70 Menschen leben normalerweise in Guntschach. Doch normal ist hier gar nichts mehr, und das schon seit über einem Jahr. Nach einem Felssturz ist das Dorf in Kärnten quasi von der Außenwelt abgeschnitten. Rund 30 Menschen sind auf Notunterkünfte im Nachbarort ausgewichen. Der Rest lebt einen Alltag im Ausnahmezustand.

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Die kleine Ortschaft Guntschach liegt eingekesselt zwischen der Drau und den Südabhängen der Sattnitz. Wer rein oder raus will, kann dafür genau eine Straße nutzen. 2022, kurz vor Weihnachten, geschieht dann, was einige Dorfbewohner bereits seit Jahren befürchtet hatten: Teile des Hemmafelsens stürzen auf die Straße und zerstören sie. Die Guntschacher sind eingesperrt.

Waldweg in Guntschach
Diesen Weg durch den Wald haben die Guntschacher selbst gebaut. © Brigitte del Fabro

Ein Dorf – vom Pech verfolgt

Schnell ist klar, dass die Bauarbeiten für die Straße einige Zeit in Anspruch nehmen werden. Franz Ragger (SPÖ), Bürgermeister der Gemeinde Maria Rain, zu der Guntschach gehört, verspricht bereits zwei Tage nach dem Felssturz im Gespräch mit der "Kronen-Zeitung", dass für die rund 25 abgeschnittenen Häuser zwei Tage später ein Notweg fertig sein würde. Es dauert drei Wochen, bis dieser dann auch tatsächlich befahrbar ist.

Befahrbar ist in dem Zusammenhang allerdings relativ. Der Weg ist gefährlich und macht den Autos zu schaffen. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Ortschaft berichten von aufgerissenen Bodenplatten und gerissenen Federn, die durch den Schotterweg entstanden sind. Schnee und Regen machen den Weg zu einer richtigen Offroad-Strecke.

Und als wäre die Situation nicht bereits schwierig genug, zerstört ein Erdrutsch im August 2023 den Notweg.

Zur Unterstützung kommt eine Fähre, gesandt vom Bundesheer, mit einer Tragfähigkeit von 50 Tonnen. Sie verschifft LKWs sowie schweres Gerät und chauffiert auch Guntschacher samt ihren Einkaufstüten. Diese Hilfe hält jedoch nur wenige Wochen an. Bereits am 7. September 2023 endet der Einsatz.

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Einkaufen, Müllabfuhr und Co.: Wie soll Alltag funktionieren?

Valentinsfähre
Dank der freiwilligen Arbeit der Valentinsfähre konnten die Guntschacher die Einkäufe für ihr zweites Weihnachten in Abgeschiedenheit über den Fluss transportieren. (Aufnahmedatum: 22.12.2023) © Brigitte del Fabro

Jetzt sind die Guntschacher wieder auf sich alleine gestellt: Sie zimmern Stufen, binden Seile als Geländer an die Bäume, fällen, was im Weg ist, und bauen sich so ihren eigenen Weg durch den Wald in die nächste Ortschaft. Doch der ist steil, anstrengend und nicht ungefährlich. Spikes für die Wanderschuhe werden hier zur Standard-Ausrüstung. Gerade für Kinder oder ältere Menschen ist der Weg keine wirkliche Alternative.

Wer kann, schleppt Einkäufe den steilen Waldweg hinunter, bringt den eigenen Hausmüll auf diese Weise in das höhere Dorf und organisiert die eigene Post. Stefan Herzog, ein Guntschacher, erzählt unserer Redaktion, wie anstrengend und umständlich der Alltag geworden ist. Alleine, um in die Arbeit zu gelangen braucht er zwei Autos: Eines muss unten bei ihnen und eines im oberen Dorf, am Ende des steilen Waldweges, stehen.

Andere, wie Landwirte, können nicht arbeiten und verlieren täglich Geld. Sie können nicht ernten oder ausliefern, da die Maschinen nicht durchkommen. In den Wintermonaten muss die Dorfgemeinschaft zusätzlich den Schnee im gesamten Ort schippen, denn Winterdienste kommen ebenfalls keine durch. Es herrscht Ausnahmezustand.

Damit die Kinder in die Schule und die Guntschacher in die Arbeit gelangen, vereinbart Bürgermeister Ragger einen Deal mit der Valentinsfähre. Diese fährt normalerweise nur im Sommer und ist für den Wandertourismus gedacht. Die Fähre soll als Übergangslösung die Bewohnerinnen und Bewohner über die Drau ans andere Ufer bringen. Doch sie fährt selten und kann außerdem nur Personen und keine Autos oder dergleichen transportieren. Daher verlassen viele Guntschacher ihre Häuser und ziehen außerhalb des Dorfes in Notunterkünfte. Dort wohnen sie bis heute. Ein Jahr lang scheint nichts zu passieren.

Bauarbeiten am Hemmafelsen
So sieht der Plan für die Abtragung aus. © Dieter Arbeiter

Von Politik und Bürokratie alleingelassen?

Erst im Oktober 2023 beginnen schließlich die Bauarbeiten an der so nötigen Straße. Wieso mussten die Guntschacher zehn Monate warten? Bürgermeister Ragger erklärt die lange Wartezeit mit den gesetzlichen Verfahrensdauern für Aufträge und Bewilligungen.

Ragger, der selbst nicht in der betroffenen Ortschaft lebt, erklärt dem "Standard", er habe zunächst mit der Agrotechnik des Landes Kärnten verhandelt. Daraus wurde jedoch wegen Mangels an Kapazitäten nichts. Schließlich habe er sich an die Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV), eine Stelle im Landwirtschaftsministerium, gewandt. Diese ließ eine Studie durchführen, welche das Ministerium gefordert hatte, um eine geeignete Lösung zu finden.

Diese Maßnahme wird insbesondere von den Guntschachern kritisiert, da sie viel Zeit gekostet hat. Außerdem soll Herzog zufolge ein vorangehendes Gutachten bereits festgestellt haben, dass es auf eine Abtragung des Felsens hinauslaufen wird.

Bauarbeiten am Hemmafelsen
Der Hemmafelsen © Dieter Arbeiter

In der Studie der WLV wurden sieben Varianten, wie beispielsweise eine Brücke über die Drau oder eine Steinschlaggalerie, geprüft. Im Sommer stand dann fest, dass die Straße renoviert und der Hemmafelsen Stück für Stück abgetragen werden muss. Das ist allerdings eine gefährliche und schwierige Aufgabe.

Was die Bauarbeiten so gefährlich macht

Die voraussichtlich drei Millionen Euro teuren Bauarbeiten am Felsen sind für die Arbeiterinnen und Arbeiter lebensgefährlich. Tonnenweise Fels, Geröll und Humus müssen abgetragen werden. Bei ähnlichen Arbeiten im Februar 2023 sind in Oberösterreich zwei Baggerfahrer verstorben. Sie sind von herunterkommenden Geröllmassen erschlagen worden.

Bürgermeister Franz Ragger bei der Baustelle
Bürgermeister Franz Ragger bei der Baustelle. © Dieter Arbeiter
Bauarbeiten am Hemmafelsen
Die Luftaufnahme zeigt den Hemmafelsen von oben. © Dieter Arbeiter

In einer aktuellen Klarstellung, die Franz Ragger unserer Redaktion geschickt hat, schreibt er: "Ich möchte betonen, dass wir alles in unserer Macht Stehende getan haben und weiterhin tun, um Guntschach so schnell wie möglich mit dem Rest der Welt zu verbinden. Leider haben unvorhersehbare Rückschläge und extreme Wetterbedingungen die Situation immer wieder erheblich verschärft."

Enttäuschte und wütende Dorfbewohner

Stefan Herzog berichtet, wie hoch die psychische Belastung ist: "Man hat das Gefühl, zwischen den einzelnen Behörden aufgerieben zu werden. Als einzige Ansprechperson hat man den Bürgermeister und dieser scheint sowohl mit der Kommunikation als auch mit der Situation komplett überfordert zu sein." Seine Kritik gilt jedoch nicht nur dem Bürgermeister, sondern dem gesamten Gemeindevorstand, dem Land Kärnten, der Bezirkshauptmannschaft und dem Bund.

"Seitens der Gemeinde ist die Kommunikation eine komplette Katastrophe. Uns wird in Interviews (in einer Reportage des "Standard", Anm. d. Red.) unterstellt, dass wir den Tod von Bauarbeitern in Kauf nehmen würden, was (...) einfach gelogen ist", macht Herzog seinem Ärger Luft. Herzog fühlt sich von der Gemeinde in mehrerlei Hinsicht im Stich gelassen, wie beispielsweise bei der Erstellung des Waldweges.

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Die Kritikpunkte der Guntschacher reichen noch weiter in die Vergangenheit zurück. Bereits seit den 70er/80er-Jahren gibt es die Empfehlung, den Hemmafelsen aus Sicherheitsgründen wegzusprengen. Dieser gilt allerdings als heilig und gehört seit 2007, wie auch die gesamte Ortschaft, zu Natura 2000 und ist damit ein Schutzgebiet. Herzog fragt sich, warum nicht bereits Jahre zuvor Sicherungsmaßnahmen am Felsen vorgenommen wurden oder warum keine Alternativroute zur bestehenden Straße gebaut wurde.

Er erzählt, dass bereits 2017 ein Felsbrocken mit einem Durchmesser von 80 Zentimeter durch das Netz gekracht ist. Dieses wurde daraufhin wieder repariert, ein geologisches Gutachten jedoch nie veröffentlicht. In einem offenen Brief an die Gemeinde fragten die Bürgerinnen und Bürger, wo denn das Gutachten dazu sei. Als Antwort hätten sie bekommen, ob die Frage eine rhetorische sei – so Herzog.

Zu den Vorwürfen möchte Ragger sich nicht telefonisch äußern.

Hubschrauber

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Ein risikoreiches Dorfleben

Seit 13 Monaten warten die Guntschacher inzwischen auf ihre Zufahrtsstraße. Indessen müssen sie weiter hoffen, dass keine unvorhersehbaren Unfälle geschehen.

Es steht zwar ein Feuerwehrauto in der kleinen Ortschaft, doch reicht das aus, sollte es zum Ernstfall kommen? Die Feuerwehr müsste zuerst mit der Fähre überfahren. Ist der Hubschrauber schnell genug vor Ort, sollte es einen medizinischen Notfall geben? Nachts oder bei Nebel kann beziehungsweise darf kein Hubschrauber des Roten Kreuzes fliegen. Das nächste Krankenhaus ist fast 13 Kilometer entfernt.

Die Gemeindemitglieder hoffen und bangen, dass alles gut geht und sie ihr gewohntes Leben bald wieder aufnehmen können. Laut Ragger und dem Leiter des Bauprojekts soll der Felsen im März abgetragen und die Straße im Frühjahr wieder befahrbar sein. Ob das wirklich so kommen wird, bleibt abzuwarten.

Verwendete Quellen

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