Geboren in Bulgarien, aufgewachsen im Schwarzwald, gesucht auf der ganzen Welt. Wie wurde Ruja Ignatova von einer äußert begabten Schülerin zur milliardenschweren Betrügerin und meistgesuchten Frau des FBI?

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Wenn es nach Ruja Ignatova geht, ist ihre Geschichte eine royale. Sie nennt sich selbst "Kryptoqueen" und beeindruckt ihre Anhänger mit der vermeintlich perfekten Selfmade-Story - von der Außenseiterin zur Leiterin eines Imperiums. Geboren ist sie 1980 in Bulgarien, im Alter von zehn Jahren folgt der Umzug mit ihren Eltern und ihrem Bruder ins beschauliche Schramberg im Schwarzwald. In der Schule überspringt sie gleich zwei Klassen, studiert mit Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung Rechtswissenschaft in Konstanz, wird dort 2005 promoviert. Später macht sie ihren Master an der englischen Elite-Universität Oxford und arbeitet dann bei der Unternehmensberatungsfirma McKinsey.

Würde man Ruja Ignatovas Geschichte nur bis hierhin erzählen, sie wäre ein Paradebeispiel von gelungener Integration eines Einwandererkinds. Dann kündigt sie ihren gut bezahlten Job für einen Neuanfang.

"Icequeen" und "Kryptoqueen": Wir wollen Königinnen sein

Ignatova will mehr - vor allem mehr Geld. Eine wichtige Rolle in dieser nun anstehenden Lebensphase spielt Asdis Ran, ein isländisches Model, das in Sofia lebt und in Bulgarien sehr bekannt ist. Die beiden lernen sich 2009 auf einer Party kennen. Ignatova ist begeistert von der Frau, die auch als "Icequeen" bekannt ist.

Ignatova (r.) und Ran (l.) lernten sich 2009 auf einer Party kennen. © WDR-Dokumentation "Die Kryptoqueen"

Das Rampenlicht, der Erfolg und das divenhafte Auftreten von Ran fesseln sie. In einer WDR-Dokumentation zeigt sich: Die Freundschaft zum Model eröffnet Ignatova neue Möglichkeiten. "Sie wollte die reichste Frau der Welt werden", sagt Asdis Ran. Die Deutsche träumt davon, das "neue Facebook" zu erschaffen. Soll heißen: Sie möchte bei einem sich neu entwickelnden Milliardengeschäft ganz vorne mit dabei sein. Wie es der Zufall will, entsteht zur selben Zeit genau so ein neues, aufregendes Geschäft. 2009 kommt die Kryptowährung Bitcoin auf den Markt.

Inspiriert von der "Icequeen", wird sich Ignatova später "Kryptoqueen" nennen, die beiden werden sich wie Königinnen fühlen. Auf dem Weg dorthin stellt die Isländerin ihrer neuen Freundin ein paar schwedische Freunde vor. Einer davon wird maßgeblichen Anteil am späteren Betrug haben: Sebastian Greenwood. Er und Ignatova arbeiten erst zusammen, haben dann eine Affäre und entwickeln schließlich gemeinsam als Liebespaar einen kriminellen Masterplan.

Die Multi-Milliarden-Idee

Es ist 2013, der Bitcoin boomt. Immer mehr Erfolgsgeschichten von privaten Anlegern landen in den Medien. Zu diesem Zeitpunkt kann man mit ein paar Euro Investition in die neue Online-Währung in wenigen Jahren Millionär werden. Wer Anfang 2010 gerade mal fünf Euro anlegt, hat Ende 2013 mehr als drei Millionen.

Die Pläne von Ignatova und Greenwood sind aber größer. Sie möchten dem Bitcoin Konkurrenz machen. Nicht nur investieren und spekulieren, sondern selbst ganz oben in der Nahrungskette stehen. Die beiden entwickeln die Kryptowährung OneCoin.

Zum Marktstart 2014 kommuniziert das Paar eine so simple wie geniale Botschaft in die Welt: OneCoin ist die Kryptowährung für Leute, die nicht viel von der neuen Währungsform verstehen. Wer den Hype um Bitcoin verpasst hat, soll nun in OneCoin investieren, um schnell reich zu werden. Es soll schon bald die Nummer Eins der Krpytowährungen werden, der "Bitcoin-Killer". Sie werben mit hohen Gewinnen für Einsteiger. Der Wert der neuen Währung soll angeblich immer weiter in die Höhe schießen.

Die Strategie funktioniert. Nur ein Jahr nach Gründung entsteht ein regelrechter Hype um OneCoin. Aus einzelnen privaten Anlegern entsteht eine Community - und daraus schnell eine sektenähnliche Bewegung. OneCoin-Anhänger nutzen ihr eigenes Handzeichen als Erkennungszeichen, wer investiert ist Teil einer "Familie", es gibt sogar einen offiziellen Song. Wer die Kryptowährung dagegen kritisch betrachtet, wird zum Feindbild und als "Hater" abgestempelt - jemand, der nur neidisch ist.

Grafik aus OneCoin Werbevideo von 2016. © OneCoin Werbevideo "About Onelife"

Und Ignatova selbst? Wird Kult. Die Firma veranstaltet riesige Shows auf dem ganzen Globus. Greenwood fungiert als charismatischer Moderator, Ignatova wird als Speakerin von den Anhängern gefeiert wie ein Popstar. Etwa im Sommer 2016 bei einem Auftritt in Wembley, London, vor zehntausenden Investoren. Ihre Fans nennen sie nur noch "Dr. Ruja", verehrt als Koryphäe. Ignatova hat, was sie immer wollte. Macht, Aufmerksamkeit und vor allem: extrem viel Geld. Doch nicht alles, was glänzt, ist Gold.

Wie funktioniert OneCoin?

Krypto ist eine digitale Währung. Sie ermöglicht bargeldlosen Zahlungsverkehr, unabhängig von Banken und Behörden. Der Bitcoin beispielsweise ist öffentlich handel- und einsehbar. Der Preis richtet sich nach Angebot und Nachfrage. OneCoin funktioniert so nicht.

Neue OneCoins entstehen nicht durch einen Wertschöpfungsprozess, sie werden einfach an jeden verteilt, der kauft. Wie viel der Coin wert ist, findet man nicht bei Suchmaschinen oder unabhängigen Portalen - sondern ausschließlich bei OneCoin selbst. Und der angegebene Wert rast scheinbar unaufhaltsam immer weiter nach oben.

"Dr. Ruja" kündigt auf ihren Events immer wieder an, dass OneCoin schon bald öffentlich handelbar wäre. Dann könne man die Online-Währung auch erstmals großflächig in echtes Geld eintauschen und zu Dollars oder Euros machen. Der gelistete Handelsstart verschiebt sich aber immer weiter nach hinten. Trotzdem investieren immer mehr Leute. Laut Buzzfeed glauben allein in Deutschland 60.000 Leute an den großen Wurf, weltweit investieren 3,5 Millionen Menschen in OneCoin. Allein in 2016 nehmen Ignatova und Greenwood 1,8 Milliarden Euro ein, insgesamt sollen es mindestens vier Milliarden sein. Wie viel die Anleger davon haben? Nichts.

Von Milliardären und gefühlten Millionären

Ignatova lebt im Luxus. Ein Bericht des "Spiegel" legt offen, dass sich die "Kryptoqueen" oft in Dubai aufhält und dort in den vornehmsten Lagen einkauft. Sie leistet sich persönliche Bodyguards, lässt sich behandeln wie eine echte Königin. Mehr als zwei Dutzend Luxus-Immobilien im Emirat lassen sich der Führungsriege von OneCoin zuordnen. Hinzu kommen teure Immobilien von Ignatova, etwa in Frankfurt am Main und in Sofia. Im Podcast "Macht und Millionen" von "Businessinsider" heißt es, einzelne Wohnungen seien nur dafür da gewesen, das ganze Bargeld zu verstauen. Ganze Appartments als übergroße Safes. "Dr. Ruja" hat so viel Geld, sie weiß offenbar nicht, wohin damit.

Zu diesem Zeitpunkt, Ende 2016, hoffen auch Millionen ihrer Anleger auf Reichtum. Schlimmer noch: Einige fühlen sich bereits als Multimillionäre. Schließlich beobachten sie den OneCoin-Kurs, der weiter steigt und steigt. Es ist ein leichtes für die Investoren, sich auszurechnen, wie viel Geld sie bereits verdient haben. Auch wenn die Investition online ist und sich bisher nicht in Dollars oder Euros umwandeln lässt. Aber das soll laut "Dr. Ruja" ja schon bald passieren. Doch dann ist Ignatova plötzlich weg. Sie verschwindet spurlos.

Das OneCoin-Quartier in Sofia, Bulgarien, im Sommer 2019. © IMAGO/Zoonar.com/Cylonphoto

OneCoin: Ein Sportwagen ohne Motor

Im Oktober 2017 ist die "Kryptoqueen" von einem Tag auf den anderen einfach weg. Am 25. Oktober 2017 kauft sie zwei Flugtickets ab Sofia - eines nach Wien, eines nach Athen. Sie steigt in das Flugzeug nach Athen. Dort wird sie am Flughafen von zwei russischen Männern abgeholt. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr.

Dann platzt die Finanzbombe und die Wahrheit kommt ans Licht. OneCoin ist keine Kryptowährung. OneCoin ist überhaupt keine Währung. Die stetig steigenden Zahlen im OneCoin-Kurs? Sie sind ausgedacht von "Dr. Ruja", es sind Zahlen ohne Wert. Kriminalämter aus Deutschland, Bulgarien, Finnland, Norwegen, Litauen, China und Schweden ermitteln bereits Anfang 2016 gegen die Firma. 2017 schaltet sich die US-Finanzbehörde ein, parallel wird die Firma in Deutschland verboten. OneCoin ist wie ein Sportwagen ohne Motor - sieht schick aus, es passiert aber nichts.

Wie läuft der OneCoin-Betrug?

Das Unternehmen setzt auf Multi-Level-Marketing. Verkäufer werben Käufer, die selbst zu Verkäufern werden, die Käufer werben - ein Schneeballsystem. Je weiter oben man in dieser Pyramide ist, desto mehr Profit macht man. OneCoin ist für diese Masche perfekt geeignet. Das große Versprechen von Profit, ein nicht greifbares Produkt, das unendlich oft verkauft werden kann, und eine neue Technologie, von der viele zwar schon gehört haben, die die wenigsten aber wirklich verstehen.

Ignatova zählt beim FBI zu den Top Zehn der meist gesuchten Verbrecher. © AFP/HANDOUT

"Dr. Ruja" ist das seriös wirkende Aushängeschild der Firma. Sie hat an einer Elite-Universität studiert, einen Doktor und bei einer renommierten Unternehmensberatung gearbeitet. Die Massen sind überzeugt von der "Kryptoqueen". All das, obwohl man sich über die Auszahlungsplattform von OneCoin nur kleine Summen zurücksenden lassen kann. Zahlreiche Anträge werden auch schlicht abgelehnt. 2017 macht die Auszahlungsplattform dann plötzlich dicht. So sind die OneCoins effektiv wertlos.

Manche Betrugsopfer verlieren nur einige Euro mit der Masche. Allein in Deutschland gibt es aber auch zahlreiche Fälle, in denen Menschen zehntausende Euro nie wieder zurückbekommen. Aufgrund des vermeintlichen Erfolgs haben gutgläubige Privatinvestoren ihren Familien geraten, Geld in den OneCoin zu stecken. Wie hoch der Gesamtschaden ist, ist unklar. US-Behörden gehen von vier Milliarden Dollar aus, andere Schätzungen kommen auf bis zu 15 Milliarden.

Während die Masse an Anlegern auf der Strecke bleibt, verdienen einige Hunderte an der Spitze mit dem Schneeballsystem Millionen. Die, die am meisten verdient, ist gleichzeitig das Mastermind hinter dem Betrug: Dr. Ruja Ignatova.

Wo ist Ruja Ignatova?

Schillernde Partys, zahlreiche Luxus-Immobilien, eine eigene Jacht und sogar ein eigenes Erdgasfeld. Alles finanziert von der Insolvenz ihrer Opfer. Als die ermittelnden Behörden ihr immer dichter auf den Fersen sind, verschwindet Ignatova - und taucht nie wieder auf.

Wo sie heute ist, weiß keiner. Es gibt aber viele Mutmaßungen. Sie soll sich einer Operation unterzogen haben, die ihr Aussehen verändert hat, und undercover leben. Vielleicht in Sofia, Frankfurt, London, Moskau oder Dubai. Oder sogar auf einer Jacht im Mittelmeer. Ein BBC-Podcast dokumentiert die Jagd nach ihr.

Eine weitere Theorie, die unter anderem in einem WDR-Podcast aufgegriffen wird: Ignatova soll tot sein. Der bulgarische Drogenboss Christoforos Amanatidis alias "Taki" könnte sie ermordet haben. Er soll einer derjenigen sein, der sein Geld über OneCoin gewaschen hat. Die Theorie: Weil Ignatova zu auffällig wird und die Ermittler ihr zu nahe kommen, bekommt "Taki" Angst, dass auch er auffliegen könnte. Seine Leute holen Ignatova vom Flughafen Athen ab, später tötet er sie. Was wahr ist, bleibt unklar.

Fakt ist: In einer 2025 veröffentlichten "Most Wanted" Liste des FBI steht Ruja Ignatova, die deutsche Krypto-Abzockerin, auf Platz drei der meistgesuchten Verbrecher der Welt. Sie ist die einzige Frau auf dieser Liste.

Kaum vorstellbar, aber wahr: Trotz alldem ist das Geschäft mit OneCoin noch nicht vorbei.

Lang lebe OneCoin?

Auch 2025 gibt es noch Menschen, die ihr Geld in die Fake-Währung investieren. Obwohl Ignatova die meistgesuchte Frau der Welt ist. Obwohl ihr ehemaliger Lebensgefährte und Firmenpartner Sebastian Greenwood seit 2018 wegen Geldwäsche und Wertpapierbetrug im US-Gefängnis sitzt. Obwohl ihr Bruder Konstantin Ignatov, der nach ihrem Verschwinden zunächst die Geschäfte übernommen hat, ebenfalls ins Gefängnis musste.

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Personen, die dem System angeschlossen sind, nehmen dennoch weiter Gelder entgegen. Dabei ist die Börse ja schon seit 2017 geschlossen. Vor allem in Entwicklungsländern wird bis heute Geld mit dem System gemacht. Einzelne, verbliebene Anhänger möchten den Behörden keinen Glauben schenken. Sie halten weiter zu ihrer "Kryptoqueen".

Mit der Deutschen beschäftigt sich sogar Hollywood. 2020 kündigt die Produktionsfirma MGM an, den Fall unter dem Namen "Fake!" verfilmen zu wollen. Die Hauptrolle soll "Titanic"-Star Kate Winslet spielen. Untergegangen ist nicht nur die "Titanic", sondern auch der OneCoin - und für die allermeisten Investoren gibt es keine Rettungsboote.

Verwendete Quellen