• Laut Zulassung sind in den Ampullen von Biontech/Pfizer und Astrazeneca sechs beziehungsweise zehn Dosen des Impfstoffs.
  • Gehen die Impfärzte behutsam vor, können sie jedoch jeweils eine zusätzliche Dosis aus den Fläschchen ziehen.
  • Insbesondere in den Impfzentren sind wohl sehr viele dieser Dosen nicht verwendet worden.

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Seitdem in Deutschland auch die Hausärzte Impfungen gegen das Coronavirus verabreichen dürfen, hat die Kampagne zwar an Fahrt aufgenommen. Doch selbst vier Monate nach ihrem Start sind bundesweit nur 7,3 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, 23,9 Prozent bekamen ihre Erstimpfung (Stand: 27. April).

Aus Sicht der Hamburger Ärztin Jana Husemann hätten aber allein in Hamburg Zehntausende Menschen mehr geimpft werden können.

Der Grund: Die Corona-Vakzine werden in Fläschchen geliefert, den sogenannten Vials, aus denen die Impfärzte das Vakzin in mehrere Spritzen ziehen. Beim Impfstoff von Biontech/Pfizer sind sechs Impfdosen pro Fläschchen enthalten, das ist die Anzahl, die die Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) vorsieht.


Gehen die Mediziner allerdings behutsam vor, kann auch eine siebte Dosis herausgezogen werden, bei Astrazeneca sind es elf, mitunter sogar zwölf statt zehn Dosen. Das klappt zwar nicht immer, weil das Risko steigt, dass Luft mit aufgezogen wird oder Blasen entstehen, aber oft.

Husemann, die auch Vorsitzende des Hausärzteverbands Hamburg ist, hat für das Impfzentrum in der Hansestadt ausgerechnet, das allein dort so über 40.000 Menschen mehr hätten geimpft werden können.

Übertragen auf alle Impfzentren in Deutschland heißt das: Bei bisher laut Robert-Koch-Institut 10,7 Millionen verabreichten Biontech-Impfungen und 4,8 Millionen Impfungen mit Astrazeneca könnten so zusammen über 1,9 Millionen Dosen im Müll gelandet sein (Stand: 27. April).

Viele Ärzte werfen zusätzliche Impfdosis weg

"Diese Verschwendung kostet viele Menschenleben!", kritisierte der Neu-Ulmer Hausarzt Christian Kröner bereits Mitte April in der "Bild am Sonntag". Er schätzte damals, dass allein in Bayerns Impfzentren knapp eine halbe Million intakte Impfdosen "aus juristisch-bürokratischen Gründen im Müll landeten".

Der Ärztliche Leiter des Impfzentrums, Dirk Heinrich, ordnet die Hintergründe im Gespräch mit dem NDR ein: "Der Arzt, der impft, trägt die Verantwortung genau für den Impfstoff, der da verimpft wird. Und das können wir hier nicht gewährleisten. Das geht nicht. Deswegen kann man hier im Impfzentrum keine siebte oder keine elfte Dosis ziehen."

In Impfzentren sprechen Heinrich zufolge rechtliche Gründe gegen die zusätzliche Dosis. Kröner, der selbst in Impfzentren ausgeholfen hat, hält das für eine Ausrede. "Es geht! Und es rettet Leben! Man muss nur wollen...", twitterte er Dienstag.

Tatsächlich tragen auch Hausärzte die Verantwortung, bei vielen von ihnen herrscht aber Unsicherheit. Einige von Husemanns Kolleginnen und Kollegen würden deswegen Impfdosen unnötigerweise wegwerfen. Aus Sorge, für eventuell resultierende Impfschäden haftbar gemacht zu werden, sagte die Ärztin dem NDR.

Bundesgesundheitsministerium schafft Klarheit – Ärzte tragen aber weiter die Verantwortung

Auf die Problematik hatte zuvor auch der Weilheimer HNO-Arzt Christian Lübbers aufmerksam gemacht, der in seiner Praxis ebenfalls gegen COVID-19 impft. Er kritisierte auf Twitter, dass es lange Zeit keine bundesweite Regelung gegeben habe und deswegen "zusätzliche Dosen oft im Müll" gelandet seien, wie er schreibt.

Erst am 22. April schaffte das Bundesgesundheitsministerium Klarheit: "Die Entnahme zusätzlicher Dosen aus Mehrdosenbehältnissen zugelassener COVID-19 Impfstoffe, z.B. einer 7. (BioNTech) bzw. 11. Dosis (Moderna, AstraZeneca), ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich und gesetzlich zulässig, erfordert aber auf Seiten der Anwender eine besondere Umsicht und Sorgfalt." Die Verantwortung wird in dem Schreiben aber weiterhin auf die Impfärzte abgewälzt.

Deshalb und aufgrund des großen Durchlaufs glaubt der Leiters des Hamburger Impfzentrums nicht, dass die zusätzliche Dosis in großen Zentren machbar ist. "Es sei denn, der Staat sagt: 'Macht das!'"

Nötig wäre eine entsprechende Anweisung in jedem Bundesland. Laut NDR wird etwa in Schleswig-Holstein und Niedersachsen die Entnahme der siebten beziehungsweise elften Dosis empfohlen. Doch nur Rheinland-Pfalz übernimmt dafür auch explizit die Haftung.

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