Erst saß er 13 Jahre unschuldig im Gefängnis, nun soll er fast 100.000 Euro zahlen: Der Fall Genditzki sorgt erneut für Empörung. Nachdem Manfred Genditzki 2023 nach einem Justizirrtum von einem Mord freigesprochen wurde, den es nie gab, fordert der Freistaat Bayern jetzt Geld für Unterkunft und Verpflegung während seiner Haftzeit zurück.
Manfred Genditzki ist 64 Jahre alt. 13 Jahre seines Lebens saß er hinter Gittern für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. 2023 wurde er nach neuen Gutachten freigesprochen. Doch anstatt endlich zur Ruhe zu kommen, kämpft er weiter. Denn der Freistaat Bayern verlangt fast 100.000 Euro von ihm – für Unterkunft und Verpflegung während seiner Haftzeit.
Genditzki selbst zeigte sich gegenüber dem "Spiegel" fassungslos: "Ich finde, das ist eine Frechheit. Leute, die irgendein Verbrechen oder eine Straftat begangen haben, die kommen raus und die zahlen auch nichts."
Warum Manfred Genditzki unschuldig in Haft saß:
- Genditzki arbeitete als Hausmeister einer Wohnanlage in Rottach-Egern (Bayern).
- 2008 wurde er wegen Mordes an einer 87-jährigen Rentnerin und Bewohnerin der Wohnanlage verurteilt.
- Die Anklage ging davon aus, dass er die Frau erschlagen und in ihrer Badewanne ertränkt habe.
- Genditzki hatte kein Motiv für die Tat, er beteuerte stets seine Unschuld.
- 2023 führten neue Gutachten zur Aufhebung des Urteils.
- Die Rentnerin ist demnach in ihre Badewanne gestürzt und tödlich verunglückt.
- Es handelte sich bei dem Todesfall also nicht um Mord, sondern um einen häuslichen Unfall.
Staat fordert fast 100.000 Euro – trotz Haftentschädigung
Nach seinem Freispruch im vergangenen Jahr erhielt Genditzki eine gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung von 75 Euro für jeden Tag, den er unschuldig im Gefängnis saß – insgesamt knapp 370.000 Euro. Zusätzlich wurden ihm laut Generalstaatsanwaltschaft gut 450.000 Euro für den Verdienstausfall zugesprochen.
Nun fordert die Generalstaatsanwaltschaft rund 100.000 Euro von ihm zurück, um die Kosten für Unterkunft und Verpflegung während seiner Haftzeit zu decken.
Genditzki akzeptiert diese Rückforderung nicht und hat den Freistaat Bayern auf weiteren Schadenersatz von mindestens 750.000 Euro verklagt. Seine Anwältin Regina Rick betont, dass die Haftzeit für ihren Mandanten nicht nur eine psychische Belastung war, sondern ihn auch wirtschaftlich ruiniert habe. Sie wirft dem Freistaat Justizversagen vor.
Empörung über die Rückforderung
Gegenüber "t-online" betont die Anwältin, dass die Causa Genditzki kein Einzelfall sei: "Jetzt merke ich, wie fehleranfällig die (bayerische) Strafjustiz wirklich ist. Das habe ich aus diesem Verfahren gelernt: Es gibt viel mehr unschuldige Verurteilte, als man meinen würde. Das Misstrauen der Strafjustiz gegenüber war schon immer stark bei mir, aber dieser Fall hat es noch vertieft."
Kost und Logis für den unfreiwilligen Knastaufenthalt abzuziehen, klingt wie ein Schildbürgerstreich.
Der Deutsche Anwaltverein kritisiert die Praxis ebenfalls scharf. Swen Walentowski, Rechtsanwalt und stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Vereins, erklärt gegenüber "Bild": "Wer unverschuldet inhaftiert wird, darf nicht deswegen verschuldet aus dem Gefängnis kommen. Kost und Logis für den unfreiwilligen Knastaufenthalt abzuziehen, klingt wie ein Schildbürgerstreich."
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Der Fall wirft erneut die Frage auf, ob Deutschland mit seinen Entschädigungsregelungen für Justizopfer richtig aufgestellt ist. Ein Vergleich zeigt: Während hierzulande 75 Euro pro Hafttag gezahlt werden, sind es in der Schweiz mindestens 250 Franken (etwa 265 Euro). In skandinavischen Ländern wie Schweden und Norwegen liegt die Entschädigung für zu Unrecht Inhaftierte bei 150 bis 200 Euro pro Tag, in den USA kann die Summe - je nach Bundesstaat - auf bis zu 140 US-Dollar (etwa 134 Euro) pro Tag steigen. Immer wieder fordern Experten, dass sich Deutschland an internationalen Standards orientieren sollte. Dabei wurde die Pauschale erst 2020 angehoben. Zuvor betrug sie lediglich 25 Euro pro Tag.
Die Praxis, von unschuldig Inhaftierten die Kosten für Unterkunft und Verpflegung während der Haftzeit zurückzufordern, ist international unüblich. In der Schweiz beispielsweise werden solche Haftkosten nicht als Verfahrenskosten betrachtet und daher nicht zurückgefordert.
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Genditzkis Kampf für Gerechtigkeit geht weiter
Der Fall Genditzki steht beispielhaft für strukturelle Probleme im deutschen Justizsystem. Wie viel sind zu Unrecht verlorene Jahre wert? Und kann es richtig sein, dass ein unschuldig Verurteilter nach seiner Haft finanziell schlechter dasteht als zuvor?
Während die politische Debatte um Entschädigungen weitergeht, bleibt für Manfred Genditzki die bittere Realität: Nach 13 Jahren Haft muss er weiter kämpfen – diesmal um eine faire Wiedergutmachung.
Verwendete Quellen
- br.de: Kost und Logis: Justizopfer Genditzki soll 100.000 Euro zahlen
- spiegel.de: Wie die bayerische Justiz einen Unschuldigen zur Kasse bittet
- t-online.de: "Es gibt keine wirkliche Kontrollinstanz"
- bild.de: 13 Jahre unschuldig im Knast – jetzt soll er das Essen zurückzahlen
- jurawelt.com: Haftentschädigung pro Tag – Unschuldig im Gefängnis?
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