• Vom Münchner Landgericht wird über die Klage 1.200 Geschädigter des Staudammbruchs im brasilianischen Brumadinho im Januar 2019 entschieden - allerdings erst 2022.
  • 260 Menschen verloren bei der Katastrophe ihr Leben.
  • Für das schwere Unglück wird der TÜV Süd verantwortlich gemacht. Er hatte den Damm ein halbes Jahr vor dessen Kollabieren geprüft und für sicher erklärt.

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Nach der Staudamm-Katastrophe im brasilianischen Brumadinho Anfang 2019 haben die betroffene Gemeinde und die Familie eines der 260 Todesopfer den TÜV Süd auf Schadenersatz verklagt - vor dem Landgericht München beginnt nun heute der Musterprozess.

Als das Rückhaltebecken der Eisenerzmine brach, ergossen sich 13 Millionen Kubikmeter durch das Tal. Unter den Toten war auch die 30-jährige Ingenieurin Izabela Barroso, die gerade in der Kantine von Vale Mittagspause machte. Ihr Mann und zwei ihrer Brüder wollen am Dienstag an dem Prozess teilnehmen.

1.200 Geschädigte hoffen auf finanzielle Wiedergutmachung

Die Gemeinde und die Familie beschränkten den Streitwert in dem Musterprozess auf rund 400.000 Euro, um Prozesskosten zu sparen. Zunächst soll das Gericht feststellen, ob überhaupt ein Anspruch besteht. Die Höhe solle dann gegebenenfalls in einem zweiten Schritt geklärt werden, so Kläger-Anwalt Jan Erik Spangenberg. Zusammen mit der brasilianisch-britisch-US-amerikanischen Kanzlei PGMBM vertrete er aber 1.200 Geschädigte und erhoffe letztendlich Entschädigungen im dreistelligen Millionenbereich.

Der TÜV Süd wehrt sich gegen die Forderungen und hat für Anwalts- und Beratungskosten bereits 20 Millionen Euro zurückgestellt. Die Stabilitätserklärung habe den brasilianischen Standards entsprochen. "Der Betreiber ist für die Mine und zugehörige Dämme verantwortlich und haftet für sämtliche Schäden aus dem Betrieb des Damms", teilte der TÜV Süd vor Prozessbeginn mit.

Dessen Chefjustiziar Florian Stork sagte, der Konzern spreche den Angehörigen sein Beileid aus. Gleichwohl sei der Konzern überzeugt, keine Verantwortung für den Tod der Betroffenen zu tragen. Ein Anwalt des Konzerns sagte, nach Auffassung des TÜV sei die Stabilitätserklärung für den Staudamm in Ordnung gewesen. Schon deshalb komme keine Haftung in Frage. Ursache für den Dammbruch seien wohl Sprengarbeiten gewesen, dies erscheine plausibel.

Vale hat im Februar in einem gerichtlichen Vergleich mit dem brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais fast sechs Milliarden Euro Entschädigung zugesagt. Etwa ein Drittel der Summe soll nach Angaben der brasilianischen Behörden der Gemeinde Brumadinho und der Bevölkerung dort zugutekommen. "Auch die Kläger des vorliegenden Verfahrens werden bereits umfassend von Vale entschädigt", teilte der TÜV Süd mit.

Anwalt Spangenberg: Milliarden-Entschädigung des Bergbaukonzerns "Mogelpackung"

Die Milliarden-Entschädigung von Vale sei aber "eine Mogelpackung", denn es seien keine direkten Zahlungen an die Opfer vorgesehen, sagte Kläger-Anwalt Spangenberg. Die Gemeinde habe nur geringfügige Zahlungen erhalten. Die Mühlen der brasilianischen Justiz mahlten sehr langsam. Ein Verfahren gegen den TÜV Süd in München sei effizienter als gegen die Tochterfirma in Brasilien, ein Urteil sei hier leichter zu vollstrecken.

Gustavo Barroso, Kläger und Bruder der ums Leben gekommenen Ingenieurin, sagte: "Wir kommen gegen Vale in Brasilien nicht an." Die Hoffnungen ruhten auf dem deutschen Gericht.

Prüfer des TÜVs angeblich von Vale unter Druck gesetzt

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft von Minas Gerais wurde das Prüfzertifikat ausgestellt, obwohl den Prüfern der schlechte Zustand der Anlage und das Risiko bewusst gewesen sei. Ein Prüfer habe ausgesagt, er habe sich von Vale-Vertretern unter Druck gesetzt gefühlt. In Brasilien laufen gegen 16 Mitarbeiter der beiden Unternehmen strafrechtliche Ermittlungen, in München gegen einen TÜV-Mitarbeiter.

Eine Entscheidung will das Landgericht München I aber erst am 1. Februar 2022 verkünden. Die Vorsitzende Richterin Ingrid Henn gab dem TÜV und den Klägern bis dahin noch Gelegenheit, schriftlich Fragen zu beantworten.

Der Klägeranwalt hofft, dass das Landgericht brasilianisches Recht anwendet. Danach haften alle direkt oder indirekt an einer Umweltverschmutzung Beteiligten, "ein Verschulden ist nicht erforderlich", sagte er. (dpa/AFP/hau)

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