In Israel haben hunderte Frauen gegen eine zunehmende Diskriminierung im öffentlichen Nahverkehr protestiert. "Es gibt keine Demokratie ohne Gleichheit", skandierten die Teilnehmerinnen eines Protestzugs am Donnerstag in dem überwiegend von ultraorthodoxen Juden bewohnten Tel Aviver Stadtteil Bnei Brak. Viele von ihnen schwenkten israelische Flaggen und trugen Schilder mit der Aufschrift "Wir sind gleich". Viele ultraorthodoxe Bewohner von Bnei Brak schauten zu, als die Demonstrantinnen vorbeizogen.

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Der Protest erfolgte vor dem Hintergrund zahlreicher Medienberichte über Ausgrenzung und Belästigung von Frauen im öffentlichen Nahverkehr in den vergangenen Wochen. Demnach wurden Frauen mehrfach aufgefordert, im hinteren Teil von Bussen Platz zu nehmen. Einigen von ihnen verweigerten Busfahrer den Medienberichten zufolge die Mitnahme, weil ihre Kleidung angeblich nicht den religiösen Anforderungen entsprach.

Laut einem der Medienberichte forderte etwa ein Busfahrer eine Gruppe von Jugendlichen in Tank-Tops und Jeans auf, sich nach hinten zu setzen und zu bedecken.

"Wir können sitzen, wo wir wollen, wir können tragen, was wir wollen. Wir sind frei", sagte die 63-jährige Schriftstellerin Kalanit Kain, die an der Kundgebung teilnahm.

"Nur weil einige religiöse Gruppen, ultraorthodoxe religiöse Gruppen, denken, dass Frauen die Quelle allen Übels sind ... bedeutet das nicht, dass wir das akzeptieren sollten", sagte die Anwältin Hila Mor-Senhavi vor der Kundgebung der Nachrichtenagentur AFP. Ihre zehnjährige Tochter solle in einer Welt aufwachsen, in der sie "nicht ausgeschlossen wird, weil sie eine Frau ist".

Ultraorthodoxe Juden machen mehr als zehn Prozent der israelischen Bevölkerung aus. In etlichen von Religiösen genutzten Buslinien sitzen die Fahrgäste seit den späten 1980er Jahren nach Geschlechtern getrennt. Aktivisten zufolge hat die Diskriminierung von Frauen in den vergangenen Jahren zugenommen.

Der Protest steht auch im Zusammenhang mit den wöchentlichen, gegen die Justizreform der Regierung gerichteten Protesten. Seit Jahresbeginn demonstrieren Menschen aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum Woche für Woche für Demokratie. Die Proteste richten sich insbesondere gegen die Pläne der rechtsreligiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum Umbau der Justiz. Diese zielen darauf ab, die Befugnisse der Justiz und des Obersten Gerichts einzuschränken und die Stellung des Parlaments und des Ministerpräsidenten zu stärken.

Ende Juli verabschiedete das israelische Parlament mit den Stimmen aller 64 Abgeordneten der Regierungsmehrheit die sogenannte Angemessenheitsklausel. Sie nimmt dem Obersten Gericht fortan die Möglichkeit, Regierungsentscheidungen als "unangemessen" einzustufen und sie außer Kraft zu setzen.

Kritiker fürchten infolge der Schwächung der Justiz um die Demokratie in Israel. Sie sehen zudem den liberalen Charakter des Landes in Gefahr. Netanjahus Regierungskoalition, der neben rechtsextremen auch ultraorthodoxe jüdische Parteien angehören, begründet die Reform mit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts bei der Gewaltenteilung.

Die Reform spaltet die israelische Bevölkerung. Die wöchentlichen Proteste haben sich mittlerweile zur größten Protestbewegung der israelischen Geschichte entwickelt. Demonstriert wird in zahlreichen Städten, auch in Jerusalem. Tel Aviv ist dabei Hauptschauplatz der Proteste.


  © AFP

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