Unglück in Litauen: Ein Frachtflugzeug stürzt ab und verfehlt knapp ein Wohngebäude. Mindestens eine Person stirbt. Schnelle Antworten zur Unfallursache erwarten die Ermittler nicht.

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Beim Absturz eines Frachtflugzeugs im Auftrag des Postdienstleisters DHL ist am frühen Morgen kurz vor der geplanten Landung in der litauischen Hauptstadt Vilnius ein Mensch ums Leben gekommen. Während zahlreiche Rettungskräfte an der Unglücksstelle im Einsatz waren, begann die Suche nach der Ursache. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass es sich um Sabotage oder einen Terroranschlag gehandelt habe, sagte der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas vor Journalisten. Die Ermittlungen könnten "etwa eine Woche dauern".

Die Einsatzkräfte wurden um 05:31 Uhr Ortszeit alarmiert. Insgesamt befanden sich vier Personen in dem Flugzeug. Bei dem Todesopfer soll es sich um einen Insassen mit spanischer Nationalität handeln, teilten Polizei und Rettungsdienste mit. Ein Deutscher, ein weiterer Spanier und ein Litauer wurden verletzt. Zum gesundheitlichen Zustand der Verletzten machten die Behörden zunächst keine weiteren Angaben.

Die Maschine, die in Leipzig gestartet war, stürzte knapp neben einem Wohngebäude mit schlafenden Menschen ab. Diese konnten aus dem brennenden Gebäude gerettet werden. Zahlreiche Rettungskräfte waren an der Unglücksstelle im Einsatz. Laut den Rettungskräften war das Feuer um 07:33 Uhr unter Kontrolle gebracht.

Baerbock: Sabotageakt nicht auszuschließen

Annalena Baerbock
Annalena Baerbock äußerte sich beim Treffen der G7-Außenminister zu dem Unglück in Litauen. © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schließe die Möglichkeit eines Sabotageakts nicht aus. "Alleine, dass wir gemeinsam mit unseren litauischen und spanischen Partnern uns jetzt ernsthaft fragen müssen, ob das ein Unfall war oder nach letzter Woche erneut ein hybrider Vorfall, zeigt, in was für volatilen Zeiten (...) wir gerade leben", sagte Baerbock am Montag beim G7-Außenministertreffen im mittelitalienischen Fiuggi. Baerbock sagte zur möglichen Ursache, die deutschen und litauischen Behörden ermittelten "in alle Richtungen". Sie fügte an: "Wir hatten zuletzt in Europa mehrfach hybride Angriffe gesehen, auf individuelle Personen, auf Infrastruktur - sei es unter Wasser, sei es harte Infrastruktur."

In der vergangenen Woche waren binnen 48 Stunden Schäden sowohl an einem Telekommunikationskabel zwischen Deutschland und Finnland als auch an einem derartigen Kabel zwischen Schweden und Litauen bekannt geworden. Behörden mehrerer EU-Staaten ermitteln wegen mutmaßlicher Sabotage.

Auch deutsche Sicherheitsbehörden ermitteln

Verteidigungsminister Kasciunas sagte, erst, nachdem die ermittelnden Beamten mit den überlebenden Besatzungsmitgliedern gesprochen und den Flugschreiber ausgewertet hätten, werde klar sein, was geschehen sei.

Die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung werde die Ermittlungen vor Ort in Litauen unterstützen, bestätigte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums vor Journalisten in Berlin. Ab dem Abend würden Kollegen dort im Einsatz sein. Nach litauischen Angaben sollen von deutscher Seite vier Experten entsandt werden.

Auch Spanien werde zwei Ermittler abstellen, die ebenfalls in Kürze in Litauen eintreffen würden, sagte Laurynas Naujokaitis, der Leiter der beim litauischen Justizministerium angesiedelten Stelle für Untersuchungen von Verkehrsunfällen und Zwischenfällen, in einer Sondersendung des Online-Nachrichtenportals 15min.lt.

Bei dem abgestürzten Frachtflugzeug handelte es sich um eine Maschine der spanischen Fluggesellschaft Swift Air, wie DHL mitteilte. Swift Air sei unter Vertrag für DHL tätig. Etwa einen Kilometer vor dem Flughafen von Vilnius habe die Besatzung eine Notlandung einleiten müssen. "Unsere Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen", sagte ein DHL-Sprecher.

DHL: Keine Hinweise auf verdächtige Pakete

Nach Angaben der Vertriebs- und Marketingleiterin von DHL Litauen, Ausra Rutkauskiene, handelte es bei dem Flugzeug um eine Boeing 737. Transportiert habe die Maschine Pakete für Kunden, sagte sie der Nachrichtenagentur BNS. Auf Bildern von der Unfallstelle waren vereinzelt Pakete und kaputte Kartons zu sehen. Das Flugzeug sei völlig zerstört, sagte eine Sprecherin des litauischen Rettungsdienstes der Nachrichtenagentur Elta.

Dem Unternehmen lägen bisher keine Hinweise auf verdächtige Pakete an Bord der Maschine vor. "Zum jetzigen Zeitpunkt liegen uns keine Informationen vor, die auf etwas Ungewöhnliches oder Verdächtiges hindeuten", sagte Rutkauskiene. Die Untersuchungen liefen und währenddessen habe man nichts zu berichten und werde nichts kommentieren oder spekulieren.

Experte: Routinemäßige Kommunikation vor Absturz

Die Auswertung der Kommunikation zwischen dem Piloten und dem Tower deutet einem Bericht des litauischen Rundfunks zufolge nicht auf einen Notfall oder andere Unregelmäßigkeiten beim Landeanflug hin. In dem veröffentlichten Mitschnitt ist ein völlig ruhig und routinemäßig verlaufendes Gespräch zu vernehmen, wie ein vom Rundfunk befragter litauischer Luftfahrtexperte sagte.

"Ohne auf Details einzugehen, kann man sagen, dass die Piloten keine Gefahr und keine Probleme gemeldet haben. Es war eine routinemäßige Kommunikation, ein einfacher Sinkflug", sagte Vidas Kaupelis von der Universität Vilnius nach dem Anhören der Aufzeichnung, die nach seinen Angaben im Internet verfügbar und nicht vertraulich sei. Auch mehrere Videos, die von Überwachungskameras oder Augenzeugen gemacht und von litauischen Medien veröffentlicht wurden, deuten auf den ersten Blick nicht auf Turbulenzen beim Landeanflug hin.

Was führte zu dem Unglück?

Polizeichef Arunas Paulauskas machte keine Hoffnung auf umgehende Antworten mit Blick auf die Frage, was zum Absturz geführt habe. Die Besichtigung des Tatorts, die Beweisaufnahme und die Sammlung von Informationen und Objekten könne eine ganze Woche dauern. "Diese Antworten werden nicht so schnell kommen", sagte er auf einer Pressekonferenz.

Grafik-Karte "Verortung Absturzstelle Frachtflugzeug in Litauen"
© dpa/dpa-infografik GmbH

Das Flugzeug habe versucht zu landen und die Landebahn nicht erreicht, schilderte Paulauskas. Der Absturz sei "höchstwahrscheinlich auf einen technischen Fehler oder ein menschliches Versagen zurückzuführen". Zugleich sagte er auf die Nachfrage, ob es sich auch um einen Terroranschlag gehandelt haben könnte, dass ein solches Szenario nicht auszuschließen sei. "Dies ist eine der Versionen des Absturzes, die untersucht und überprüft werden müssen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns."

Der Chef des litauischen Nachrichtendienstes, Darius Jauniskis, sagte nach Angaben litauischer Medien: "Zum jetzigen Zeitpunkt ist es nach unserem Kenntnisstand wahrscheinlich zu früh, um den Vorfall mit irgendetwas in Verbindung zu bringen oder ihm irgendwelche Zuschreibungen zu geben." Dazu lägen auch keine vorläufigen Informationen vor. Auch er sagte, die Möglichkeit von Terrorismus könne aber nicht ausgeschlossen werden. Jauniskis versicherte außerdem, dass man auch mit ausländischen Partnern zusammenarbeite.

"Alles rot und voller Funken"

Der Leiter des litauischen Rettungsdienstes, Renatas Pozela, sagte, dass das Frachtflugzeug wenige Kilometer vor dem Flughafen abgestürzt sei, mehrere hundert Meter weit schlitterte und seine Trümmer ein Wohnhaus erfassten. Das Haus habe zwei Etagen und vier Wohnungen. Drei Familien hätten darin gelebt. Alle zwölf Bewohner seien in Sicherheit.

Teile des Flugzeugs wurden weit verstreut.
Teile des Flugzeugs wurden weit verstreut. © dpa / Mindaugas Kulbis/AP

Eine Frau, die in der Nähe des betroffenen Hauses wohnt, berichtete im litauischen Rundfunk, dass sie am frühen Morgen durch ein Geräusch geweckt worden sei: "Ich habe im Schlaf ein Geräusch gehört, ich schaue aus dem Fenster – alles war rot und voller Funken". Sie sei sofort losgerannt, um zu sehen, ob jemand Hilfe brauche. Sie stehe unter Schock: "Schrecklich, schrecklich" sei das Ganze.

Ein Nachbar erzählte, dass er am frühen Morgen einen Lichtblitz im Hof gesehen habe: "Es gab einen Blitz. Den Aufprall selbst habe ich nicht gesehen, aber der Blitz war sehr hell, er erleuchtete den ganzen Hof, und er war etwa einen Kilometer von mir entfernt. Und dann erschien das Feuer und es gab eine Menge Rauch."

Präsident besucht Unglücksstelle

Unterdessen besuchte Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda die Unglücksstelle. Gemeinsam mit dem deutschen Botschafter Cornelius Zimmermann und dessen spanischer Kollegin María Nieves Blanco Díaz machte sich das Staatsoberhaupt des baltischen EU-Landes ein Bild am Absturzort in der Nähe des Flughafens Vilnius und sprach auch mit Anwohnern.

Deutsche Sicherheitsbehörden warnten

Ende August war bekannt geworden, dass deutsche Sicherheitsbehörden vor "unkonventionellen Brandsätzen" warnen, die von Unbekannten über Frachtdienstleister verschickt werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundeskriminalamt (BKA) verschickten seinerzeit einen entsprechenden Warnhinweis an Unternehmen aus der Luftfahrt- und Logistikbranche.

Frachtflugzeug aus Leipzig stürzt auf Wohngebäude in Litauen
Unten links ist der Flughafen Vilnius zu sehen. Der Absturz ereignete sich im Stadtteil Liepkalnis (oben r.). © Google Earth/dpa

Die Warnmeldung wurde in Sicherheitskreisen unter anderem mit einem Vorfall im DHL-Logistikzentrum Leipzig in Verbindung gebracht, das als weltweites Drehkreuz des Unternehmens fungiert. Dort soll im Juli ein aus dem Baltikum verschicktes Paket Feuer gefangen haben, das einen Brandsatz enthielt.

In der Warnmeldung von BfV und BKA kam das Wort Russland nicht vor. Dennoch wird in Sicherheitskreisen ein Zusammenhang mit den zunehmenden Fällen russischer Sabotage in Deutschland nicht ausgeschlossen. (dpa/afp/bearbeitet von ank/phs/ng)

Korrektur: In ersten Berichten über das Unglück hatte es geheißen, das Flugzeug sei auf ein Wohngebäude gestürzt. Später stellte sich heraus, das Gebäude wurde knapp verfehlt. Wir haben den Artikel entsprechend angepasst.

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