Die SPÖ Wien will sich von einem mutmaßlichen Salafisten trennen. Auch seinen Job als Integrationsbotschafter hat der 27-Jährige seit kurzem verloren. Die Konsequenzen kommen spät. Denn Warnungen gab es bereits vor Jahren.
Mit Journalisten spricht er nicht, zu seinen Anhängern schon. In einem YouTube-Video hat Amir S. am Wochenende Stellung bezogen. Die Vorwürfe gegen ihn nennt er "hetzerisch".
Wahr sei, dass er den Koran – das heilige Buch des Islams – liebe. "Aber ich habe nie Korane verteilt." Mit Salafismus habe er wenig am Hut, beteuert der 27-jährige Noch-SPÖ-Funktionär mit ägyptischen Wurzeln.
Vergangene Wochen waren die Wogen hochgegangen: Die FPÖ hatte den angeblich islamistischen Hintergrund des einst vielversprechenden Jungpolitikers thematisiert.
Kandidat für die Wiener Gemeinderatswahlen
Bei den Wiener Gemeinderatswahlen 2015 trat Amir S. als Nachwuchskandidat für die regierenden Sozialdemokraten an. Plakate zeigten ihn gemeinsam mit Peko Baxant, dem Geschäftsführer des roten Wirtschaftsverbandes. Ein junger Mann mit Anzug und glattrasiertem Gesicht. Zum Einzug in den Gemeinderat reichte es nicht, aber er bekam immerhin 300 Vorzugsstimmen.
Nun ziert ein wuscheliger Kinnbart sein Gesicht. Internetvideos zeigen ihn auf belebten Straßen bei der Da'wa, der islamischen Missionierung. Seit 1. Jänner ist der 27-Jährige Generalsekretär von "Iman", einer Organisation junger Muslime, die offensiv für den Übertritt in den Islam wirbt. "Ist das Leben nur ein Spiel?", lautet das Motto der Organisation. Gemeint ist das Leben ohne Islam.
Verein ist dem Verfassungsschutz bekannt
S. hat nichts Verbotenes getan. Aber sein Verhalten irritiert und passt nicht zu einem Politiker. Der Verein "Iman" wird zwar nicht, wie in manchen Medienberichten behauptet, vom Verfassungsschutz observiert. "Aber er ist uns bekannt", sagt der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, auf Anfrage unserer Redaktion.
Die Grenze zwischen friedlichem Werben für einen Übertritt zum muslimischen Glauben und politischem Islam ist fließend. Die SPÖ will jedenfalls nichts mehr mit dem einstigen Jungpolitiker zu tun haben.
Sie wünsche sich, dass S. die Partei freiwillig verlasse, sagte SPÖ-Landesparteisekretärin Sybille Straubinger zum "Kurier". Und Peko Baxant, der einst mit S. gemeinsam von Plakaten lächelte, stellt auf Facebook klar: "Sollte er nicht selber die Partei verlassen, spreche ich mich für ein Parteiausschlussverfahren aus."
Zusammenarbeit mit Außenministerium
Aber wie konnte es so weit kommen? Fest steht, dass nicht nur die SPÖ Wien einst von dem jungen Mann angetan war. Der Muslim mit ägyptischen Wurzeln war ab 2014 auch Integrationsbotschafter im Dienste des Außenministeriums.
Damit galt er als Aushängeschild der migrantischen Community: Gemeinsam mit 350 anderen Botschaftern machte er Schulbesuche, um zu zeigen, wie das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen funktionieren kann.
Dieses Ehrenamt habe S. bereits im November 2016 verloren, bestätigt der Sprecher von Außenminister Sebastian Kurz, Gerald Fleischmann, auf Anfrage unserer Redaktion. "Er hat sich bei einem Schulbesuch geweigert, einer Frau die Hand zu geben."
Das habe ihn als religiösen Heißsporn verraten, der mit der Gleichberechtigung der Geschlechter ein Problem habe. S. habe sich, mutmaßt Fleischmann, im Laufe der Zeit radikalisiert. "Natürlich werden Integrationsbotschafter vorher gescreent."
Hinweise schon 2015
Warnende Stimmen gab es nicht erst jetzt. So hatte etwa der einstige Grüne Bundesrat Efgani Dönmez im Herbst 2015 – kurz vor der Gemeinderatswahl – auf die problematische Geisteshaltung des SPÖ-Kandidaten aufmerksam gemacht.
S. hatte damals auf Twitter die alavitische Glaubensgemeinschaft attackiert. Dönmez forderte die SPÖ in einem offenen Brief auf: "Stoppen Sie diese Frechheit. Ein SPÖ-Kandidat für den Gemeinderat darf solche Aussagen nicht tätigen."
Die Kritik des damaligen Bundesrates verhallte. Weder die SPÖ Wien noch das Integrationsministeriums sahen damals einen Grund zum Einschreiten.
SPÖ-Funktionär: "Oft schaut man nicht genau hin"
Heute sieht sich Dönmez bestätigt. Der Fall S. sei kein Einzelfall, sagt er. Sowohl SPÖ als auch ÖVP hätten immer wieder Probleme mit islamischen Eiferern in ihren Reihen. "Leute aus dem islamistischen Umfeld docken immer wieder bei den beiden Großparteien an."
Oft seien es Funktionäre mit einem Naheverhältnis zur türkischen Regierungspartei AKP oder der Muslimbrüderschaft, die unter dem Deckmantel des politischen Engagements bei Rot oder Schwarz ihre eigene Agenda verfolgten.
Das bestätigt auch ein SPÖ-Funktionär, der ungenannt bleiben will. Vor allem in Wien könne es sich kaum eine Partei leisten, auf die Stimmen der Einwanderer-Community zu verzichten. "Man sucht sich Multiplikatoren, die gut vernetzt sind. Und dabei schaut man oft nicht so genau hin."
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