In einem Dokumentarfilm hat sich Papst Franziskus offenbar für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ausgesprochen. Experten sind sich einig: Das wäre ein spektakulärer Kurswechsel.
Es könnte ein historischer Schritt sein:
"Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu sein. Sie sind Kinder Gottes, sie haben das Recht auf eine Familie", sagt der 83 Jahre alte Pontifex in einem Dokumentarfilm des russischen Regisseurs Jewgeni Afinejewski. "Wir müssen ein Gesetz für zivile Partnerschaften schaffen. Sie haben das Recht, rechtlich abgesichert zu sein."
Das wären aus katholischer Sicht geradezu revolutionäre Worte - die deshalb auch sofort weltweit Schlagzeilen machten. Unklar ist vorläufig noch, ob die Äußerungen wirklich neuesten Datums sind.
Zudem hat man es in der Vergangenheit öfters erlebt, dass nach scheinbar eindeutigen progressiven Äußerungen des Papstes doch alles beim Alten blieb in der vielleicht strukturkonservativsten Institution der Welt. Nach dem Motto: Die Päpste kommen und gehen, die Kurie - die Zentralverwaltung im Vatikan - bleibt.
Umdenken beim Papst? "Ist eine neue Position"
Der jetzige Fall liege allerdings anders, sagt Michael Seewald, Professor für katholische Dogmatik an der Universität Münster. "Man muss schon sagen, dass das im Vergleich zur bisherigen Haltung der katholischen Kirche eine massive Kurskorrektur ist."
Es sei zwar nicht so, dass der Papst hier die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiere - wohl aber eingetragene Partnerschaften. "Das ist eine neue Position, weil sich die Ablehnung der katholischen Kirche bisher auch auf diese eingetragenen Partnerschaften bezog. Nun gibt der Papst diese Ablehnung nicht nur auf, sondern er fordert das Gegenteil des bisher Vertretenen. Er sagt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften bieten einen rechtlichen Rahmen, der sinnvoll und sogar notwendig ist."
Der Papst eröffne damit in der Kirche "einen Raum des legitim Sagbaren und Denkbaren". Gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien bisher von vielen als mit der katholischen Lehre nicht vereinbar abgeurteilt worden - diese Haltung sei jetzt kaum noch denkbar.
Dies werde gravierende Folgen haben etwa für den derzeit laufenden Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, dem Synodalen Weg. Dort können sich die Reformer jetzt auf den Papst berufen.
Widerstand in den USA könnte größer werden
Noch viel brisanter sind die Äußerungen nach Seewalds Einschätzung für die katholische Kirche in den USA. "Dort ist diese Frage eine ganz hitzig diskutierte, sie wird geradezu zum Prüfstein für katholische Rechtgläubigkeit stilisiert. Dass der Papst da nun Bewegung signalisiert, wird vielen konservativen Kreisen in den USA, die jetzt auch im Wahlkampf eine sehr dominante Rolle spielen, nicht gefallen."
Schon dass der Papst die Todesstrafe für illegitim erklärt hatte, hatte unter konservativen Katholiken in den USA Empörung ausgelöst. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind für katholische Amerikaner ein noch viel heißeres Eisen. "Es ist möglich, dass der Widerstand gegen den Papst in den USA jetzt noch viel, viel größer wird", meint Seewald.
Tatsächlich ließen die ersten Reaktionen nicht lange auf sich warten: "Die Erklärung des Papstes widerspricht klar der lang etablierten Lehre der Kirche", wurde der konservative Bischof von Providence, Thomas Tobin, in US-Medien zitiert. "Die Kirche kann die Akzeptanz objektiv unmoralischer Beziehungen nicht unterstützen."
Der italienische Vatikan-Kenner Marco Politi schätzt die Äußerungen des Papstes ebenfalls als sehr bedeutsam ein.
Sie kommen für ihn nicht überraschend: "Der Papst hat die ganze Besessenheit der katholischen Tradition mit Sex-Problemen vom Tisch gewischt", sagt Politi der Deutschen Presse-Agentur. "Insofern ist das ein Schritt, der sich ganz klar gegen die Linie seines Vorgängers Benedikt richtet."
"Schwelender Bürgerkrieg innerhalb der Kirche"
Die Äußerungen über gleichgeschlechtliche Partnerschaften sieht Politi als "Endstation eines Weges, den der Papst von Anfang an gegangen ist". Es habe damit begonnen, dass er gesagt habe: "Wer bin ich, um ein Urteil zu fällen über einen Homosexuellen, der Gott sucht?"
Damit sei gemeint gewesen: Nicht die sexuelle Orientierung eines Menschen ist wichtig, sondern sein Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen. Oder noch einfacher gesagt: ob er gut oder schlecht handelt.
Danach habe Franziskus als erster Papst einen spanischen Transsexuellen mit seiner Verlobten und dem Bischof seiner Diözese im Vatikan empfangen. Das dritte Signal kam aus Sicht von Politi in Washington, wo Franziskus in der Nuntiatur einen ehemaligen Jesuitenschüler mit seinem Partner empfing.
Und noch vor wenigen Wochen traf er in Rom eine Mutter, die einer Bewegung von Eltern homosexueller Kinder angehört. Wieder habe Franziskus erklärt: "Das sind alle Kinder Gottes!"
Die große Frage ist nun, ob es hier um einen dauerhaften Positionswechsel der Kirche geht. Politis Überzeugung ist: "Es gibt kein Zurück." Erst einmal würden die Äußerungen von Franziskus zwar den "schwelenden Bürgerkrieg innerhalb der Kirche" - den Dauerkonflikt zwischen Reformern und Konservativen - befeuern, doch ein völliges Zurückdrehen sei nicht mehr vorstellbar. "Das ist ähnlich wie bei der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Auch da ist nichts festgeschrieben, aber ein Zurück gibt es auch da nicht mehr." (dpa/fte)
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