Wer täglich stundenlang auf Autobahnen hinter anderen Lkws herfährt, dem mangelt es oft an Abwechslung. Viele Brummifahrer suchen die auf dem Smartphone. Brandgefährlich, warnt die Polizei. In Niedersachsen ahndet ein Projekt Verstöße auf einfache, aber effektive Weise.
Ganze 2 Minuten und 57 Sekunden tippt der Fahrer des schweren Sattelzuges auf seinem Smartphone herum. Nur ab und zu geht der Blick für einen Sekundenbruchteil kurz nach oben auf die Fahrbahn der A1. So fährt der Mann auch in einen Baustellen-Abschnitt. "Der merkt gar nichts mehr", sagt Cliff Sprenger. Verstöße wie diesen filmt der Polizeihauptkommissar mit seinen Kollegen seit Februar im Bereich der Polizeidirektion Oldenburg auf den Autobahnen 1, 29, 28 und 27.
Knapp 1.300 Verstöße dokumentiert
Das niedersächsische Innenministerium in Hannover verlängerte das Pilotprojekt jetzt bis Ende 2019. Bislang wurden schon knapp 1.300 Verstöße auf den Autobahnen dokumentiert und geahndet.
Als Dienstfahrzeug dient Sprenger und seiner Kollegin Janine Kahlen (31) ein unauffälliger brauner VW-Transporter. Auf der Dach-Reling ist mit Spannriemen und Kabelbindern eine achtsprossige Alu-Leiter befestigt. "Sieht aus wie ein Handwerker-Auto", so Sprenger grinsend. Nur mit dem Unterschied, dass vorne an der Leiter eine kleine, gerade mal streichholzschachtelgroße GoPro-Kamera montiert ist. Von Boden gemessen sind es etwa zwei Meter bis zur Kameralinse - perfekt, um einen höher sitzenden Brummifahrer bei einem Regelverstoß zu filmen.
"Rausreden nützt ja nu nix", sagt ein etwa 30-jähriger Lkw-Fahrer, den die beiden Polizisten auf der A1 auf frischer Tat ertappen. Sie beobachteten ihn von einem A1-Rastplatz aus, als er mit seinem Lkw vorbeifuhr. Dann folgten sie ihm sofort. Als der Bully auf Höhe der Lkw-Kabine ist, merkt der Fahrer zu spät, dass er mit dem Smartphone in der Hand gefilmt wird. Er lächelt zwar, weiß aber, was kommt.
Das "Bitte folgen"-Schild im Heck des Bully leuchtet auf. Ausfahrt nächster Parkplatz. Sofort gibt er zu, dass er aufs Smartphone geschaut habe. 100 Euro plus 28,50 Euro Verwaltungsgebühr und ein Punkt in Flensburg werden fällig. Erschwerend kommt hinzu, dass er einen Gefahrguttankwagen fährt. Die Ladung: Flüssig-Sauerstoff. Alles läuft freundlich, die Ansprache aber ist klar. Was er auf dem Handy gemacht hat? "Nichts Besonderes, einfach nur mal kurz checken", sagt er.
Gefahr von Unfällen am Stauende groß
Aber auch kurz checken kann fatale Folgen haben. Ruht der Blick nur für fünf Sekunden auf dem Smartphone, fährt der Lkw bei 90 Stundenkilometern eine Strecke von 125 Meter - und zwar ohne, dass der Fahrer auf die Fahrbahn schaut.
"Da kann viel passieren", weiß Sprenger, der das Projekt, an dem vier Polizeidienststellen beteiligt sind, koordiniert und leitet. Vor allem durch zahlreiche Baustellen und viele Staus ist die Gefahr von Unfällen am Stauende groß, und immer wieder sind es Lastwagen, die teils ungebremst ins Stauende fahren.
Der Arbeitsplatz Lkw ist aus Sicht des Unfallforschers Siegfried Brockmann prädestiniert für die Suche nach Ablenkung. "Lkw-Fahrer müssen oft über viele Stunden geradeaus fahren, und oft hinter einer "weißen Schrankwand", also dem vorausfahrenden Lkw, und so sieht man auch von der Landschaft eigentlich wenig", beschreibt Brockmann die Lage. Psychologisch sei nichts einzuwenden gegen Abwechslung. "Das Problem beginnt mit der Blickabwendung."
Wie hoch der Anteil an Unfällen ist, die durch Ablenkung wie Handy-Telefonieren, Smartphone- oder Tablet-Bedienen verursacht werden, lässt sich wohl seriös nicht sagen. Auch statistisch wird und kann dieser Verstoß nicht ausgewertet werden. Denn wer will und kann zweifelsfrei wissen, ob der Fahrer exakt zum Zeitpunkt des Unfalls gerade eine WhatsApp-Nachricht las oder schrieb?
Nicht alle Fahrer sind sich Gefahr bewusst
Zu den krassesten der seit Februar gefilmten Verstöße gehört sicherlich ein Lkw-Fahrer, der seinen linken Fuß bequem aufs Armaturenbrett stützt, in der linken Hand eine Zigarette hält und mit der rechten Hand am Smartphone daddelt - nur am Lenkrad ist nix.
Nicht bei allen Fahrern ist ein Unrechts- oder Gefahrenbewusstsein vorhanden. "Ich habe doch alles richtig gemacht", sagt etwa ein ukrainischer Fahrer, der für eine polnische Spedition unterwegs ist, und zeigt auf die korrekt verstaute Ladung und die befestigte Plane. Doch auch er wurde diese Woche von Sprenger und seiner Kollegin mit dem Handy in der Hand auf der A1 ertappt, gefilmt und gestoppt.
"Ich habe zwei Kinder", versucht er noch die Beamten etwas milder zu stimmen. Und dann zeigt er ihnen noch einen Bußgeldzettel, den er am selben Tag erst kurz zuvor wegen zu hoher Geschwindigkeit - immerhin 28 km/h zu schnell - bekam. Für den Lkw-Fahrer kein guter Tag, an dem er aber nicht wirklich mit Zugeständnissen rechnen kann. "Sie haben eben nicht alles richtig gemacht", sagt Kommissar Sprenger und wünscht dem Mann dennoch eine gute Weiterfahrt. © dpa
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