. "Ich komme einfach nicht drüber hinweg, dass zwei Menschen tot sind, weil ich es nicht bin", sagte die 30-Jährige. "Ich kann ihm verzeihen, dass er versucht hat mich zu töten, aber ich werde ihm nie vergeben, dass er an Stelle dessen zwei Menschen erschossen hat." Sie habe noch am Tag nach dem Anschlag Kontakt mit der Familie der Toten aufgenommen.

"Mir kam sofort der Gedanke, ich ziehe weg nach Israel, ich hasse dieses Land", sagte der Kantor der Gemeinde Halle, der den Anschlag ebenfalls in der Synagoge überlebte. Das habe sich zwei Tage nach dem Anschlag geändert, als er kam, um Schabbat zu feiern. Vor der Synagoge hatten sich Hunderte Menschen versammelt, um ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde auszudrücken. "Das war wie Salbei auf meine Wunden." Dann wandte er sich an den Angeklagten.

"Es hat nichts gebracht"

"Ich will, dass du das weißt", sagte er. "Ich kam draußen auf die Straße und die ganze Straße war voll. Und sie haben Shalom gesungen, Frieden. Und sie haben gesagt, wir werden diesen Ort nicht verlassen, wir werde diese Menschen und diese Synagoge mit unserem Leben beschützen." Auch in den Tagen darauf habe ihn die Solidarität der Menschen tief berührt. Das sei das Deutschland gewesen, das er kenne. Seine Umzugspläne habe er daraufhin verworfen. "Und du, du musst den Rest deines Lebens damit leben, was du getan hast", sagte der 32-Jährige in Richtung des Angeklagten. "Es hat nichts gebracht." (mss/dpa)

Täter von Halle gesteht rechtsextremistisches Motiv

Der Todesschütze von Halle hat die Tat gestanden und auch ein rechtsextremistisches, antisemitisches Motiv bestätigt. Wie die dpa erfuhr, sagte der 27-Jährige beim Ermittlungsrichter des BGH ausführlich aus. © ProSiebenSat.1
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