Das Gezerre um die Bürgermeisterwahl in Istanbul wurde auch international beobachtet. Nun ist die Entscheidung gefallen - im Sinne von Präsident Erdogan. Das könnte schwerwiegende Folgen haben.
Mehr als einen Monat nach der Kommunalwahl in der Türkei hat die Wahlkommission die Abstimmung in Istanbul annulliert und eine Wiederholung angeordnet. Damit gab sie am Montag einem Antrag der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan statt, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Demnach sollen die Bürger am 23. Juni erneut wählen. Die Hohe Wahlkommission (YSK) gab zunächst keine offizielle Erklärung ab.
Der Politiker der größten Oppositionspartei CHP, Ekrem Imamoglu, hatte die Kommunalwahl in Istanbul am 31. März knapp vor Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim gewonnen. Erdogans AKP legte Beschwerde wegen angeblicher "Regelwidrigkeiten" ein. Die Wahlbehörde erkannte Imamoglus Sieg trotz zahlreicher Einsprüche der AKP im April an und erklärte ihn zum Bürgermeister. Allerdings wird ihm das Mandat nun wieder aberkannt, wie Recep Özel, AKP-Miglied der Wahlkommission, bestätigte.
Das wochenlange Gezerre um das Ergebnis in der größten Stadt der Türkei wurde auch international aufmerksam verfolgt. Die Entscheidung der Wahlkommission stieß nun auf scharfe Kritik, auch aus Deutschland.
Özel sagte, die Kommission habe zwei Beschwerden der AKP stattgegeben, und unter anderem festgestellt, dass zahlreiche Vorsitzende der Wahlräte und deren Mitglieder keine Beamten waren. Das verstößt nach einer Änderung des Wahlgesetzes vom vergangenen Jahr gegen die Vorschriften. Die AKP hatte damals trotz Einspruchs der Opposition durchgesetzt, dass nur noch Staatsbedienstete Vorsitzende der Wahlräte sein dürfen.
Gesichtsverlust für Erdogan
Noch-Bürgermeister Imamoglu kündigte eine Erklärung an. Er reagierte zunächst gelassen und teilte ein Video auf Twitter, dass ihn beim Fastenbrechen mit einer Familie in Istanbul zeigt und sagte: "Alles wird sehr gut meine Bürger, meine lieben Leute. Alles wird gut." CHP-Vizechef Onursal Adigüzel zeigte sich dagegen empört: "Gegen die AKP bei der Wahl anzutreten ist erlaubt, aber gewinnen ist verboten", schrieb er auf Twitter. "Dieses System, das den Willen des Volkes mit Füßen tritt und die Justiz ignoriert, ist weder demokratisch noch legitim. Das ist schlicht und einfach eine Diktatur." In mehreren Bezirken Istanbuls standen die Menschen an den Fenstern und schlugen auf Töpfe und Pfannen - eine Protestform, die sich während der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 etablierte hatte.
Istanbul wurde 25 Jahre lang von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert. Die Niederlage für die AKP war ein Gesichtsverlust für Erdogan, der selbst einst Bürgermeister von Istanbul war. Die Entscheidung der Wahlkommission könnte sich auch auf die ohnehin angeschlagene türkische Wirtschaft auswirken und zu einem weiteren Verfall der Lira führen. Die Türkei befindet sich seit Ende des Jahres in der Rezession. Die Inflation liegt konstant hoch bei rund 20 Prozent. Vor allem Lebensmittel werden immer teurer. Analysten sagen, die wirtschaftliche Lage habe zum schlechten Abschneiden der Regierungspartei in den Großstädten beigetragen.
Präsident und AKP-Chef Erdogan hatte am Samstag erneut deutlich gemacht, dass er die Abstimmung in Istanbul für unrechtmäßig hält. Es habe «Makel» und Korruption gegeben, sagte er. Diese zu "beseitigen", werde die Hohe Wahlkommission und die Nation erleichtern. Damit erhöhte er auch den Druck auf die Hohe Wahlkommission, dem Antrag auf Annullierung stattzugeben.
AKP verliert in Metropolen an Zuspruch
Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth reagierte empört auf die Entscheidung zur Neuwahl. "Die Entscheidung der Wahlkommission ist auch Ergebnis massivsten Drucks von ganz oben", sagte sie. Europarats-Präsident Thorbjorn Jagland teilte mit: "Die Entscheidung des Hohen Wahlrates hat das Potenzial, das Vertrauen der türkischen Wähler in die Wahlbehörden schwer zu beschädigen." Die notwendigen Voraussetzungen für freie und faire Wahlen müssten vor dem Wahltag überprüft werden und nicht danach.
Landesweit wurde Erdogans AKP bei der Kommunalwahl stärkste Partei. Allerdings verlor sie in Metropolen Zuspruch. Vier der fünf größten Städte des Landes gingen an die Opposition. Nach Ansicht von Beobachtern des Europarats verlief die Kommunalwahl an sich zwar grundsätzlich geordnet, allerdings kritisierten sie die Umstände der Wahl wie mangelnde Meinungs- und Pressefreiheit. Ein Großteil der Medien wird direkt oder indirekt von der Regierung kontrolliert.
Rund 57 Millionen Türken waren am 31. März dazu aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 84 Prozent. © dpa
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