• Bei der Talkshow von Anne Will sorgt der Präsident des Weltärzteverbandes, Frank Ulrich Montgomery, für Diskussionen.
  • Derzeit erlebe die Gesellschaft eine "Tyrannei der Ungeimpften", hatte Montgomery in der Sendung am Sonntagabend gesagt.
  • Bei Twitter kassierte er Gegenwind und Zustimmung.
  • Was sagt ein Medizinethiker dazu?

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Bei Moderatorin Anne Will sorgte die Aussage zumindest für ein kurzes Innehalten. "Tyrannei?" hakte sie nach, nachdem Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery gesagt hatte: "Momentan erleben wir ja wirklich eine Tyrannei der Ungeimpften, die über das Zweidrittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen aufoktroyieren."

Der Mediziner bekräftigte seine Aussage: "Ja, ich benutze diesen Begriff bewusst", sagte Montgomery am Sonntagabend (7.11.), bei Anne Will. In Ländern wie Portugal, in denen eine Impfquote von 97 Prozent erreicht sei, brauche es keine einschränkenden Maßnahmen mehr.

Diskussion über Impfpflicht

Es müsse aufhören, dass davon gesprochen werde, es werde "nie eine Impfpflicht, nie einen Lockdown" mehr geben, sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes. Es werde in absehbarer Zeit Situationen geben, in denen man lokalisiert, für ein ganzes Bundesland oder gar bundesweit solche Maßnahmen werde durchführen müssen, hatte Montgomery zuvor gesagt.

Bei Anne Will waren Montgomery, die Präsidentin des Deutschen Pflegerats Christine Vogler, die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und die Medizinethikerin Alena Buyx zusammengekommen, um angesichts des Höchststandes an Corona-Neuinfektionen über die Frage zu diskutieren, ob Deutschland eine Impfpflicht braucht. CSU-Parteichef Markus Söder hatte sich in einer Live-Schalte zu dem Thema geäußert.

Aussage von Montgomery sorgt für Furore

Hängen blieb aber vor allem Montgomerys Aussage über eine "Tyrannei der Ungeimpften". Bei Twitter sorgte der Satz unmittelbar für Furore und aufgeheizte Diskussionen. "Von einer #TyranneiDerUngeimpften kann keine Rede sein, eher von einer #TyranneiDerUnwissenden", twitterte AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel beispielsweise.

Virologin Isabella Eckerle stimmte derweil zu: "Ja, wir haben eine #TyranneiderUngeimpften. Wir fahren das Kliniksystem noch mal an die Wand, setzen Gesundheitspersonal dem Burnout&Attacken aus, bestrafen alle die, die sich zurückgenommen haben, geimpft sind, die auf einen OP-Termin warten".

Medizinethiker: "Moralische Pflicht"

Jochen Vollmann ist Professor für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität in Bochum. Er erinnert: "Die schnelle und erfolgreiche Entwicklung von Impfstoffen stellt den entscheidenden Faktor zur Bewältigung der Pandemie dar." Dadurch könnten allein in Deutschland Tausende von Menschenleben gerettet, schwere Krankheitsverläufe verhindert und schwere Schäden in vielen gesellschaftlichen Bereichen reduziert werden.

"Daher hat jeder Bürger, der aus medizinischer Sicht geimpft werden kann, meines Erachtens nach die moralische Pflicht gegenüber seinen Mitmenschen und sich selbst, die sehr wirksame, vorbeugende gesundheitliche Maßnahme der Impfung zu nutzen, also sich impfen zu lassen", so der Medizinethiker.

Aussage war "provozierend"

Die Aussage von Montgomery hält er allerdings für wenig sinnvoll bei der Überzeugungsarbeit dafür. "Provozierende Schlagworte wie 'Tyrannei der Ungeimpften' sind weder für diese Erkenntnis notwendig noch für deren Umsetzung hilfreich", so der Experte.

Aufgrund der steigenden Zahlen von infizierten und erkrankten Bürgern im Herbst und Winter rechnet Vollmann wieder mit stärkeren Einschränkungen und Regulierungen des gesellschaftlichen Lebens. "Die Einschränkung von Freiheitsrechten trifft auf hohe ethische und rechtliche Hürden und darf nur in gut begründeten Fällen durchgeführt werden", erinnert er. Es bedürfe deshalb einer genauen Differenzierung bei dieser schwierigen Güterabwägung.

Steigende Impfquote nur "Nebeneffekt"

"Da die Gefahrenlage primär von ungeimpften Bürgern ausgeht und diese primär auch betrifft, werden sich die Einschränkungen auf diese Gruppe fokussieren und dürfen nicht auf die Mehrheit der durch Impfung oder Genesung immunologisch geschützten Bürger ausgeweitet werden", meint der Experte. Wenn als Nebeneffekt durch diese Maßnahmen die Anzahl der geimpften Bürger steige, sei das aus medizinethischer Sicht zu begrüßen, stelle aber nicht die Hauptbegründung für die einschränkenden Maßnahmen des Staates dar.

"Auch hat dieser Sachverhalt nichts mit einer vermeintlichen Solidaritätspflicht zwischen geimpften und nicht geimpften Bürgern in unserer Gesellschaft zu tun", sagt Vollmann. Diese spiele nur im Umgang mit der sehr kleinen Gruppe von Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten, eine wichtige Rolle.

Verwendete Quellen:

  • Anne Will Sendung vom 07.11.2021
  • Interview mit Prof. Dr. med. Jochen Vollmann
  • Twitter-Profil von Isabella Eckerle
  • Twitter-Profil von Alice Weidel
Über den Experten: Prof. Dr. med. Dr. phil. Jochen Vollmann ist Leiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum. Vollmann studierte Medizin und Philosophie in Gießen, Liverpool, Chicago und Zürich und ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Mitglied zahlreicher internationaler und nationaler wissenschaftlicher Gesellschaften und berät Institutionen im Bereich Medizinethik.
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