Ein Mann soll seinen Nachbarn tödliche Verletzungen zugefügt haben - doch die Mitglieder der Gemeinde Leonding in Oberösterreich, in der sich das Unglück ereignete, empfinden nicht Mitleid mit dem Opfer, sondern mit dem mutmaßlichen Täter. Das zeigte die ORF-Reportage "Thema" am Montagabend.

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Schwerpunkt der aktuellen ORF-Reportage "Thema" am Montagabend war ein Bericht über einen Nachbarschaftsstreit in Leonding, der damit endete, dass ein 41-jähriger Familienvater ein altes Ehepaar mutmaßlich mit einer Eisenstange erschlug.

Was passierte?

Am Samstag, den 13. Februar, soll der 41-jährige Ingenieur Roland H. in Leonding auf der Straße das Pensionistenehepaar Erich und Regina Z. (74 und 71) attackiert haben. Mit einer Eisenstange soll er auf sie eingeschlagen haben, die beiden erlagen wenig später im Krankenhaus ihren Verletzungen.

Roland H. befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Die Gemeinde empfindet Mitleid – aber das nicht mit den beiden Opfern, sondern mit dem Täter, der sich in jahrelangen Nachbarschaftsstreitigkeiten mit dem Ehepaar befand.

Was sagt das private Umfeld?

"Ich weiß überhaupt nicht mehr recht viel", sagt Ilse H., die Mutter von Roland. Sie erinnert sich, wie er und seine Familie über Jahre hinweg immer wieder von den Nachbarn über den Gartenzaun hinweg beschimpft wurden. "Da geht's, die Depperte", sollen die Pensionisten über Ilse selbst gesagt haben, als sie im Garten zu sehen war.

Die Nachbarn erinnern sich, wie das Ehepaar Z. wieder und wieder offizielle Klagen über die Familie H. einreichte. Es gab Anzeigen wegen einer aufgestellten Funkantenne, wegen Kindergeräuschen im Garten, wegen eines im Garten aufgestellten Treibstofffasses. Die Klagen gingen teilweise bis zum Verwaltungsgerichtshof – aber wurden schließlich allesamt abgewiesen, weil es bei Familie H. immer rechtens zuging.

Nachbarin Christine Stepanek kann Rolands Gewaltausbruch gar nicht nachvollziehen: Er sei "im Grunde genommen so ein ruhiger Mensch" und habe wahrscheinlich über die Jahre zu viel in sich hineingefressen. An das Ehepaar Z. erinnert sie sich eher skeptisch: Die hätten nur manchmal zurückgegrüßt und die Nachbarn bei Begegnungen auf der Straße teils auch einfach ignoriert.

Was sagen offizielle Stellen und Experten?

Roland H. sei ein "gebrochener Mann", erklärt sein Verteidiger Andreas Manhart. Er erzählt, wie Roland sich zuerst nach dem Wohlbefinden seiner beiden Kinder erkundigt habe. Es gelte jetzt, ein Gutachten einzuholen, um festzustellen, ob Roland H. bei der Tat zurechnungsfähig war oder nicht. Das wird sich noch einige Wochen hinziehen. Bei einer Verurteilung drohen H. zehn bis 20 Jahre Haft.

Zu Wort kommt auch der Bürgermeister der Gemeinde Rossatz-Arnsdorf, wo das Ehepaar Z. eine Ferienwohnung hatte. Auch er berichtet von Anzeigen und Beschimpfungen und meint vorsichtig, solche Leute hätten sie in der Gemeinde vorher nicht gekannt.

Rechtsanwalt Werner Tomanek erläutert, wie Nachbarschaftsstreitigkeiten oft so irrational wie Scheidungsprozesse werden – und dass es sehr schwierig sein kann, neben "Querulanten" zu leben, die sich aufregen, "wenn der Gartenzwerg schon in die falsche Richtung schaut".

Psychiaterin Dr. Sigrun Roßmanith erklärt, wie ein solcher Nachbarschaftsstreit eskalieren kann: "Eskalieren heißt, dass negative Gefühle einer langen Zeit vorher hochschnellen und sich explosionsartig entladen können, an einem harmlosen Auslöser. 'Einmal zuviel', könnte man sagen – wie ein Druckkochtopf."

Fazit des Berichts

So, wie die Gemeinde offenbar mit dem schikanierten Familienvater Roland H. Mitleid empfindet, schlagen sich auch die Macher der Reportage eher auf seine Seite: Viele Menschen erklären, wie garstig das getötete Ehepaar sich über all die Jahre hinweg verhalten habe, während nie versucht wird, deren Sicht potentiell zu beleuchten. Verpackt ist der Bericht in bedeutungsschwere Bilder, in denen zu düsterer Musik die beiden Häuser als trostlose Orte des Grauens gezeigt werden.

"Ich kann's einfach nicht glauben, aber ich bin ihm auch nicht böse", erklärt Mutter Ilse an einer Stelle. Man bekommt unweigerliche das Gefühl, die Macher der Reportage sehen das genauso.

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