Im Mai wurden über 30 tote Rinder auf einem Hof in Bayern entdeckt, qualvoll vernachlässigt und verendet. Schnell wurde klar: Vor der tierischen Tragödie soll eine menschliche gestanden haben – eine enorme psychische Überlastung. In der Branche fällt es schwer, darüber zu sprechen. Warum? Ein Experte erklärt, welches Missverständnis weit verbreitet ist.

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Der Fall hat weit über den Landkreis Rosenheim hinaus Schlagzeilen gemacht: Ein Landwirt aus dem bayerischen Rimsting soll seine Rinder so sehr vernachlässigt haben, dass am Ende 33 Tiere qualvoll starben. Die offizielle Ursachensuche dauert noch an, Bekannte des Landwirts haben sich aber bereits geäußert: Er soll psychisch überlastet gewesen sein. Von Überforderung und familiären Problemen ist die Rede.

Es wäre nicht der erste Fall, bei dem vor der tierischen Tragödie die menschliche steht. Laut einer Studie fühlt sich jeder fünfte Bauer psychisch nicht oder eher nicht gesund, knapp ein Drittel gibt an, von seiner Arbeit ausgebrannt zu sein. Landwirte gehören demnach zu den am häufigsten von Depressionen betroffenen Berufsgruppen.

Von einer Krise in die nächste

Die Ursachen für die seelischen Belastungen sind vielfältig: Viele berichten von einem enormen Druck durch Arbeitsbelastung, finanzielle Sorgen und mangelnder Wertschätzung in der Gesellschaft. Hinzu kommen Milch-, Schweine-, Güllekrise – und nun mitten in der Kostenkrise durch Preisanstiege bei Düngemitteln, Energieträgern, Treibstoff und Futter aufgrund des Ukraine-Krieges.

Kaum Pausen und kein Urlaub gehören für viele Landwirte zur Arbeitsrealität. Denn einen Hund kann man für zwei Wochen Urlaub vielleicht bei Bekannten unterbringen – 80 Kühe wohl kaum. Tägliches melken in der Nacht und den frühen Morgenstunden, füttern, 12-Stunden-Tage auf dem Feld gehen an die Substanz.

Image als Tierquäler und Umweltzerstörer

Wer zusätzlich Angehörige pflegt – gerade in ländlichen Gebieten lässt sich nicht immer auf Angebote wie Tagespflege zurückgreifen – trägt einen zusätzlichen Rucksack. Die Öffentlichkeit stärkt nicht gerade den Rücken, wenn vor allem konventionelle Bauern in den sozialen Medien als Tierquäler und Umweltzerstörer geschmäht werden. Für gesamtgesellschaftliche Themen wie Methanausstoß, Glyphosat, Klimawandel, Boden- und Luftverschmutzung fühlen sich Bauern oft zum Sündenbock gemacht.

Auch wenn Landwirte zum Klimawandel beitragen, sie sind ebenso direkt von ihm betroffen: Steigende Temperaturen, Regen, der sich in den Winter verschiebt und Dürreperioden im Sommer sowie Starkregenereignissen sorgen für Planungsunsicherheit. Teilweise verschieben sich Anbaugebiete und Ernte-Perioden, manche Pflanzen werden anfälliger für Krankheiten. Zukunftsängste sind häufig die Folge.

Betroffener: "Psychisch und physisch am Ende"

Die hatte auch Milchbauer Helmut Grillmeier aus der Oberpfalz. Er ist einer von jenen, die so überlastet waren, dass er irgendwann nicht mehr konnte: "Ich war Ende Dezember psychisch und physisch am Ende, zehn Kilogramm leichter, ich war nicht mehr in der Lage, mich selber zu versorgen", berichtet der 44-Jährige im Gespräch mit dem Sozialversicherer Landwirtschaft, Forsten und Gartenarbeit (SVLFG).

Grillmeier entwickelte eine Depression. Aus Sicht von Ulrich Hegerl, dem Vorsitzenden der Deutschen Depressionshilfe, können seelische Belastungen eine Depression zwar auslösen, doch es gehört mehr dazu: "Bauer sein verursacht keine Depressionen, auch, wenn es viele Belastungen gibt", stellt er klar. Jeder Mensch, der von einer Depression betroffen sei, fühle sich überfordert. "Auch ein Rentner", sagt Hegerl. Doch auch wenn keine therapiebedürftige Depression die Folge der Arbeitsbedingungen ist: Ungesund sind die Belastungen allemal.

"Aus Schleife nicht mehr rausgekommen"

Bauer Grillmeier berichtet: Er habe gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmt, aber nicht, was. Eigentlich sei er immer ein geselliger und lustiger Mensch gewesen. Musiker, Ausdauersportler, Familienvater. Doch irgendwann – schleichend sei das passiert – habe er keine Musik mehr gehört, keine Witze gemacht, nicht mehr mit den Kindern gespielt.

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"Mir hat mein Leben keinen Spaß mehr gemacht", sagt Grillmeier. Er sei antriebs- und kraftlos gewesen. "Ich bin aus der Schleife nicht mehr rausgekommen", so der Landwirt. Am Ende habe er sich nicht einmal mehr die Schuhe binden können, geschweige denn ackern können. Seine Körperpflege habe er vernachlässigt, Frau und Kinder hätten ihn nicht mehr erkannt.

Scham spielt eine Rolle

Grillmeier machte eine Psychotherapie, heute arbeitet er wieder mit Leidenschaft. Er stellt seine persönlichen Bedürfnisse nicht mehr hinten an und versucht nicht, es allen recht zu machen. Doch er sagt auch: "Ich habe mich damals so geschämt, dass irgendjemand erfährt, was mit mir los ist."

Offen über seelische Probleme wie Depressionen zu sprechen, ist in der Branche immer noch ein Problem. "In ländlichen Gegenden ist das Stigma psychischer Erkrankungen größer. Die Zeit, bis man sich professionelle Hilfe holt, ist vermutlich länger. Es ist auch schwieriger, Fachärzte in ländlichen Gegenden zu finden", sagt Hegerl.

In der Studie, die von "agrarheute“ veröffentlicht wurde, kam auch heraus: Landwirte fühlen sich oft missverstanden. Psychologin Maria Roth, die die Umfrage durchgeführt hatte, wird zitiert: "Ich habe oft den Eindruck, du musst aus der Landwirtschaft kommen, sonst denken die Landwirte 'keiner versteht, wie es mir geht'. Wenn man sich nicht verstanden fühlt, lässt man sich nicht helfen."

Nachfrage nach Hilfsangeboten wächst

Der SVLFG hat Angebote geschaffen, um den Zugang zu Hilfe zu erleichtern. So gibt es beispielsweise eine Krisenhotline, die rund um die Uhr, auch anonym, erreichbar ist. Haben Landwirte beispielsweise Sorge um ihren Betrieb, Stress am Arbeitsplatz oder Konflikte in der Familie, können sie sich melden.

Bei den vielen digitalen Angeboten entfallen lange Wartezeiten. Außerdem werde man auf dem Weg zum Therapeuten auch nicht gesehen, ergänzt Stefan Adelsberger, Sprecher der SVLFG. Die Nachfrage nach den Gesundheitsangeboten wachse stetig. "Ein Grund hierfür ist aber sicherlich auch, dass unsere Angebote immer bekannter werden", sagt Adelsberger.

"Neben diesen persönlichen Faktoren haben in den letzten Jahren auch Themen wie finanzielle Sorgen, Zukunftsängste, Wertschätzung und Imageproblematik in den Gesprächen zugenommen."

Stefan Adelsberger, Sprecher der SVLFG

An der Grenze der Belastbarkeit

Der häufigste Anrufgrund, warum sich Landwirte im Telezentrum melden, seien zwischenmenschliche Konflikte, die oftmals mit einer nicht gut gelaufenen Betriebsübergabe zu tun hätten. "Ganz häufig haben wir aber auch teils sehr junge Menschen am Telefon, die an der Grenze ihrer Belastbarkeit gelangt sind oder ihre Lebensfreude verloren haben", berichtet Adelsberger.

LSD-Pillen

Studie belegt Wirksamkeit von LSD gegen Depressionen

Schweizer Wissenschaftler bestätigen ein bereits seit Jahrzehnten vorliegendes Ergebnis aus der LSD-Forschung. Das Rauschmittel hilft, depressive Symptome zu lindern, ist jedoch vor allem als Freizeitdroge bekannt.

Aber auch Themen wie Trauer, Krankheit, Trennung und Scheidung seien wiederkehrende Anrufgründe. "Neben diesen persönlichen Faktoren haben in den letzten Jahren auch Themen wie finanzielle Sorgen, Zukunftsängste, Wertschätzung und Imageproblematik in den Gesprächen zugenommen", sagt Adelsberger.

Hilfe wird oft zu spät geholt

Auch nicht beeinflussbare Faktoren wie die immer enger werdenden rechtlichen Rahmenbedingungen und schwierige Marktbedingungen würden zu steigender Planungsunsicherheit führen. Gleichzeitig habe das Wetter einen entscheidenden Einfluss auf die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten. "Lang anhaltende Trockenzeiten führen immer wieder zu Ernte- und Produktionsausfällen", erinnert Adelsberger.

Auch beim SVLFG beobachtet man, dass viele Menschen sich zu spät Hilfe holen. "Gerade bei Männern ist dieses Problem noch ausgeprägter. Viele von ihnen befürchten, dass sie nach außen hin als schwach gelten oder belächelt werden könnten", sagt Adelsberger. Man versuche deshalb, psychische Erkrankungen durch Stimmen von Betroffenen zu enttabuisieren.

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Missverständnisse über Depressionen immer noch weit verbreitet

Noch immer herrschen reihenweise Missverständnisse, gerade über Depressionen. "Eines der größten Missverständnisse bei der Depression ist, dass man davon ausgeht, sie sei vor allem eine Reaktion auf äußere Lebensumstände", sagt Hegerl.

Die Annahme, dass etwa Schicksalsschläge, Stress und Überforderungen die Hauptursache für Depressionen seien, sei extrem verbreitet. "Das ist aber weniger der Fall als viele glauben, Depressionen sind ziemlich eigenständige Erkrankungen. Betroffene berichten auch, dass sich eine Depression ganz anders anfühlt als Situationen, in denen beispielsweise eine Beziehung in die Brüche ging oder man gekündigt wurde", erklärt der Experte. Er macht Hoffnung: Depressionen seien gut behandelbare Erkrankungen – von Psychiatern, psychologischen Psychotherapeuten und Hausärzten. Denn eins ist kranken, überlasteten und besorgten Landwirten gemeinsam: Sie wollen nicht mehr nur funktionieren, sondern wieder Leidenschaft für ihren Job verspüren.

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Zu den Personen: Prof. Ulrich Hegerl ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Er leitet er das Deutsche Bündnis gegen Depression und die European Alliance Against Depression. Hegerl setzt sich seit über 30 Jahren für die bessere Erforschung und Aufklärung über Depression und die Suizidprävention ein. Er hat die Senckenberg-Professur an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Goethe Universität Frankfurt inne.
Stefan Adelsberger ist Sprecher der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Der agrarsoziale Sozialversicherungsträger vereint die landwirtschaftliche Unfallversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Alterssicherung der Landwirte unter einem Dach.

Hier können Sie Hilfe finden:

  • Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf eine Depression oder Suizidgedanken ist der Hausarzt, Psychiater oder psychologischer Psychotherapeut
  • deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
  • Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de
  • Hilfe und Beratung bei den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter
  • fachlich moderiertes Online-Forum zum Erfahrungsaustausch www.diskussionsforum-depression.de
  • Für Angehörige: www.bapk.de und www.familiencoach-depression.de

Die Informationen in diesem Artikel ersetzen keine persönliche Beratung und Behandlung durch eine Ärztin oder einen Arzt.

Verwendete Quellen:

  • agrarheute.com: Kostenexplosion in der Landwirtschaft: Voll gegen die Wand
  • wochenblatt-dlv.de: Landwirt psychisch überlastet: 33 Rinder im Stall verendet
  • agrarheute.com: Studie: Warum Landwirte öfter an Burnout und Depression erkranken
  • YouTube-Kanal der SVLFG: Seelische Belastungen in den grünen Berufen - ein großes Tabu
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