Die Corona-Pandemie hat die Veranstaltungsbranche in Deutschland lahm gelegt. Kultur und Sport suchen verzweifelt nach Lösungen. Wie groß die Risiken wirklich sind, sollte jetzt ein Großversuch in Leipzig zeigen.
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Forscher: Es geht um "evidenzbasiertes Vorgehen"
"Es geht um ein evidenzbasiertes Vorgehen", erläuterte Michael Gekle, Dekan der Medizinischen Fakultät an der Uni Halle das Konzept des Corona-Konzerts. Großveranstaltungen sind in Deutschland wegen der Pandemie noch bis mindestens Ende Oktober untersagt. Das trifft die Kultur, aber auch den Sport. Gekle und seine Forscher suchen nach Wegen, um von diesem pauschalen Verbot wegzukommen.
Es sei richtig gewesen, im März und April das gesellschaftliche Leben runterzufahren, sagte Gekle. Aber jetzt gehe es darum, "risikoadaptiert" zu handeln. Dafür seien Daten nötig. "Wenn man jetzt gefragt wird: Welches Risiko steckt denn in so einer Veranstaltung - dann weiß das keiner", sagte Gekle.
Das Experiment begann am Samstagmorgen mit einem aufwendigen Check-in. Bei allen Teilnehmern wurde vor Betreten der Halle Fieber gemessen. Zudem wurden sie mit sogenannten Contact Tracern ausgestattet, die ihre Kontakte registrieren sollten. Sensoren verfolgten die Laufwege. Dazu wurde fluoreszierendes Desinfektionsmittel eingesetzt um sichtbar zu machen, welche Flächen besonders oft angefasst werden. Auch der Flug der Aerosole - kleinste Teilchen in der Luft, die das Virus tragen können - sollte nachvollzogen werden.
Drei Konzerntsituationen wurden simuliert
Für die Studie "Restart-19" wurden am Samstag drei Konzertsituationen simuliert: Eine wie vor Beginn der Corona-Krise, eine mit etwas mehr Sitzabstand zwischen den Zuhörern und eine mit einer Distanz von 1,50 Meter zwischen den Menschen. "Wir untersuchen Risikokonstellationen", sagte Studienleiter Stefan Moritz. Er rechne in sechs bis acht Wochen mit ersten Ergebnissen.
Die Forscher hatten eigentlich auf etwa 4.200 freiwillige Teilnehmer gehofft. Am Ende wurde es nur ein Drittel. Womöglich hätten die Ferienzeit in Sachsen und die wieder ansteigenden Infektionszahlen in Deutschland dazu beigetragen, dass die angepeilten Zahlen nicht erreicht wurden, sagte Studienleiter Stefan Moritz. Doch auch mit den 1.400 Probanden ließen sich valide Daten generieren. "Wir haben eine gute Datenqualität."
Zu denen, die ihren kompletten Samstag in der Arena Leipzig verbrachten, gehörten Kathleen (36) und Felix (37). Sie seien aus Görlitz an der polnischen Grenze für die Studie nach Leipzig gekommen. "Wir sind tatsächlich nicht wegen der Musik hier", sagte Felix. Sie wollten dazu beitragen herauszufinden, wie Kulturveranstaltungen wieder möglich sein können. Der Tag sei anstrengend gewesen. Alle Teilnehmer in der aufgeheizten Halle mussten FFP2-Masken tragen. Auch ein Coronaselbsttest war Pflicht. Laut Moritz war ein Test einer Urlaubsrückkehrerin im Vorfeld positiv ausgefallen.
Großversuch kostete rund eine Million Euro
Der Großversuch kostete nach Angaben der Universitätsklinik Halle rund eine Million Euro. Finanziert wurde er von den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt. Laut Studienleiter Moritz gibt es inzwischen drei weitere internationale Forscherteams in Australien, Belgien und Dänemark, die ähnliche Experimente planen. Das sei auch ein Ziel gewesen - einen Impuls für mehr Forschung zu Großveranstaltungen zu setzen.
Popstar Bendzko zog am Ende des Konzertexperiments ein positives Fazit. Er habe erwartet, dass sich das Ganze etwas steriler und mehr wie eine Versuchsanordnung anfühlen würde. "Aber das hat uns richtig Spaß gemacht. Wir haben im Sommer Autokinokonzerte überstanden. Insofern ist das für uns heute der erste Schritt in Richtung Normalität." (mgb/dpa)
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