Österreichs Bundesregierung plant ein Kopftuchverbot für bestimmte Amtsträgerinnen. Werden Muslimas damit gezwungen, gegen die Regeln ihrer Religion zu verstoßen? Experten verneinen.
Der Fall hat in den vergangenen Tagen weit über die Grenzen Italiens hinaus Wellen geschlagen: In Bologna rasierte eine Mutter ihrer 14-jährigen Tochter den Kopf ab – weil diese sich entgegen den elterlichen Anweisungen geweigert hatte, ein Kopftuch zu tragen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die aus Bangladesh stammende Mutter, die sich keiner Schuld bewusst ist: Die Strafaktion sei ihre "normale religiöse Pflicht gewesen". Sie habe es doch nur gut gemeint.
Derart extreme Sanktionen gegen junge Muslimas, die sich nicht an die religiösen Traditionen halten möchten, sind aus Österreich nicht bekannt. Doch das Thema Kopfbedeckung beschäftigt auch hierzulande die muslimische wie die nichtmuslimische Öffentlichkeit gleichermaßen – nicht erst, seitdem die Regierung ein neues Integrationsgesetz auf Schiene gebracht hat, das bestimmten Amtsträgerinnen wie Polizistinnen, Staatsanwältinnen oder Richterinnen die Verhüllung des Kopfes aus religiösen Gründen untersagen soll.
Glaube sei Privatsache und habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen, argumentieren die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP. Dem gegenüber stehen islamische Organisationen und Menschenrechtsorganisationen, die in dem Gesetz einen unzulässigen Eingriff in Privatangelegenheiten sehen.
Was wirklich im Koran steht
Die Fronten sind verhärtet. Dabei wird oft übersehen, dass die Gründe, warum muslimische Frauen ein Kopftuch tragen, vielfältig sind – und oft mit Religion weniger zu tun haben, als es den Anschein hat. Denn die Frage, ob eine muslimische Frau zwingend ein Kopftuch tragen muss, lässt sich aus dem Koran keineswegs eindeutig ableiten.
Daher hat auch die muslimische Community in Italien das Vorgehen der eingangs beschriebenen Mutter scharf verurteilt. Der Koordinator der islamischen Gemeinde in Bologna, Yassine Lafram, nannte ihr Vorgehen einen Akt "unerträglicher Gewalt", der nicht im Einklang mit den religiösen Vorgaben des Islams sei.
"Der Koran schreibt weder Kopftuch noch Vollverschleierung vor", sagt der Linzer Islamexperte Karl Jaros gegenüber unserer Redaktion. Lediglich sei davon die Rede, "dass sich Männer wie Frauen außer Haus anständig kleiden sollen."
Erst recht gebe im heiligen Buch der Muslime keine Anweisung, dass Frauen neben dem Haar auch auch ihr Gesicht verhüllen sollten. Das sei erst später "aufgrund orientalischer und byzantinischer Sitten hineininterpretiert." Soll heißen: Historisch betrachtet ist das Kopftuch weniger ein religiöses als ein kulturelles Symbol.
Sure im Wortlaut
Tatsächlich gibt es im Koran nur drei Suren, aus denen sich eine Vorgabe an Frauen, Tücher zu tragen, ableiten ließe. Am deutlichsten noch an dieser Stelle: "Sag den gläubigen Frauen, ihren Blick zu senken und auf ihre Keuschheit zu achten, und nicht ihre Reize (in der Öffentlichkeit) über das hinaus zu zeigen, was davon sichtbar sein mag; darum sollen sie ihre Kopfbedeckungen über ihre Busen ziehen" (24:30-31).
Nach Ansicht der meisten Koranexperten lässt sich daraus aber kein religiöser Zwang zum Kopftuch - und erst recht nicht zur Verhüllung des Gesichts - ableiten. Das Kopftuch habe mehr mit der arabischen Kultur als mit dem islamischen Glauben zu tun, argumentiert die Schweizer Islamexpertin Saïda Keller-Messahli. Eine Muslima, die dies Tradition ablehne, mache sich auch bei strenger Auslegung des Islam nicht schuldig, denn: "Rein theologisch lässt sich daraus kein Fehlverhalten ableiten".
Kopftuch - vergleichbar mit einem Tattoo?
Das bestätigt auch Zekirija Sejdini, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Innsbruck. Er hat sich auf dem von ihm herausgegebenen Islamportal eingehend mit dem Thema beschäftigt. In seinem Beitrag heißt es: "Aus dem Koran geht nicht eindeutig hervor, wie die Form der Kleidung auszusehen hat und welche Körperteile unbedingt wie verhüllt werden müssen." Allerdings sei davon auszugehen, dass die Mehrheit der muslimischen Frauen das Tragen des Kopftuchs durchaus als Verpflichtung empfinden.
Die Gründe, warum Frauen sich für ein Kopftuch entscheiden, seien aber höchst unterschiedlich, merkt die Wiener Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger im Gespräch mit unserer Redaktion an. Sie hat sich mit dem gesellschaftlichen Aspekt des Kopftuchs in Österreich eingehend beschäftigt. So sei die Verhüllung des Haares für viele junge Frauen eine Form des Protests: "Sie wollen sich damit bewusst von einem atheistischen Elternhaus abgrenzen."
Das Kopftuch wäre demnach für sie, was für andere Gleichaltrige ein Tattoo oder ein Piercing: Ein Akt der Auflehnung, der mit Religion nur am Rande was zu tun hat.
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