Ein Wildschweinkopf und Schmähplakate führen zu einem Stalking-Prozess in Niederösterreich. Am Donnerstag wird das Verfahren in Korneuburg erneut vertagt. Es ist heuer nicht der erste Fall – wird Österreich etwa zum Land der Stalker?

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Es ist ein kurioser Fall, der am Donnerstag am Landesgericht Korneuburg weiter verhandelt worden ist: Ein 54-Jähriger Kremser soll einen ehemaligen Dorfbürgermeister und den Landesgerichtspräsidenten monatelang verfolgt und terrorisiert haben. Der Angeklagte Franz S. sieht sich dabei selbst als Opfer: Aus seiner Sicht hatte ihn die Gemeinde bei einem schon Jahre zurückliegenden Grundstückskauf betrogen.

Den Gerichtspräsidenten hatte der 54-Jährige wegen verlorener Prozesse im Visier. Mit hunderten selbstgemalten Plakaten und Handzetteln wollte F. auf seine Misere aufmerksam machen – und machte seine Anschuldigungen auch mit Hilfe eines Megafons öffentlich. Nachdem zuletzt gar ein abgetrennter Wildschweinkopf im Vorgarten des Gerichtspräsidenten landete, erstattete dieser Anzeige - allerdings nicht wegen Verleumdung, sondern wegen "beharrlicher Verfolgung", also Stalking.

Am Donnerstag ging es hauptsächlich um die Aktionen des Beschuldigten in der Gemeinde. Zu Wort kamen unter anderem Anrainer und auch Gemeindepolitiker, wie die "Niederösterreichischen Nachrichten" berichten. Die Verteidigung beantragte der Zeitung zufolge weitere Zeugen, über deren Ladung am Donnerstag noch nicht entschieden wurde. Am 5. Juni wird die Verhandlung fortgesetzt. Dann soll auch ein psychiatrisches Gutachten präsentiert werden.

Es ist nicht der erste Fall dieses Jahr: Im März war bekannt geworden, dass Dompfarrer Anton Faber von einem Stalker verfolgt wurde. Und in der Wiener U-Bahn U4 stellt ein bislang unbekannter Mann Frauen nach: Gefühlt nimmt Stalking in Österreich zu.

Stalking steht seit 2006 unter Strafe

Seit 2006 gibt es in Österreich den Straftatbestand des Stalking. Der Begriff kommt aus der Jagdsprache und bedeutet übersetzt soviel wie "sich anschleichen" oder "anpirschen". Er beschreibt eine dauerhafte Verfolgung, die das Opfer psychisch beeinträchtigt.

Diese Verfolgung reicht von häufigen Anrufen zu Hause oder am Arbeitsplatz über das Verschicken von zahllosen SMS oder E-Mails bis hin zu "Abpassen" auf der Straße, psychischen Belästigungen, Drohungen oder Gewalt. Mit dem "Anti-Stalking-Gesetz" gibt es seit acht Jahren die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten. Stalking wird hierzulande mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft.

Anders als die Fälle der vergangenen Monate vermuten lassen, sind zwei Drittel der Stalking-Opfer Frauen, wie aus einem Infoblatt der Autonomen Frauenhäuser hervorgeht. Rund 83 Prozent der Täter sind männlich. Etwa 24 Prozent aller Frauen und 10 Prozent aller Männer sind mindestens einmal im Leben von Verfolgung und Belästigung betroffen. Oft beginnt der Psychoterror nach einer Trennung oder Scheidung.

Die Einführung des Anti-Stalking-Gesetzes sei ein wichtiger Schritt gewesen, sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser, im Gespräch mit GMX.at. "Das Gesetz benennt Stalking als strafbar und zeigt den Frauen, dass sie sich trauen dürfen, Anzeige zu erstatten – und macht Stalking sichtbarer in der öffentlichen Wahrnehmung", urteilt sie.

Zahl der Fälle bleibt relativ konstant

Von einer Zunahme der Stalking-Fälle kann man nicht sprechen: Die Zahl der Anzeigen ist in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben. Laut der Kriminalstatistik des Innenministeriums gehen jährlich rund 2.500 Anzeigen wegen Stalking ein. 2012 waren es 2.442, im Jahr davor 2.584.

Allerdings kommt es Rösslhumer zufolge nur bei etwa zehn Prozent der Anzeigen auch tatsächlich zu Verurteilungen. Grund dafür ist demnach vor allem die Schwierigkeit, ausreichend Beweise zu sammeln, die vor Gericht Bestand haben. Rösslhumer rät deshalb allen Betroffenen, Hilfsangebote und Beratungsstellen aufzusuchen, bevor sie Anzeige erstatten.

Ein weiteres Problem sieht Rösslhumer in der mangelnden Sensibilisierung der Justiz für das Thema: "Gewaltopfer sind oft ambivalent in ihren Aussagen und haben große Angst vor dem Täter und weiterer Verfolgung." Verständnis dafür, wie es den Betroffenen gehe, sei deshalb sehr wichtig. Bei der Polizei seien solche Schulungen mittlerweile Teil der Ausbildung, bei Staatsanwälten und Juristen allerdings fehle es oft an Einfühlungsvermögen, sagt die Frauenhaus-Chefin.

Zumindest der Kremser Gerichtspräsident hat dieses Problem nicht: Ob es sich in seinem Fall tatsächlich um Stalking handelt, wird das Landesgericht nun nach einem psychiatrischen Gutachten und der Anhörung weiterer Zeugen feststellen.

Eine erste Adresse für Stalking-Opfer ist die österreichische Frauen-Helpline. Sie ist anonym und rund um die Uhr erreichbar unter 0800 222 555 oder via www.frauenhelpline.at.

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