- Im Rheinischen Braunkohlerevier spitzt sich der Konflikt um Lützerath zu.
- In den kommenden Tagen könnte die Polizei das von Klimaaktivistinnen und -aktivisten besetzte Dorf räumen.
- Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Aktivistin Kathrin Henneberger beobachtet die Situation.
- Im Interview mit unserer Redaktion erklärt sie, welche Rolle Lützerath für die Klimabewegung spielt – und was sie von der Polizei und den Aktivisten vor Ort erwartet.
Frau Henneberger, die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner haben Lützerath bereits verlassen. Warum hält die Klimaschutzbewegung trotzdem hartnäckig an diesem Dorf fest?
Kathrin Henneberger: Die Klimakrise ist jetzt schon grausame Realität. Das merken wir hier bei uns mit stärkeren Wetterextremen, aber vor allem im globalen Süden, wo Dürren oder Wirbelstürme Menschen Existenzen rauben. Da ist es legitim, wenn wir einfordern, dass Klimaschutzmaßnahmen immer weiter verschärft werden. Der Kohlekonzern RWE kann mit der Verfeuerung von Braunkohle sehr hohe Gewinne erzielen, obwohl das die Klimakrise enorm vorantreibt. Das ist eine absurde Situation. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen weiter für einen schnelleren Kohleausstieg streiten. Das kristallisiert sich gerade hier in Lützerath heraus.
Allerdings ist das Ende von Lützerath Teil eines Kompromisses der Politik mit dem Energiekonzern RWE: Die Kohle unter Lützerath darf noch abgebaggert werden – im Gegenzug wird der Kohleausstieg im Rheinischen Revier aber um acht Jahre auf 2030 vorgezogen. Warum lehnen Sie diesen Kompromiss ab?
Es ist auf jeden Fall gut, dass der Kohleausstieg vorgezogen wird. Das reicht aber nicht. Die Kohle unter Lützerath liegt so tief, dass sie gar nicht sofort greifbar sein wird. Deswegen kann RWE langfristig auf sie zugreifen. Die Flöze unter Lützerath ist mit 50 bis 55 Metern außerdem viel dicker als in der Umgebung. Deswegen drängt RWE so sehr darauf, auch noch Lützerath zu zerstören. Langfristig werden wir diese Kohle aber gar nicht brauchen, wenn wir die Erneuerbaren Energien jetzt massiv ausbauen. Wir dürfen diese Kohle nicht verfeuern, weil wir damit unsere Klimaziele gefährden.
Politik funktioniert doch nur, wenn man einen Interessenausgleich findet. Und das geht nun einmal nicht ohne Kompromisse.
Politik ist nie endgültig. Politiker:innen müssen immer wieder überprüfen, ob Gesetze noch für die jetzige Zeit oder die Zukunft angemessen sind. Der Bundestag hat vor Weihnachten das Kohlegesetz geändert. Dort steht jetzt: Wenn droht, dass die Klimaschutzziele nicht erreicht werden, müssen Maßnahmen vorgelegt werden.
Dann müssten Sie auch in einem Konflikt mit Ihrer eigenen Partei, den Grünen, stehen. Schließlich haben die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Lützerath-Kompromiss mit RWE ausgehandelt.
Unser gemeinsames Ziel ist es, die Klimaziele einzuhalten und eine klimagerechte Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Es ist Inbegriff der Grünen, dass wir unterschiedliche Wege gehen. Diese Vielfalt brauchen wir. Ich würde eher sagen, dass wir uns gut ergänzen.
Sie sind nicht nur Klimaaktivistin, sondern seit 2021 auch Bundestagsabgeordnete. Was sehen Sie als Ihre Aufgabe in Lützerath?
In einem Parlament sollten unterschiedliche Perspektiven und Bevölkerungsgruppen präsent sein. Deswegen ist es sehr wichtig, dass auch eine Klimaaktivistin im Bundestag vertreten ist. Ich bin hier in Lützerath als parlamentarische Beobachtung, bin ansprechbar für verschiedene Gruppen und vermittle bei Problemen. Bei einem Großeinsatz der Polizei, wie er jetzt hier stattfindet, brauchen wir danach auch eine parlamentarische Aufarbeitung.
Kathrin Henneberger: "Presse muss in Lützerath uneingeschränkten Zugang erhalten"
Vom Dienstag an dürfte die Politik das von den Aktivistinnen und Aktivisten besetzte Dorf räumen. Was erwarten Sie von der Polizei?
Eine ehrliche Kommunikation.
Was meinen Sie damit?
Dass die Polizei genau sagt, was sie vorhat. Wenn wir etwas aushandeln, muss sie sich daran handeln.
Im September 2018 haben Einsatzkräfte der Polizei die Baumhäuser im Hambacher Forst geräumt. Damals kam der Blogger und Filmemacher Steffen M. ums Leben, als er in die Tiefe stürzte. Wie gefährlich könnte es in diesem Jahr werden?
Steffen ist auf die Bäume geklettert, um das Geschehen zu dokumentieren. Als er über eine Hängebrücke von einem Baumhaus zum anderen ging, kam es zu dem tragischen Unfall. Für den Einsatz in Lützerath ist es deswegen so wichtig, dass die Presse uneingeschränkten Zugang erhält, damit es nicht mehr zu so einer Situation kommt.
Und die andere Seite: Was ist Ihre Botschaft an die Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort?
Dass sie gut auf sich und aufeinander achtgeben.
Am Sonntag gab es Berichte von Steinwürfen auf Polizisten. In den Tagen zuvor hatten Aktivistinnen und Aktivisten schon Autoreifen in Brand gesteckt. Solche Bilder dürften dem Rückhalt der Klimabewegung in der breiten Bevölkerung eher schaden als nützen.
Ich habe hier noch keine Militanz selber beobachtet. Solche Bilder gab es beim Hambacher Forst auch. Und am Ende standen dort trotzdem 50.000 Menschen, die gesagt haben: Der Wald muss stehen bleiben.
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