Im französischen Missbrauchsprozess mit mehr als 250 Opfern im Kindesalter hat der Bruder des Angeklagten dessen Ex-Frau der Mitwisserschaft beschuldigt.
"Sie wusste über die Taten ihres Mannes Bescheid und hat nichts unternommen", sagte der Bruder des angeklagten Chirurgen, der hunderte Kinder missbraucht haben soll, am Mittwoch vor Gericht in Vannes. Die Ex-Frau hätte dafür sorgen können, dass der Angeklagte früher gefasst wird. Der Bruder warf seiner früheren Schwägerin vor, aus finanziellen Interessen mit ihrem Mann zusammengeblieben zu sein. Sie habe nebenher mehrere Affären gehabt.
Die Frau hatte sich 2023 von ihrem Mann scheiden lassen. Sie erklärte kürzlich in einem Interview, nichts von den Taten ihres Mannes geahnt zu haben. Sie erschien am Dienstag erstmals im Gericht, das Gesicht von einer übergroßen schwarzen Kapuze und einer medizinischen Maske verborgen.
Pensionierter Chirurg wegen hundertfachem Kindsmissbrauch vor Gericht
Ihr Ex-Mann, der 74 Jahre alte frühere Chirurg Joël Le Scouarnec, muss sich wegen Missbrauchs von 299 Patienten vor Gericht verantworten. Seine Opfer waren im Schnitt elf Jahre alt. Der Arzt hatte zu Prozessbeginn seine Taten weitgehend gestanden. Nach Darstellung der Anklage verging er sich an seinen jungen Patientinnen und Patienten unter dem Vorwand von Untersuchungen oder während sie unter Narkose waren.
Seine Ex-Frau sollte noch im Laufe des Mittwochs vor Gericht aussagen. Es gibt Hinweise darauf, dass sie etwas gewusst haben könnte. In den Tagebüchern des Angeklagten, die die Zeitung "Le Monde" auszugsweise veröffentlicht hat, schrieb Le Scouarnec bereits 1996, dass seine Frau wisse, dass er von Kindern angezogen sei.
Bewährungsstrafe wegen Kinderpornografie
2005 wurde Le Scouarnec erstmals wegen Besitzes kinderpornographischer Bilder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zudem gibt es einen handschriftlichen Brief von 2010, in dem sie darum bittet, ihren jüngsten Sohn zu schonen, der als einziger nichts von der Vergangenheit seines Vaters wisse.
2020 wurde Le Scouarnec dann zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er vier Mädchen missbraucht hatte, unter ihnen zwei Nichten und die sechs Jahre alte Tochter seiner Nachbarn. Es war der Fall des Nachbarkindes, der eine Hausdurchsuchung ausgelöst und damit den massenhaften Missbrauch junger Patienten ans Licht gebracht hatte. Am Vortag hatten zwei Söhne des Paares ausgesagt. Beide sprachen von einer glücklichen Kindheit und von dem Schock, als sie von seinen Taten erfahren haben.
Missbrauch kam durch Tagebücher ans Licht
Le Scouarnec wird vorgeworfen, 256 Jungen und Mädchen unter 15 missbraucht zu haben. Insgesamt geht es um 299 mutmaßliche Opfer in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahrzehnten, 111 von ihnen soll der Angeklagte vergewaltigt haben. Seine Taten waren ans Licht gekommen, als die Ermittler auf Tagebücher des Arztes stießen. Darin beschrieb er minutiös, wie er sich an den Kindern verging - teils im Krankenzimmer, teils sogar auf dem Operationstisch. Ermittler fanden bei dem Mediziner außerdem rund 300.000 Fotos und Videos mit kinderpornographischen Darstellungen.
Le Scouarnec arbeitete in rund zwölf verschiedenen Krankenhäusern im Westen Frankreichs. Obwohl manche seiner Chefs und Kollegen wussten, dass er bereits früher wegen Kinderpornographie verurteilt worden war, behinderte dies nicht seine Karriere. Der Prozess ist auf vier Monate angesetzt. Die Höchststrafe beträgt 20 Jahre. (afp/bearbeitet von nap)
Hilfsangebote
- Wenn Sie selbst von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich bitte an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (116 016 oder online), das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" (0800/1239900 oder online), das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" (0800/225 5530), in Österreich an die Beratungsstelle für misshandelte und sexuell missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder (Tamar, 01/3340 437) und in der Schweiz an die Opferhilfe bei sexueller Gewalt (Lantana, 031/3131 400)
- Wenn Sie einen Verdacht oder gar Kenntnis von sexueller Gewalt gegen Dritte haben, wenden Sie sich bitte direkt an jede Polizeidienststelle.
- Falls Sie bei sich oder anderen pädophile Neigungen festgestellt haben, wenden Sie sich bitte an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden".
- Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.