Lügen haben kurze Beine. Trotzdem wird in allen deutschen Gerichten gelogen. Doch das muss nicht immer zu einer Strafe führen. Wir haben mit dem Hamburger Strafrechtsanwalt Sascha Böttner darüber gesprochen, wann es gefährlich wird. Und welche möglichen Strafen bei Falschaussagen drohen.

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Herr Böttner, was ist eigentlich genau eine Falschaussage?

Sascha Böttner: Eine Falschaussage liegt vor, wenn ein Zeuge, der vor Gericht zu einem Beweisthema befragt wird, vorsätzlich falsche Angaben macht. Nicht nur das "Hinzudichten“ von falschen Tatsachen, sondern auch das Weglassen von relevanten Punkten ist eine Falschaussage. Man kann jedoch nur bezüglich Tatsachen falsch aussagen, nicht jedoch hinsichtlich Meinungen oder Gefühlen. Im Kachelmannprozess geht es darum, ob die behauptete Vergewaltigung stattgefunden hat oder nicht. Das ist natürlich eine Tatsache.

Was ist der Unterschied zu einem Meineid?

Der Unterschied ist der höhere Strafrahmen des Meineids. Zum Meineid kommt es erst, wenn eine Falschaussage beeidet wird, also ein Eid geleistet wurde. Das gibt es heutzutage nur noch selten. Vereidigt wird nur noch, wenn die Aussage eine ganz besondere Bedeutung hat. Außerdem gibt es außergerichtlich noch sogenannte eidesstattliche Versicherungen, etwa der Offenbarungseid. Im Unterschied zur Falschaussage ist auch ein fahrlässiger Meineid strafbar.

Was muss jemand befürchten, der eine Falschaussage getätigt hat?

Das ist eine relativ schwere Straftat, weil sie sich gegen die Strafjustiz richtet. Diese lässt sich ungern an der Nase herumführen. Das hat zur Folge, dass selbst Ersttätern hohe Strafen drohen. Sie sind zum Beispiel im Verhältnis zur Körperverletzung oder zum Betrug verhältnismäßig hoch. Eine Falschaussage wird bestraft mit mindestens drei Monaten und maximal fünf Jahren Gefängnis. Es droht also in der Regel selbst Ersttätern eine Freiheitsstrafe.

Wie sieht das im Fall Kachelmann für die Ex-Freundin aus?

Da steht wesentlich mehr auf dem Spiel. Im Falle einer Verurteilung würde es nicht nur um eine Falschaussage und eine falsche Verdächtigung, sondern auch um Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft gehen, denn Kachelmann wurde ja aufgrund der Aussage seiner Ex-Freundin inhaftiert. Bei einer Verurteilung würde wahrscheinlich eine Strafe herauskommen, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt wird. So war es auch im Fall einer Lehrerin aus Darmstadt. Sie behauptete vergewaltigt worden zu sein, der angebliche Peiniger kam ins Gefängnis. Dann kamen Zweifel auf und schließlich wurde die Lehrerin wegen Freiheitsberaubung zu mehr als fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Wie muss eine Falschaussage bewiesen werden?

Mittels einer Beweiswürdigung. Und wenn es keine objektiven Beweise gibt, steht Aussage gegen Aussage. Dann müssen die Aussagen bewertet werden. Im Fall Kachelmann ist es also völlig irrelevant, dass der Moderator bereits freigesprochen worden ist. Jedes Gericht ist unabhängig und kann Beweise anders bewerten. Das Landgericht Mannheim ist im Fall Kachelmann zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht aufklärbar sei, ob die Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat. Herrn Kachelmann geht es im jetzigen Prozess sicher nicht nur die Erstattung der rund 13.000 Euro Gutachterkosten, sondern auch um die Feststellung, dass die Tat nicht stattgefunden hat. Diese Frage kann das Zivilgericht anders beurteilen und ist nicht an das Strafurteil gebunden, weder in die eine noch in die andere Richtung. Es ist daher durchaus möglich, dass Herr Kachelmann über das Zivilverfahren zu der Feststellung kommt, dass die ihm zur Last gelegte Tat definitiv nicht stattgefunden hat. Die Beweiswürdigung im Strafurteil ist ja teilweise heftig kritisiert worden.

Wie häufig sind Falschaussagen in Deutschland?

Im Bereich des Sexualstrafrechts gibt es sehr selten Verfahren wegen Falschaussage. Der Grund ist: Die Gerichte machen es sich da so einfach wie möglich. Sie müssen nicht feststellen, was genau passiert ist. Es gilt im Zweifel für den Angeklagten, sofern nicht sicher festgestellt werden kann, dass der Angeklagte schuldig ist. Die Frage, ob die vorgeworfene Straftat stattgefunden hat, wird bei einem Freispruch häufig nicht geprüft, ebenso wie im Falle der Einstellung des Verfahrens.

Wie ist es bei anderen Gerichtsprozessen?

Da kommt es ständig vor, dass falsche Angaben gemacht werden. Es gibt ja den Spruch: Nirgendwo wird so viel gelogen wie vor Gericht. Zum Beispiel bei Zivilverfahren. Da gibt es die Version des Klägers und die Version des Beklagten. Oft sind das komplett unterschiedliche Realitäten. Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Ständig und permanent. Das gibt es auch in Strafprozessen. Ich habe schon vier verschiedene Zeugen mit vier verschiedenen Aussagen erlebt. Irgendwer muss ja lügen.

Kommt es nach Falschaussagen automatisch zu einem Prozess gegen den mutmaßlichen Lügner?

Nein. Die Staatsanwaltschaft müsste sehr oft ein Verfahren einleiten, doch meistens macht sie es nicht. Nur wenn ihr die Aussage bitter aufstößt.

Wie viele Verfahren wegen Falschaussage gibt es in Deutschland?

Das weiß ich nicht genau. Jedoch kommen nach meiner Schätzung vielleicht gerade einmal fünf Prozent der getätigten Falschaussagen zur Anzeige. Wenn überhaupt so viele. Ich würde sogar sagen: Es wird in fast jedem Prozess gelogen. Nur der Angeklagte hat jedoch die Möglichkeit, straflos zu lügen. Die Zeugen unterliegen der Wahrheitspflicht und machen sich einer Falschaussage schuldig, wenn Sie vor Gericht die Unwahrheit sagen.

Hintergrund zum Fall Kachelmann:

Am Mittwoch (30. Oktober) wird vor dem Frankfurter Landgericht der Zivilprozess um die Schadenersatzforderungen von TV-Moderator und Wettermann Jörg Kachelmann gegen seine Ex-Freundin fortgesetzt. Beide sollen in einer mündlichen Verhandlung gehört werden. Eine außergerichtliche Einigung war zuvor gescheitert. Nun verlangt Kachelmann von seiner ehemaligen Geliebten die Erstattung von rund 13.000 Euro für Gutachten, mit denen er sich im Strafprozess verteidigt hatte. Dabei ging es um den Vorwurf der Vergewaltigung.

Das Landgericht Mannheim hatte Kachelmann vor knapp zweieinhalb Jahren nach mehr als 40 Verhandlungstagen vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Der Vorsitzende Richter betonte damals bei der Urteilsverkündung: "Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist und im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin.“

Rechtsanwalt Sascha Böttner ist 38 Jahre alt, Fachanwalt für Strafrecht sowie Strafverteidiger. Er studierte an der Universität Kiel und promovierte im Strafrecht. Böttner bearbeitet im gesamten Bundesgebiet neben dem Strafrecht auch Fälle im Wirtschaftsstrafrecht und führt eine Kanzlei in Hamburg.
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