Viele Frauen und Männer in Deutschland fühlen sich bedroht – nicht nur seit den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof. Das Interesse an Waffen steigt. Doch die vermeintliche Sicherheit, die Pfefferspray und Schreckschusswaffen bieten sollen, ist trügerisch. Experten warnen vor den Gefahren der Aufrüstung.
Google weiß, was die Deutschen beschäftigt. Suchanfragen mit Begriffen wie "Kleiner Waffenschein", "Pfefferspray" oder "Elektroschocker" sind zuletzt deutlich angestiegen.
Schon im Herbst 2015 zeigte sich ein wachsendes Interesse an diesen Themen, seit Jahresbeginn ist es noch einmal deutlich in die Höhe geschnellt.
Auf das Gefühl der Bedrohung mit der eigenen Bewaffnung zu reagieren, kannten die Menschen in Deutschland bislang vor allem als amerikanisches Phänomen.
Mit fatalen Folgen: In den USA sterben jedes Jahr rund 30.000 Menschen durch Schusswaffen, durchschnittlich 100.000 werden durch sie verletzt.
Insgesamt starben dort seit 1979 mehr Kinder gewaltsam durch Feuerwaffen als US-Soldaten im Vietnamkrieg.
Polizei rät von Pfefferspray ab
So weit sind wir in Deutschland noch lange nicht. Doch es zeigt deutlich, wie gefährlich die Annahme ist, sich mit Waffen schützen zu können.
So fühlen sich gerade viele Mädchen und Frauen mit Pfefferspray in der Handtasche beim Ausgehen sicherer.
Verschiedenen Berichten zufolge soll der Verkauf des auf Chili basierenden Sprays in Online-Shops und entsprechenden Läden derzeit boomen.
"Aus polizeilicher Sicht halte ich von Pfeffersprays und Ähnlichem überhaupt nichts", sagt Gottfried Schlicht, Pressesprecher der Polizei München.
Der Umgang mit solchen Geräten müsse erst gelernt und geübt werden. "Sonst geht nicht der Angreifer K.o., sondern man selber."
Die "Pseudo-Sicherheit" könnte auch dazu führen, dass die Frauen ein größeres Risiko eingehen oder bessere Alternativen übersehen, wie das aktive Ansprechen und Auffordern zur Hilfe von Menschen in der Umgebung.
Pfefferspray ist in vielen Ländern verboten oder waffenscheinpflichtig. Auch in Deutschland darf es nur zur Abwehr gegen Tiere eingesetzt werden, eine entsprechende Kennzeichnung auf der Dose ist Pflicht.
Nur Notwehr, sonst Körperverletzung
Gegen Menschen dürfen sie nur in unmittelbarer Notwehr eingesetzt werden, sonst verübt der Benutzer eine schwere Körperverletzung.
Medienberichten zufolge verzeichnen viele Regionen in Deutschland seit einigen Monaten eine größere Zahl an Anfragen nach dem kleinen Waffenschein, der für Schreckschuss- oder Gaswaffen gilt.
"Für die Polizei ist es Anlass zur Besorgnis, weil die Beamten nicht wissen, was genau das Gegenüber da aus der Tasche zieht", meint Schlicht.
Auch hier kann sich die Waffe bei unsachgemäßem Gebrauch gegen den Besitzer wenden.
Scharfe Schusswaffen
Während in den USA das Grundrecht auf eine Waffe in der Verfassung verankert wurde, ist hierzulande der private Besitz von Feuerwaffen verboten.
Die Auflagen für Waffenscheine für Jäger, Sportschützen und Sicherheitskräfte sind hoch.
Im November 2015 waren in Deutschland 1,54 Millionen Waffenbesitzer und 5,79 legale Waffen im Nationalen Waffenregister (NWR) erfasst.
In den vergangenen Jahren gab es einen leichten Anstieg bei beiden Zahlen. So waren im November 2014 1,51 Millionen Waffenbesitzer und 5,7 Millionen Waffen registriert.
Auf teils rechtsmotivierten, einschlägigen Internetportalen gibt es Anweisungen, wie Bürger legal an Waffen kommen können.
Doch eine tödliche Waffe im Haus zu haben bedeutet nicht mehr Sicherheit – im Gegenteil.
In den USA sterben jedes Jahr allein 100 Kinder durch Unfälle mit Schusswaffen. In Deutschland sterben laut Statistischem Bundesamt rund 70 Personen jährlich bei Angriffen oder Unfällen mit Feuerwaffen.
Tipps zur Selbstverteidigung
Vor allen Dingen gilt es trotz der derzeit angespannten Debatte Ruhe zu bewahren. Panik ist nie ein guter Ratgeber.
Deutschland ist immer noch eines der sichersten Länder der Welt. Und die Gefahr von Gewalt oder sexuellen Übergriffen ist für Frauen in den eigenen vier Wänden immer noch größer als auf der Straße.
Wer dennoch allein unterwegs ist, sollte auf sein Bauchgefühl hören, rät Polizeisprecher Schlicht.
Dazu gehört, unsichere Situationen und alles, was einem nicht geheuer erscheint, zu vermeiden - zum Beispiel dunkle Straßen oder Unterführungen, auch wenn sie den Weg abkürzen.
Es hilft auch, selbstbewusst aufzutreten. Ein Täter will keine Gegenwehr. Wer dennoch angegangen wird, sollte seinen Gegenüber laut und mit "Sie" ansprechen, sodass klar wird, dass die Person nicht bekannt ist.
Mögliche Helfer in der Nähe sollten immer gezielt angesprochen werden, führt Schlicht weiter aus. Eine weitere Möglichkeit sei auch, eine Trillerpfeife oder einen schrillen Alarm mitzunehmen.
Zum einen werden dadurch Täter erschreckt, zum anderen werde auf die Situation aufmerksam gemacht.
Auch das Handy sollte immer griffbereit sein - vielleicht auch mit vorgewählter "110", um im Fall einer Gefahr nur noch einen Knopf drücken zu müssen.
Um sich sicherer zu fühlen, kann ein kostenloser Präventionskurs der Polizei oder auch ein meist kostenpflichtiger Selbstverteidigungskurs von verschiedenen Anbietern helfen.
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