Der Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine in Frankreich schockiert Deutschland. Die meisten Reaktionen in den sozialen Netzwerken waren bewegend. Doch eine kleine Minderheit versucht, mit geschmacklosen Witzen oder gezielten Fehlinformationen über den Flug 4U9525 fragwürdige Aufmerksamkeit zu erregen. Für unseren Social-Media-Redakteur wird damit eine Grenze überschritten. Er fordert die vernünftigen Nutzer auf, sich gegen die Unanständigen zu wehren. Ein Kommentar.
Am Dienstagmittag drehte sich mir binnen weniger Minuten gleich zweimal der Magen um. Mein Twitter-Feed spülte mir ein YouTube-Video auf den Bildschirm, das erst vor wenigen Minuten hochgeladen worden war. Zu sehen: Amateuraufnahmen, aus einem Auto heraus gefilmt, die zeigen, wie ein Flugzeug aus dem Nichts vom Himmel fällt und auf einem Acker aufschlägt. Der Flieger explodiert. Kein Insasse dieses Flugs konnte diesen Crash überlebt haben.
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass die Germanwings-Maschine in den französischen Alpen abgestürzt war. Es schien möglich, dass auf diesen Aufnahmen tatsächlich der vermeldete Crash zu sehen ist. Eine Stunde später war klar: Es handelt sich um einen Fake – trotz der Überschrift "Airbus-Flugzeug stürzt in Südfrankreich ab".
Noch größer als mein Entsetzen über den gesehenen Absturz war der Zorn darüber, auf einen Internettroll hereingefallen zu sein. Ein Mensch, der offensichtlich nichts Besseres zu tun hat, als gezielt Fehlinformationen auf Kosten der Opfer des Flugs 4U9525 zu streuen. Es ist nicht auszuhalten.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Eine überwältigende Mehrheit reagierte gestern auch in den sozialen Medien überaus feinfühlig auf die Tragödie. Und auch wenn die Diskussion über Voyeurismus bei Unglücksfällen durchaus berechtigt ist, sollten nicht alle Nutzer, die auf Falschmeldungen hereinfallen und diese weiterverbreiten, verurteilt werden. Eine Tragödie wie der Flugzeugabsturz in Frankreich bewegt die Menschen. Also teilen sie sämtliche Informationen, die sie dazu haben - auch ungeprüft.
Mehrere Fake-Bilder im Netz
Das Problem sind nicht die Leser, sondern Menschen, die aus solch einem tragischen Fall zweifelhaften Ruhm ziehen möchten. Der Flugzeugabsturz hat einmal mehr vor Augen geführt, wie viele Trolle in sozialen Netzwerken unterwegs sind. Denn nicht nur das genannte Video kursierte im Internet, auch mehrere Fake-Bilder, die das abgestürzte Flugzeug zeigen sollen, sorgten für Gesprächsstoff. Die Folge: Onlineportale fühlen sich inzwischen sogar genötigt zu vermelden, dass ein bestimmtes Bild nicht das verunglückte Flugzeug zeigt.
Nicht viel besser als die Urheber von Falschmeldungen sind Nutzer, die nicht wissen, in welchem Moment es angemessen wäre die Klappe zu halten. Angeführt wurde diese Gruppe am Dienstag vom österreichischen Rapper Money Boy, der mit Witzen über den Absturz via Twitter auf den Opfern herumtrampelte – auch wenn er im Verlauf des Tages versuchte seine Mitteilungen zu relativieren:
Wer in den sozialen Netzwerken zu Hause ist, hat sich an viele Geschmacklosigkeiten gewöhnt. Sportler und Kommentatoren werden aufs Übelste beleidigt, Nazis hetzen gegen Ausländer, als Satire getarnte Niveaulosigkeiten sollen für Aufmerksamkeit sorgen.
Grenze wurde deutlich überschritten
Zu verhindern ist das nicht – und es ist kaum möglich, solche Facebook-Posts oder Tweets zu übersehen. Irgendeinen Nutzer gibt es in jeder personifizierten Timeline, der etwas Ärgerliches teilt. Am gestrigen Dienstag wurde dennoch von einer unverbesserlichen Minderheit eine Grenze deutlich überschritten.
Was könnte helfen? Im kleinen Rahmen das konsequente Entfolgen der "falschen" Freunde. Das versteht sich ebenso von selbst wie die Nutzung der Option, User zu blockieren. Doch noch mehr Menschen sollten beginnen, die richtigen Buttons zu nutzen. Auf Facebook kann man Beiträge melden und diese Meldung begründen. Gleiches gilt für Twitter. An dieser Stelle sind natürlich auch die sozialen Netzwerke selbst gefragt. Sie sollten konsequenter gegen Inhalte und Personen vorgehen, deren Verhalten nicht akzeptabel ist. Darüber schwebt (in einzelnen Fällen) die Frage der strafrechtlichen Relevanz. Erst gestern wurde in Österreich ein Mann wegen rechtsradikaler Postings verurteilt. Man würde sich wünschen, dass solche Anklagen öfter erhoben würden. Denn auch wenn sich die Grenzen online zu verschieben scheinen, ist und bleibt das Internet kein rechtsfreier Raum.
Stefan Raab, bekannt als einer der größten Rüpel der Fernsehgeschichte, hat gestern seine Sendung "TV Total" abgeblasen und gesagt: "Es gibt Tage, an denen gibt es nichts zu lachen." Das trifft den Nagel auf den Kopf. Und gilt auch für die sozialen Medien.
Es ist an der Zeit, dass all die vernünftigen Nutzer gemeinsam gegen jene Nestbeschmutzer vorgehen, die diese Botschaft nicht verstehen wollen.
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