In Spanien haben extreme Regenfälle ein "Jahrhundert-Unwetter" ausgelöst, bei dem über 150 Menschen ums Leben gekommen sind. Bilder von schwimmenden Autos, blockierten Autobahnen und enormen Zerstörungen gingen um die Welt. Wäre das vermeidbar gewesen? Ein Meteorologe gibt eine eindeutige Antwort.
Wetter-Experte
Dominik Jung: Im Nachhinein ist das immer schwierig zu beurteilen. Die Behörden in Spanien haben seit Tagen im Vorfeld gewarnt, die höchsten Warnstufen ausgerufen und die üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Auch im Vorfeld der Ahrtalflut hatten Meteorologen sehr ausführlich gewarnt. Dass es in dem extremen Ausmaß passiert – mit einstürzenden Häusern, vielen Toten und Evakuierungen – war damals auch nicht erwartet worden. Vermutlich hätten nur groß angelegte Evakuierungen im Vorfeld Tote verhindern können.
Es ist also noch schlimmer gekommen, als die Meteorologen erwartet haben?
Ja, es ist am Ende deutlich mehr Regen runtergekommen, als man in der Prognose gesehen hat. Einige Wetterstationen haben unglaubliche Mengen gemessen, von teilweise über 400 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb von 24 Stunden. Zum Vergleich: In Berlin regnet es knapp 600 Liter im ganzen Jahr. Diese Wassermassen sind für die Region sehr ungewöhnlich.
Warum haben die Meteorologen das im Vorfeld nicht gesehen?
Die Meteorologen haben vor starken Regenfällen gewarnt und die vorhersagten Regenmengen ausgegeben. Damit müssen dann die nächsten Verantwortlichen weiterarbeiten. Ein Meteorologe kann nicht wissen, wie sich das auf einzelne Regionen und auf Pegel und so weiter auswirkt. Das ist nicht seine Aufgabe.
Die Suche nach den Schuldigen hat bereits begonnen
Wessen Aufgabe ist es dann?
Dazu gibt es Behörden und Ämter, die die Daten der Meteorologen mit ihren Modellen weiterverarbeiten und entsprechende Maßnahmen greifen. In Deutschland sind das zum Beispiel die Ämter für Hochwasser, Wasser- und Schifffahrt. Die Meteorologen haben Regenmengen bis 200 bzw. 250 Liter angegeben, regional ganz eng begrenzt waren es dann nochmal deutlich höhere Mengen. Solch kleinräumige Ereignisse sind von Wettermodellen aber nur schwer zu erfassen.
Wenn die prognostizierten Mengen im Grunde passten, hätten die Behörden dann nicht noch dringlicher warnen müssen?
Selbst, wenn man noch deutlicher im Vorfeld gewarnt hätte, hätten die Leute vermutlich gesagt: "Moment mal, das gibt es doch jedes Jahr, solche Überflutungen." Da kommt ein gewisser Abnutzungseffekt zum Tragen. Extremwetter-Ereignisse sind in Spanien nichts Neues, das Ausmaß der Wassermassen war diesmal allerdings wirklich sehr heftig. Wir hatten im Vorfeld ein sehr warmes Mittelmeer, wodurch viel Feuchtigkeit zur Verfügung stand.
Wer trägt die Schuld an dem Ausmaß der Ereignisse?
Wir Meteorologen können nur vor dem warnen, was in den nächsten Stunden und Tagen passiert. Wir können abschätzen, wie viel Regen vom Himmel kommt, mehr nicht. Für die Prognosen an den konkreten Orten sind Hydrologen und Hochwasserzentralen zuständig. Sie bekommen die Daten der Meteorologen und müssen damit weiterarbeiten. Von dort werden Warnungen an Behörden weitergegeben, die dann die Bürger per SMS warnen.
Und als der Regen runterkam, war es schon zu spät?
Da hatten wir innerhalb von zwei, maximal drei Stunden eine Flutwelle. Die kam selbst an Orten an, an denen es gar nicht viel regnet hat. Die wurden über die abwasserführenden Kanäle erreicht, die aus den Bergen kommen. Dort hat sich der Regen gestaut. Die Frage lautet: Was hätte das verhindern können? Hätte man tausende Menschen evakuieren sollen? Was kann man tun, wenn einem das Haus wegschwimmt? Kein Haus hält so einer Wucht stand.
Werden wir solche Ereignisse in Zukunft häufiger sehen?
Auf jeden Fall. Der Klimawandel schreitet voran aufgrund der globalen Erwärmung. Je wärmer die Ozeane werden, umso mehr Wasser verdunstet. So gelangt mehr Wasser und Feuchtigkeit in die Atmosphäre. Die extremen Wetterereignisse werden immer heftiger werden. Wir werden nicht drumherum kommen, bessere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Was bedeutet das konkret?
Es kann nicht sein, dass man etwa im Ahrtal wieder anfängt zu bauen, wo das Hochwasser war. Da müssen ehemalige Baugebiete als Nicht-Baugebiete ausgewiesen werden. Es müssen bauliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz geprüft werden, etwa breitere Abflusskanäle, Talsperren. Und wir müssen verstehen: Irgendwo ist dem Menschen durch die Natur eine Grenze gesetzt. Da sind wir einfach der Natur ausgeliefert und können sie nicht beherrschen.
Muss die Bevölkerung anders sensibilisiert werden?
Ja, man muss auf das Schlimmste vorbereitet sein und eine Dokumentenmappe parat haben, ob online oder im Schließfach hinterlegt. Jedem Hausbesitzer ist zu einer Elementarversicherung zu raten – selbst, wenn er gar nicht am Wasser wohnt. Das wird allerdings auch zu horrend steigenden Policen führen, insbesondere in den bereits gefährdeten Regionen.
Über den Gesprächspartner
- Dominik Jung ist seit 20 Jahren Diplom-Meteorologe und Klimaexperte. Er ist Geschäftsführer beim Wetterdienst Q.met GmbH.
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