Schneller war vor ihr noch niemand: Die Norwegerin Kristin Harila hat als erster Mensch die 14 höchsten Gipfel der Erde in nur 92 Tagen bezwungen. Am Tag ihrer Besteigung des K2 kam es aber auch zu einem tödlichen Unfall. Das Geschehen wirft Fragen auf: über die Hilfsbereitschaft von Bergsteigern.

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Am 27. Juli strahlte Kristin Harila erleichtert in die Kamera. Sie hatte zusammen mit dem Bergführer Tenjin Lama Sherpa den Gipfel des K2, des zweithöchsten Bergs der Erde, erreicht – und damit einen Weltrekord aufgestellt. Kein Mensch vor ihr hat es geschafft, die 14 höchsten Berge in nur 92 Tagen zu besteigen.

Harilas Vorgehensweise ist allerdings umstritten: Sie hat ihre Besteigungen jedes Mal mit großer Entourage und Flaschensauerstoff absolviert. Nach ihrem Triumph im Himalaya hat sich in der Szene zudem eine Diskussion über die Auswüchse des Extrem-Bergsteigens entwickelt. Denn im Umfeld von Harilas K2-Besteigung ereignete sich ein tödlicher Unfall. Und viele "Mitkletternde" hielten es offenbar nicht für nötig, zu helfen oder ihre Tour abzubrechen.

Kristin Harila bei ihrer Abreise aus Nepal am 5. August 2023. © IMAGO/NurPhoto/Sanjit Pariyar

Unfall in 8.200 Metern Höhe

Die Norwegerin und ihr Kletterpartner waren in diesen Tagen nicht allein unterwegs. Sie wurden begleitet von mehreren Helfern und Trägern sowie Hubschraubern. Auch andere Kletterer waren auf der Route – insgesamt offenbar rund 200 Menschen aus verschiedenen Expeditionen. Dutzende Personen drängten sich hintereinander durch eine enge und gefährliche Stelle in 8.200 Metern Höhe, den sogenannten Flaschenhals. Wie verschiedene Medien berichten, gingen dabei mindestens zwei Lawinen ab.

Dabei stürzte der pakistanische Bergsteiger Mohammad Hassan ab und verunglückte tödlich. Offenbar war er aber nicht sofort tot. Er habe kopfüber mit entblößten Beinen in einem Seil gehangen, das er selbst mit Kollegen für die zahlende Kundschaft installiert hatte, berichtet der "Standard". "Über die Erzählung von drei unterschiedlichen Augenzeugen kann ich berichten, dass dieser Mann noch gelebt hat, während etwa 50 Leute an ihm vorbeigestiegen sind", sagte der Kameramann Philip Fläming gegenüber der österreichischen Zeitung.

Kristin Harila hatte mit dem abgestürzten Pakistani offenbar nichts zu tun. Sie hat den Vorfall aber durchaus mitbekommen: In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (Bezahlinhalt) sagte sie: "Als wir am Flaschenhals waren, einem der gefährlichsten Abschnitte am Berg, ist vor unserer Gruppe ein pakistanischer Träger abgestürzt. Er hing kopfüber in seinem Seil. Nach unserem Abstieg haben wir erfahren, dass er gestorben ist."

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Todesfälle am K2 leider keine Seltenheit

Der K2 gilt als einer der gefährlichsten Berge der Welt, bei dem Todesfälle an der traurigen Tagesordnung sind. Einer von vier Bergsteigern soll dort im Schnitt ums Leben kommen.

"Er ist dort elendig verreckt. Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, ihn runterzubringen."

Bergsteiger Wilhelm Steindl über einen am K2 verunglückten Pakistani

Zudem ist die Konkurrenz groß und die Hilfsbereitschaft offenbar klein, wenn alle zum Gipfel streben. Der Tiroler Bergsteiger Wilhelm Steindl zeigte sich gegenüber dem "Standard" vor allem geschockt vom Verhalten der anderen Menschen auf der Strecke nach dem Unfall: "Er ist dort elendig verreckt. Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, ihn runterzubringen. Ich war nicht bei der Unfallstelle. Wenn ich es gesehen hätte, wäre ich raufgestiegen und hätte dem armen Menschen geholfen."

Es geht auch anders. Das berichtet der Bergsteiger Stefan Nestler auf seinem Blog: Am Mount Everest habe ein nepalesischer Bergführer seine chinesischen Kunden davon überzeugt, auf den Gipfel zu verzichten und stattdessen einen in Not geratenen Bergsteiger aus Malaysia zu retten. Doch das ist offenbar nicht die Regel. "Für Menschlichkeit scheint immer weniger Platz zu sein, je höher es geht und je mehr Leute unterwegs sind", schreibt Nestler.

Mohammad Hassan hinterlässt laut Nestler eine Frau und drei Kinder. Dem "Standard" zufolge soll sich sein Arbeitgeber geweigert haben, der Familie Hassans Gehalt auszuzahlen – weil der seine Arbeit nicht beendet habe. "Die Familie kann sich keine Medizin, kein Essen leisten. Eine Harila und viele der Bergsteiger sind mit Helikoptern über uns und die Familie hinweggeflogen", sagte der Österreicher Steindl der Zeitung. "Was für ein symbolisches Bild. Der Helikopter zum Rausfliegen kostet bis zu 12.000 Dollar pro Person." (fab)

Verwendete Quellen:

  • abenteuer-berg.de: Für den Gipfel über Leichen steigen?
  • standard.at: Skandal in der Todeszone auf dem K2 im Karakorum
  • sueddeutsche.de: "Was mich genervt hat, waren die Lügen"
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