Ein Familienvater aus Afghanistan sitzt 27 Tage lang in Bayern in Abschiebehaft. Zu Unrecht? Nein, meint der BGH. Als Begründung reicht den Richtern, dass der Mann unbedingt in Deutschland bleiben wollte.
Weder der Freistaat Bayern noch die Bundesrepublik müssen einem afghanischen Flüchtling eine Entschädigung für einen knappen Monat in Abschiebehaft zahlen. Die Anordnung der Haft sei in seinem Fall rechtmäßig gewesen, entschied der Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag. (Az.: III ZR 67/18)
Menschen, die unrechtmäßig in Haft saßen, haben nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention Anspruch auf Schadenersatz.
Im Fall des Afghanen hatte das Landgericht München I nach 27 Hafttagen den Vollzug ausgesetzt und die Freiheitsentziehung für rechtswidrig erklärt. Der Mann hatte 2013 versucht einzureisen. Weil er schon in der Slowakei Asyl beantragt hatte, sollte er dorthin abgeschoben werden.
Um das sicherzustellen, ließ ihn die Bundespolizei in Haft nehmen. Der Mann wurde in die Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim gebracht. Seine Frau und die kleine Tochter kamen in eine Passauer Flüchtlingsunterkunft.
Bewertung ist für BGH nachvollziehbar
Im Entschädigungsprozess hatten sich die Vorinstanzen an die festgestellte Rechtswidrigkeit gebunden gesehen und die Entscheidung des Landgerichts nicht mehr hinterfragt. Sie sprachen dem Afghanen 810 Euro zu - für jeden Tag in Haft 30 Euro Entschädigung.
Dafür sehen die obersten Zivilrichter des BGH keine Grundlage. Der Grund dafür ist, dass an dem ersten Verfahren - wie bei allen Streitigkeiten wegen Zurückschiebungen - nur die Bundespolizei beteiligt war und nicht das Land. Der Freistaat Bayern, der die Entschädigung zahlen sollte, wurde zu dem Fall also nicht gehört.
Die Karlsruher Richter überprüften deshalb selbst noch einmal, ob die Abschiebehaft wirklich konventionswidrig war. "Das haben wir verneint", sagte der Senatsvorsitzende Ulrich Herrmann bei der Urteilsverkündung. Bei der Frage, ob Fluchtgefahr besteht, gebe es nicht die eine richtige Entscheidung. Die Bewertung müsse aber nachvollziehbar sein. Das ist für den BGH hier der Fall. Der Mann habe den Bundespolizisten gesagt, dass es in der Slowakei "wie im Gefängnis" sei und er auf gar keinen Fall dorthin zurück wolle.
Wegen der Beteiligung der Bundespolizei richtete sich die Klage auch gegen den Bund. Weil die Haft von Landesrichtern angeordnet wurde, ist laut Urteil aber allein Bayern als Hoheitsträger verantwortlich.
Höhe der Entschädigung spielt keine Rolle
Der Mann hatte auch einen Verstoß gegen das sogenannte Trennungsgebot geltend gemacht. Nach EU-Recht dürfen Abschiebehäftlinge nicht zusammen mit Straftätern in normalen Gefängnissen untergebracht werden.
Daraus ergäben sich aber keine Entschädigungsansprüche nach der Menschenrechtskonvention, entschieden die Richter. Dabei gehe es allein um die Rechtmäßigkeit der Haft, nicht um die Haftbedingungen.
Weil die Richter die Klage insgesamt abwiesen, spielte die Höhe der Entschädigung keine Rolle mehr. Der Mann hatte 2700 Euro gefordert. Mit Blick auf das Karlsruher Verfahren forderte der Deutsche Anwaltverein eine Anhebung der gängigen Pauschalen auf mindestens 100 Euro pro Hafttag - Zivilgerichte zahlten nach dem Reiserecht sogar für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit 75 Euro pro Tag, so die Kritik.
Der Afghane hatte nach seiner Freilassung mit seiner Familie Zuflucht in Kirchenasyl gesucht, bis er nicht mehr abgeschoben werden konnte. Inzwischen ist er in Deutschland als Flüchtling anerkannt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will Ausreisepflichtige künftig leichter bis zu ihrer Abschiebung in Haft nehmen können. Sein Gesetzentwurf wurde am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen. © dpa
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