Die türkis-grüne Koalition steht nach der Zustimmung der Grünen zum Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene auf Messers Schneide. In der ÖVP ist man höchst verärgert über den Grünen Alleingang – und kündigt Konsequenzen an.

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Die Koalitionskrise rund ums EU-Renaturierungsgesetz eskaliert: Die ÖVP will wegen der Zustimmung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) nicht nur eine Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen, sondern zeigt die Regierungskollegin nun auch wegen Amtsmissbrauchs an. Das kündigte Generalsekretär Christian Stocker am Montag in einer Aussendung an. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sprach von einer "veritablen Regierungskrise".

Nehammer: Kein Koalitionsende trotz "schwerem Vertrauensbruch"

Das Zerwürfnis zwischen den Regierungsparteien führt dennoch nicht zu einem Ende der türkis-grünen Koalition. Das hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Montagnachmittag in Brüssel klargemacht. "Die Emotion wäre da" für ein Koalitionsende, aber er habe "die Verantwortung als Bundeskanzler für einen geordneten Weg" bis zur Nationalratswahl zu sorgen, sagte Nehammer vor Journalisten.

Der Bundeskanzler sprach von einem "mehr als schweren Vertrauensbruch" und einem "krassen Fehlverhalten" des Grünen Koalitionspartners, der "sein wahres Gesicht gezeigt" habe. Dieser Rechtsbruch werde mit der angekündigten Nichtigkeitsklage gegen den EU-Beschluss vor dem EuGH und der Anzeige gegen Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) wegen Amtsmissbrauch geahndet. Aber auch wenn manche ein Koalitionsende erwarten würden, "ich werde das nicht tun", sagte Nehammer.

Das sogenannte "freie Spiel der Kräfte" ohne fixe Mehrheiten im Nationalrat habe es bereits einmal gegeben, dies habe Milliarden an Kosten für die Steuerzahler gebracht. Dieses Chaos werde er nicht noch einmal zulassen. "Ich werde diese Bundesregierung bis zum 29.09 anführen", betonte er mit Blick auf die in drei Monaten geplanten Nationalratswahl. Notwendige und wichtige Vorhaben werde er soweit umsetzen, wie es mit dem Koalitionspartner möglich sei.

Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Gewessler

"Die Volkspartei bringt eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch gegen Umweltministerin Gewessler ein", erklärte Stocker. Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt legt die Verfassung für die Mitglieder der Bundesregierung aus, und laut diesem sei die Ministerin gemäß der Verfassung an die Stellungnahme der Länder gebunden. "Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt - dies begründet Amtsmissbrauch.", führte Stocker aus.

"Es kann nicht angehen, dass sich Umweltministerin Gewessler mit Privatgutachten über den Verfassungsdienst hinwegsetzt und dadurch die gesetzlichen Bestimmungen missachtet. Es ist daher eine gerichtliche Klärung notwendig - die Volkspartei wird den Sachverhalt an die Gerichte in Form einer Strafanzeige herantragen", kündigte Stocker an. Gewessler müsse ihre "Privatgutachten" veröffentlichen, forderte Stocker zudem.

Stocker: "Gewessler stellt sich über die Verfassung"

"Der Zweck heiligt nicht die Mittel: Leonore Gewessler stellt sich über die Verfassung, weil sie es mit ihrer grünen Ideologie nicht vereinbaren kann, gesetzeskonform zu handeln", kritisierte Stocker. Gewessler stelle wie FPÖ-Chef Herbert Kickl "Ideologie über das Gesetz", meinte Stocker. "Dieses Verhalten wird die Volkspartei nicht akzeptieren."

Verfassungsministerin Edtstadler sprach von einer "veritablen Regierungskrise". Ob die türkis-grüne Koalition damit am Ende sei, wollte sie nicht sagen: "Das wird man sich anschauen müssen", sagte sie im "Ö1"-Mittagsjournal. Ihr Hauptaugenmerk als Verfassungsministerin liege nun auf der Nichtigkeitsbeschwerde beim EuGH, um "dieses Unrecht zu beseitigen". Wie bereits am Vortag warf Edstadler der Umweltministerin "Verfassungsbruch" vor. Gewessler könne nicht einfach aus ideologischen Gründen die Gesetze und die Verfassung außer Kraft setzen. "Das ist eine wahre Gefahr für den Rechtsstaat und für die Demokratie", warnte Edtstadler.

Babler attestiert "besorgniserregende Regierungskrise"

SPÖ-Chef Andreas Babler sieht durch den eskalierten Streit zwischen ÖVP und Grünen eine "besorgniserregende Regierungskrise" und zudem eine "bittere Stunde für die internationale Reputation Österreichs", wobei hier vor allem durch das Verhalten von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) "ein riesiger Schaden" entstehe. Die ÖVP sei nicht mehr handlungsfähig, interpretierte der Parteivorsitzende am Montag am Rande einer Pressekonferenz etwa die seitens der Volkspartei angekündigte Anzeige gegen Gewessler wegen Amtsmissbrauchs. Abgesehen davon zeigte sich Babler "froh" darüber, dass Österreich dem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt hat.

Ähnlich auch die NEOS: Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard begrüßte in einer Aussendung die Zustimmung zur Renaturierung. Aber: So positiv das Ergebnis aus Sicht des Klima- und Umweltschutzes sei, so verheerend präsentiere sich die Regierung den Bürgerinnen und Bürgern. "Das Klima in der Koalition ist eine Katastrophe, die nicht mehr abzuwenden ist",

Kickl sieht in Renaturierungsgesetz "Tod unserer Landwirtschaft"

FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte Nehammer auf, Gewessler dem Bundespräsidenten umgehend zur sofortigen Entlassung vorzuschlagen. Sollte der Bundeskanzler dieser Forderung nicht nachkommen, werde die FPÖ jedenfalls einen Misstrauensantrag im Nationalrat stellen, kündigte Kickl an.

Denn das EU-Renaturierungsgesetz bedeutet aus freiheitlicher Sicht "nichts anderes als den Tod unserer Landwirtschaft und der Versorgungssicherheit unserer Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln sowie einen inakzeptablen Souveränitätsverlust zugunsten der zentralistischen EU-Eliten", so Kickl laut Aussendung. (APA/lag)

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