Schießereien auf offener Straße, Provokationen und Rachefeldzüge - Mitglieder der Rockergruppen "Bandidos" und "Hells Angels" führen mitten in Köln einen Bandenkrieg. Der Polizeipräsident der Domstadt spricht von Zuständen "wie im Wilden Westen". Was ist los in der Stadt am Rhein?

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Schon im Dezember 2017 schießen Rocker auf eine Kölner Shishabar - seither sind die Auseinandersetzungen in Köln immer weiter eskaliert: 2018 meldet die Polizei Schießereien im Februar, April und November, im Dezember wird sogar auf der Autobahn geballert - aus einem fahrenden Auto heraus.

Der vorläufige Höhepunkt ist erreicht, als am Vormittag des 4. Januar in der Nähe des Hauptbahnhofes Schüsse fallen. Die Polizei nimmt einen Verdächtigen mit scharfer Schusswaffe fest, zwei weitere Beteiligten können entkommen, verletzt wird niemand.

Doch schon am Abend geht es weiter: Im Stadtteil Buchheim nehmen Kriminelle eine Spielhalle unter Beschuss - offenbar eine Racheaktion für die Schüsse am Vormittag. 18 Kugeln werden abgefeuert, die in Knie- und Kopfhöhe in das Gebäude einschlagen.

Für die Polizei vor Ort steht relativ schnell fest: Der seit zwei Jahren stetig eskalierende Bandenkrieg zwischen den zwei Rockergruppen "Hells Angels" und "Bandidos" scheint weiter zu eskalieren - und es ist reines Glück, dass bisher keine Unbeteiligten zu Schaden gekommen sind.

Es könne "ja wirklich jeden treffen", resümiert Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob wenige Tage später vor der Presse und fügt hinzu, die Täter hätten offensichtlich "das Ganze überhaupt nicht unter Kontrolle."

Rocker ohne Motorrad und Führerschein

Doch scheint die Kontrolle auch und vor allem den Sicherheitskräften entglitten zu sein. Wie kann es sein, wird in Köln gefragt, dass zwei kriminelle Banden eine ganze Stadt derart in Atem halten können und es innerhalb eines Jahres zu acht Schießereien im Rockermilieu kommt?

Der ursprüngliche Auslöser einer jahrelangen Eskalation im Rockermilieu war wohl eine Polizeiaktion. Als Spezialkräfte im März 2016 ein Quartier der Kölner Hells Angels stürmten, zwölf Personen festnahmen und so den Charter "C-Town" zerschlugen (als "Charter" bezeichnen die Hells Angels ihre Ortsvereine), sei in der Kölner Rockerszene ein "Vakuum" entstanden. So formuliert es Klaus-Stephan Becker, Leiter der Direktion Kriminalität bei der Kölner Polizei, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Als sich Anfang 2018 auch der Nachfolge-Charter auflöste, um einem Verbot zuvorzukommen, wuchs der Druck auf die Hells Angels: Die Rockerbande der "Bandidos" macht seither ihre Ansprüche auf Geschäfte im Rotlicht-, Spielhallen- und Barmilieu immer aggressiver geltend.

Denn die Kölner Hells Angels und Bandidos sind alles andere als harmlose Motorradfans: In erster Linie handelt es sich um Kriminelle, die um die Vorherrschaft in einigen Bereichen des organisierten Verbrechens kämpfen.

Viele von ihnen hätten "nicht mal einen Führerschein, geschweige denn ein Motorrad", betont Polizeipräsident Jacob. Prinzipiell, so der Kripo-Chef, gelten überall dort, wo die beiden Gruppen sich begegnen, "informelle Absprachen auf der oberen Ebene der Banden." Das gelte nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern auch fürs Bundesgebiet. Mit einer Ausnahme: In Köln funktioniert das "friedliche Nebeneinander" der Kriminellen nicht mehr.

Aus Schulfreunden wurden brutale Konkurrenten

Dabei könnten die konkurrierenden Bandenchefs auch Kumpels sein: Bandidos-Anführer Aykut Ö. (31), ist ein einstiger Mitschüler des Hells-Angels-Chefs, Orhan A. (29). Doch von Freundschaft ist inzwischen keine Rede mehr. Im Gegenteil provozierten die Bandidos ihre Konkurrenten massiv - etwa, als Aykut Ö. seinen 30. Geburtstag ausgerechnet an den Kölner Ringen feierte.

Dieser Bereich um die Kölner Altstadt gehört traditionell zum Geschäfts- und Herrschaftsgebiet der Hells Angels. Später eröffnete die Frau des Bandido-Chefs sogar ein eigenes Lokal mitten im Revier der Konkurrenz.

"Das alles ist natürlich nicht verboten", sagt Klaus-Stephan Becker von der Kripo, "aber es war ein geplanter Verstoß gegen die Rockerehre". Und der Verstoß gegen solche ungeschriebenen Gesetze führt zu immer neuen Übergriffen und Attacken zwischen den Banden.

Becker sieht keine Versäumnisse bei der Kölner Polizei: Schon seit 2008 beschäftige man sich intensiv mit der ortsansässigen Rockerszene, habe ein eigenes Kommissariat für Bandenkriminalität - "wir haben sie immer wieder zerschlagen."

Dass die Situation bis zu den massiven Schießereien im Januar ausartete, sei trotz der jahrelangen Vorgeschichte auch für Köln eine unerwartete Entwicklung. Die Situation habe sich, so Becker, "seit November 2018 schnell aufgebaut", neu daran sei auch für die Polizei, "in welchem Umfang diese Leute scharf bewaffnet sind und ihre Waffen auch anwenden."

Gegen die Hintermänner fehlen die Beweise

Auf staatliche Versäumnisse etwa in der Gesetzgebung angesprochen, verneint Becker vehement: "Das ist ausdrücklich nicht der Fall!" Das im vergangenen Jahr geänderte nordrhein-westfälische Polizeigesetz ermögliche endlich genau die strategischen Fahndungen, mit deren Hilfe man nun gegen die Rocker vorgehe. Man wolle der betroffenen Klientel "massiv auf die Füße treten" hatte schon Polizeichef Jacob angekündigt.

Becker sieht bereits Erfolge dieser Strategie, für die Köln zusätzliche Kräfte aus dem ganzen Bundesland angefordert hat. So gab seine Behörde bekannt, man habe mithilfe der verschärften offenen Fahndung mittlerweile mehr als 50 Verfahren eingeleitet, sieben Fahrzeuge und Luxusautos beschlagnahmt, mehrere Waffen und einen hohen Bargeldbetrag sichergestellt. "Den Kontrolldruck auf das Milieu werden wir unvermindert hochhalten", versprechen die Ordnungshüter.

Größere Erfolge, etwa die Festnahme und Anklage der Bandenführer, brauchen allerdings mehr Zeit. "Maßgeblichen Personen" die Beteiligung an kriminellen Machenschaften zu beweisen, betont Klaus-Stephan Becker im Gespräch, sei im Bereich der organisierten Kriminalität schwierig und erfordere auch verdeckte Ermittlungen. Über die wird, verständlicherweise, die Öffentlichkeit zunächst nicht informiert.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Uwe Jacob, Polizeipräsident Köln, und Klaus-Stephan Becker, Leitender Kriminaldirektor Köln
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