Am Sonntag bekommt Paul H. Besuch von der Polizei, begibt sich in psychiatrische Behandlung – und ersticht nur zwei Tage später in Grafing einen Mann. Wie kann es sein, dass Paul H. nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen wurde?

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Das kann passieren, leider, sagt Jörg Reinemer und seufzt. Der Sprecher der Gießener Polizei muss derzeit viele Fragen beantworten. Ein Routineeinsatz seiner Kollegen ist zum Epilog eines bundesweit beachteten Mordfalls geworden.

Paul H. stach am Bahnhof Grafing wahllos zu

Am frühen Dienstagmorgen hatte Paul H. in Grafing wahllos auf vier Männer eingestochen, einer davon erlag seinen Verletzungen. Noch am Sonntag waren Gießener Polizisten bei ihm, doch sie ahnten offenbar nicht, zu was der 27-Jährige fähig sein könnte.

Eine Fehleinschätzung, die vorkommen kann, sagt Polizeisprecher Reinemer. "Man kann ja nicht in den Kopf dieser Leute schauen."

Laut Zeugenaussagen rief Paul H. "Allahu Akhbar", einen islamistischen Hintergrund schließen die Ermittler allerdings aus. Eher vermuten sie, dass der Täter von Grafing ein schweres psychologisches Problem hatte. Aber warum war er dann auf freiem Fuß?

Verwandte von Paul H. hätten sich am Sonntag bei der Polizei gemeldet, rekonstruiert Reinemer den Einsatz seiner Kollegen. Paul H. mache einen verwirrten Eindruck und rede unzusammenhängendes Zeug, so die Verwandten. Also fuhren die Beamten in die Wohnung des arbeitslosen Schreiners.

Eine "gefahrenrechtliche Maßnahme", so Reinemer. "Strafrechtlich lag ja nichts vor." Der Auftrag in so einem Fall lautet also: klären, ob hier ein Fall für eine Einweisung vorliegt.

"Mehr gibt das Gesetz nicht her"

Die Vorgaben dazu sind im Hessischen Freiheitsentziehungsgesetz festgelegt, das in Paragraf 1 erlaubt, "geisteskranke, geistesschwache, rauschgift- oder alkoholsüchtige Personen" gegen ihren Willen in geschlossene Einrichtungen einzuweisen, wenn sie eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellen

Normalerweise muss ein Arzt konsultiert werden, bei "Gefahr im Verzug" kann die Polizei aber auch umgehend handeln, ein benachrichtigter Richter klärt allerdings parallel, ob die Maßnahme zulässig ist. So weit kam es im Fall von Paul H. allerdings nie.

Der 27-Jährige habe zwar einen "abwesenden Eindruck" auf die Beamten gemacht, sagt Polizeisprecher Reinemer. Allerdings habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass Paul H. sich oder andere verletzen könnte.

So ein Hinweis könnten verbale Drohungen sein, erklärt Reinemeier. "Wenn jemand zum Beispiel sagt: 'Ich bringe mich um', oder andere verbal bedroht." Auch der Besitz von verbotenen Waffen könnte unter Umständen auf Gefahr im Verzug deuten.

Nach einer Waffe hätten die Kollegen nicht gezielt gesucht, allerdings hätten sie Paul H. und seine Verwandten befragt und Daten und Fakten, wie zum Beispiel Vorstrafen, geprüft.

Selbst wenn das Survivalmesser, das H. als Tatwaffe diente, gefunden worden wäre, hätte das nicht unbedingt Auswirkungen gehabt. "So ein Messer darf ja jeder besitzen", sagt Reinemeier.

Weil nichts vorlag, hätten die Polizisten den Verwandten geraten, mit Paul H. in eine Psychiatrie zu fahren. "Mehr gibt das Freiheitsentzugsgesetzt einfach nicht her."

Auf Verdacht wegsperren geht nicht

In der Psychiatrie blieb Paul H. allerdings nicht lange. Er begab sich am Sonntagabend in die offene Behandlung, die er Montagvormittag wieder verließ.

Wenn ein Patient in dieser Zeit Auffälligkeiten zeigt, kann der behandelnde Arzt per Mitteilung an das Ordnungsamt oder die Polizei um eine Überweisung in die geschlossene Abteilung bitten. Zunächst aber muss sich ein Richter oder die Polizei vor Ort einen Eindruck von der Lage machen.

Diese Maßnahme gilt nur für 24 Stunden, danach gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Der Patient kann der weiteren Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung zustimmen. Und wenn er das nicht tut ...
  • ... entscheidet das zuständige Amtsgericht auf Grundlage einer ärztlichen Stellungnahme.

Auch dieser Weg wurde im Fall von Paul H. nicht beschritten. Seine Großeltern sagten der "tz", er sei aus der Behandlung "getürmt".

Warum er nach München fuhr, warum er dort vier Menschen angriff, all das müssen die Ermittler nun herausfinden. Klar scheint: Mit der gängigen Rechtslage hätte die Tat wohl nicht verhindert werden können.

"Das Kind muss eigentlich schon in den Brunnen gefallen sein, bevor die Behörden aktiv werden können", sagte der Augsburger Anwalt Walter Rubach in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung".

Als Statement gegen die aktuelle Regelung will er das aber nicht verstanden wissen: "Es hat gute Gründe, dass man niemanden auf Verdacht einfach wegsperren kann."

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