Gütersloh (dpa) - Schlechte Personalausstattung und zu große Gruppen: Angesichts nur geringfügiger Verbesserungen bei der Kita-Qualität sieht die Bertelsmann-Stiftung die frühkindliche Förderung in vielen Einrichtungen gefährdet. Viele Kindergärten und Krippen in Deutschland können aus Sicht der Experten ihren Bildungsauftrag angesichts nicht kindgerechter Personalschlüssel und Gruppengrößen allenfalls eingeschränkt umsetzen, mahnen die Fachleute angesichts der am Dienstag veröffentlichten Daten des "Ländermonitorings frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann-Stiftung.
Bundesweit besuchen demnach fast drei von vier Kindern eine Kita oder eine Krippe mit zu wenig Personal: So kamen zum Erhebungsstichtag im März 2019 rein rechnerisch 4,2 Krippenkinder auf eine Erzieherin oder einen Erzieher. Im Kindergarten waren es 8,8 Kinder pro Fachkraft. Die Experten empfehlen aber maximal 3 Krippenkinder, beziehungsweise 7,5 Kindergartenkinder pro Erzieherin. Außerdem waren bundesweit mehr als die Hälfte aller Kita-Gruppen größer als empfohlen.
Trotz des Kita-Platz-Ausbaus und Investitionen in zusätzliches Personal seien die Qualitätsverbesserungen nur gering. Das habe Folgen für die pädagogische Arbeit, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung. "Ist eine Fachkraft für zu viele Kinder zuständig, kann sie nicht auf die Bedürfnisse der Einzelnen eingehen, die Persönlichkeitsentwicklung oder den familiären Hintergrund betrachten. Individuelle Förderung bleibt dann auf der Strecke", sagt Anette Stein, bei der Stiftung verantwortlich für den Bereich frühkindliche Bildung. Es brauche dringend weitere und dauerhafte Investitionen in die Qualitätsentwicklung: "Das darf jetzt in der Corona-Krise nicht aus dem Blick geraten", sagt Stein.
Wie Personalmangel wirkt, unterstreicht eine Studie, die die Stiftung flankierend zu den Daten des Ländermonitorings gemeinsam mit der Fernuniversität in Hagen veröffentlicht hat. Dafür wurden Gruppengespräche mit insgesamt 128 Kita-Mitarbeitern ausgewertet. "Dramatisch", nennt die Leiterin des Lehrgebiets für empirische Bildungsforschung an der Fernuni, Julia Schütz, die Ergebnisse.
"Viele Erzieherinnen schildern einen Spagat zwischen dem eigenen Anspruch und mangelnden Zeitressourcen. Wahnsinnig engagierte Fachkräfte treffen auf eine Situation, in der sie gar nicht professionell agieren können", sagt die Erziehungswissenschaftlerin. Laut werden im Stress oder unangebrachtes Schimpfen - von solchen Reaktionen berichteten überlastete Erzieherinnen. Über Regionen und Träger nannten sie ähnliche Probleme: unbesetzte Stellen; zu viele Tätigkeiten außerhalb der Gruppe, etwa in der Elternarbeit oder gar als Hausmeister-Ersatz; Gruppengrößen, bei denen sie gerade mal ihrer Aufsichtspflicht gerecht werden, aber wenig mehr. "Wie soll man Bildung ermöglichen, wenn man alleine 20 Kinder beaufsichtigen muss", sagt Schütz. Sie ist sich sicher: "Mehr als Aufbewahren ist dann oft nicht drin."
"Lernen in der Kita basiert auf einer Kind zentrierten, dialogischen Pädagogik. Kinder beobachten, stellen Fragen. Darauf einzugehen, ein anregendes Umfeld zu schaffen und mit ihnen in eine dichte Interaktion zu treten - all das benötigt Zeit und damit natürlich eine angemessene Personalausstattung", sagt der Psychologe und Leiter der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung beim Deutschen Jugendinstitut, Bernhard Kalicki. Es gehe auch um Arbeitsbelastung: "Mit der Gruppengröße kann der Lärmpegel stark zunehmen. Das stresst Kinder wie Personal und erschwert das Miteinander." "Die Qualität von Kitas hängt immer noch sehr stark vom Wohnort und damit vom Zufall ab. Da braucht es dringend eine Angleichung", fordert Kalicki. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der massive Ausbau des Platzangebotes gerade für jüngere Kinder der vergangenen 15 Jahre immerhin nicht zu Lasten der Personalausstattung gegangen sei. Im Gegenteil: Die Schlüssel sind rein rechnerisch günstiger geworden. Und: "Qualität einer Kita misst sich ja immer auch in mehreren Dimensionen", sagt Kalicki. Es spiele auch eine Rolle, wie anregungsreich und autonomiefördernd der Alltag für die Kinder gestaltet sei. "Das hängt nicht nur an der Personalrelation, sondern steht und fällt auch mit der Arbeit der Leitung oder beispielsweise der Frage, wie im Team kommuniziert wird", sagt der Psychologe. © dpa
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