Zwei Mitglieder des Neonazi-Netzwerks "Objekt 21" haben kürzlich unbedingte Haftstrafen ausgefasst - es handelt sich um Zusatzstrafen zu früheren Verurteilungen nach dem NS-Verbotsgesetz. Die Schuldsprüche sind noch nicht rechtskräftig. Der ehemalige Grünen-Politiker und heutige Anti-Neonazi-Aktivist Karl Öllinger erklärt im Interview, wie die Urteile einzuschätzen sind und wie sich die österreichische Neonazi-Szene in den vergangenen Jahren verändert hat.
Herr Öllinger, die zwei mutmaßlichen Anführer der Gruppe "Objekt 21" wurden erneut zu - noch nicht rechtskräftigen - Haftstrafen verurteilt. Finden Sie die Strafen bezüglich Rechtsextremismus in Österreich generell angemessen?
Karl Öllinger: Für Personen, die beispielsweise "Heil Hitler" gerufen haben oder mit Naziabzeichen herumgelaufen sind, wurden häufig bedingte Strafen ausgesprochen, was für mich der richtige Schuss vor den Bug war. Es ist gut, wenn die Justiz sagt, der Betroffene bekommt noch einmal eine Chance und soll auf sich aufpassen. Aber bei den Hardcore-Neonazis, wie bei Gottfried Küssel, versagt das Justizsystem offensichtlich komplett. Er hat schon mehrere Strafen ausgefasst und fühlt sich darin nur bestärkt.
Auch einer der beiden "Objekt 21"-Anführer ist schon mehrfach wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt worden und saß schon im Gefängnis. Man hat den Eindruck, er hat die Haft benutzt, um seine Kontakte und seinen politischen Einflussbereich auszubauen. Er hat dort offensichtlich Gesinnungsfreunde gefunden.
Aktuell kommen wieder einige Jahre Gefängnis für ihn hinzu, aber ich glaube nicht, dass das etwas an seinen kriminellen oder politischen Absichten ändern wird. Es sieht so aus, als ob er vom Gefängnis aus agieren kann. Ein Belastungszeuge hat sich vor zwei Tagen beinahe an nichts mehr erinnern können. Das ist eindeutig darauf zurückzuführen, dass auch aus dem Gefängnis heraus Drohungen ausgesprochen wurden.
Wie hat sich die österreichische Neonazi-Szene in den vergangenen fünf Jahren entwickelt?
Die strafrechtliche und polizeiliche Verfolgung haben dazu beigetragen, dass die rechtsextreme Szene ihre Idole und sogenannten Führerfiguren verloren hat und nun etwas orientierungslos ist, da diese im Gefängnis sitzen. Die Situation ist anders als vor ein paar Jahren, als rund um die Gruppe Alpen-Donau einigermaßen gefestigte Gruppierungen in einigen Bundesländern aktiv waren.
Die strafrechtliche Verfolgung und die Sensibilität der Justiz haben generell zugenommen. Es gab mehr Anklagen und Verurteilungen. Das sehr aggressive Auftreten der Alpen-Donau-Gruppe hat, glaube ich, dazu beigetragen, dass der öffentliche und mediale Druck auf die Behörden erhöht wurde. Zudem sind jüngere Staatsanwälte nachgerückt, die dazu beigetragen haben, dass mehr unternommen wird.
Aus welchen Motiven schließen sich Menschen der Neonazi-Szene an?
Das wichtigste Motiv junger Leute ist meiner Meinung nach das Gefühl der Bedeutungslosigkeit und des Nicht-gebraucht-Werdens. Das hängt mit der Arbeitsplatzsituation und Existenzängsten zusammen. Da bietet eine neonazistische Ideologie natürlich einen Ansatzpunkt, sich über andere zu stellen. Sie bekommen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, weil sie sich als Germanen und als sogenannte arische Rasse fühlen.
Es sind also soziale Motive, die zu politischen Ambitionen führen?
Richtig. Bemerkenswert und zugleich erschreckend ist auch noch, dass Rechtsextreme in ländlichen Gebieten eine relativ große Verbreitung haben. Dort, wo wenig Spezifisches für die Jugend passiert und es wenig öffentliche Räume für sie gibt. Wo sie nur das Wirtshaus als Alternative haben, um sich zu treffen, und wo ihnen fad ist und sie keine Zukunft sehen: Dort nistet sich eine rechtsextreme Ideologie sehr leicht ein.
Ist es schwierig, wieder aus der Neonazi-Szene auszusteigen?
Ich sehe das als sehr schwierig an. Zum einen gibt es den Druck der anderen Mitglieder. Man wird als Verräter gebrandmarkt oder zusammengeprügelt, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Ausstiegs besteht. Zum anderen gibt es wenig Anknüpfungspunkte, sich außerhalb eines bestimmten Freundeskreises wieder zu festigen und eine neue Existenz aufzubauen.
Kennen Sie Aussteiger persönlich?
Ja. Sie haben gesagt, dass es nicht einfach war. Es gibt Leute, die im Laufe ihrer rechtsextremen Politisierung auf einmal beginnen, Fragen zu stellen. Das hängt oft damit zusammen, dass sie Kinder bekommen. Dann denken sie darüber nach, was sie eigentlich momentan mit ihrem eigenen Kind machen. Dass es bestimmte Kleidung anziehen soll, dass es gewisse Dinge nachplappern soll.
Solche Erlebnisse, die diesen Menschen schon durch ihre eigenen Eltern selber widerfahren sind, stellen oft Schlüsselerlebnisse für einen Ausstieg dar. Es gibt beispielsweise auch die neue Freundin, die ihren Partner zum Ausstieg bewegen will.
Ist Ihnen aus der rechten Szene schon Gewalt angedroht worden?
Natürlich. Vor zwei, drei Jahren war das aber sicher viel massiver als momentan. Vielleicht hängt das mit meiner Krebserkrankung zusammen. Aber ich glaube, es passiert jedem, der öffentlich auftritt und sich gegen Rechtsextremismus, Neonazismus und Hassideologien wendet, dass er eine ordentliche Fuhre Hass ins Gesicht bekommt.
Haben Sie Angst vor den Drohungen empfunden?
Für mich persönlich war es eigentlich kein Problem, aber ich habe mich um meine Angehörigen gefürchtet.
Wie hoch schätzen Sie das Gewaltpotenzial der österreichischen Neonazi-Szene aktuell ein?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Nach meinem Dafürhalten verschiebt sich das Gefährdungspotenzial weg von organisierten Gruppen hin zu scheinbar einzelnen Personen. Der Norweger Anders Behring Breivik ist ein gutes Beispiel. Auch jener Österreicher, der exakt am selben Tag wie Breivik im oberösterreichischen Traun ein Massaker veranstalten wollte. Der 48-jährige Johann Neumüller erschoss mit einem Kleinkalibergewehr kaltblütig einen Rumänen und verletzte dessen Ehefrau und Sohn lebensgefährlich. Das Ganze wurde in den Medien als Nachbarschaftsstreit abgehandelt, wobei es angeblich um ein entwendetes Fahrrad gegangen sei.
Erst nach zwei Monaten, nachdem sich Neumüller in U-Haft erhängt hatte, kam ans Tageslicht, dass bei ihm umfangreiches rechtsextremes und fremdenfeindliches Material gefunden wurde. Er hat offensichtlich vorgehabt, mehrere Migranten zu ermorden, und hatte deren Partezettel schon vorbereitet. Mit seinem Tod ist das Interesse an seiner Person und der Vorgeschichte völlig abgestorben.
Ich habe auf der Website "stopptdierechten.at" versucht, alle rechtsextremen Gewalttaten der vergangenen zehn bis 20 Jahre zusammenzufassen. Da kommt schon einiges zusammen. Wenn man es systematisch angeht, waren es im letzten Jahrzehnt so gut wie immer Einzeltäter. Nachforschungen darüber, ob sie einmal in organisierte Strukturen eingebunden waren, haben nie stattgefunden. Man hat sich nicht intensiv angesehen, was dazu geführt hat, dass angeblich isolierte Einzelne so stark rassistisch und gewalttätig agiert haben. Das zieht sich zurück bis zu Franz Fuchs.
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