Wer einmal mit dem COVID-19-Erreger infiziert war, kann sich nicht erneut infizieren - diese geläufige Annahme wird durch mehrere Fälle in Zweifel gezogen, in denen sich Menschen ein zweites Mal mit dem Virus SARS-CoV-2 angesteckt haben. Was wir bislang über Reinfektionen wissen.
Im US-Bundesstaat Nevada hat sich ein 25-Jähriger zum zweiten Mal mit SARS-CoV-2 infiziert. Seine Fallbeschreibung haben Mediziner in der Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlicht. Der Mann wurde zum ersten Mal am 18. April positiv auf das Coronavirus getestet, am 5. Juni wurde erneut eine Infektion festgestellt.
Dazwischen lagen zwei negative Tests im Mai. Die Erkrankung nahm bei der zweiten Infektion einen schwereren Verlauf als beim ersten Mal. Der Patient musste beatmet werden.
Coronavirus: Wie funktioniert die Immunisierung?
Bei einer Infektion bildet das Immunsystem Antikörper, die den Krankheitserreger bekämpfen. Kommt der genesene Patient später erneut mit dem Virus in Kontakt, können die bereits vorhandenen Antikörper sofort reagieren und eine Erkrankung verhindern. Das ist beispielsweise bei anderen Coronaviren der Fall, die länger bekannt sind.
Auf diesem Prinzip beruhen auch Impfungen: Die Wirkstoffe lösen eine Immunantwort des Körpers aus. Wenn die geimpfte Person später mit dem betreffenden Erreger in Kontakt kommt, werden die aufgebauten Abwehrmechanismen unmittelbar aktiv.
Wie kann es zu Reinfektionen kommen?
Die Immunisierung funktioniert jedoch nicht in allen Fällen. Es wird immer wieder beobachtet, dass Menschen nach der Infektion mit einem Erreger keine Antikörper gegen diesen besitzen.
Außerdem sind Immunisierungen unterschiedlich lange wirksam. Während Menschen etwa nach einer Windpocken-Impfung ein Leben lang geschützt sind, müssen andere Impfungen wie die gegen Tetanus alle zehn Jahre aufgefrischt werden.
Ein weiterer Faktor ist, dass sich manche Viren schnell verändern. Das ist beispielsweise beim Influenza-Erreger der Fall. Wenn die Mutationen wesentlich von der älteren Variante abweichen, sind die früher gebildeten Antikörper gegen sie unwirksam.
Genetische Struktur des Erregers verändert sich
Auch bei dem Fall in Nevada stellten die Ärzte fest, dass die genetische Struktur des Erregers bei der zweiten Infektion verändert war. Es handelte sich um eine neue Variante von SARS-CoV-2.
Bei dem Patienten wurde nach der ersten Infektion kein Antikörpertest durchgeführt. Dass die Reinfektion darauf zurückzuführen sein könnte, dass er keine Antikörper gebildet hat, halten die Mediziner jedoch für unwahrscheinlich. Nach der zweiten Infektion wurden bei ihm Antikörper nachgewiesen. Zweifelsfrei lässt sich die Ursache für die Reinfektion in diesem Fall nicht eingrenzen.
Wie häufig sind Zweitinfektionen mit SARS-CoV-2?
Weltweit wurden rund 38 Millionen bestätigte Infektionen mit dem COVID-19-Erreger registriert. Bislang sind vier Fälle bekannt, in denen sich Menschen nachweislich zweimal mit dem Virus infiziert haben.
Neben dem geschilderten Fall in den USA sind das jeweils ein Fall in Hongkong, Belgien und Ecuador. Es gibt weitere Fälle, in denen Ärzte eine Reinfektion vermuten, dies aber nicht zweifelsfrei nachweisen können. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die erste Infektion lediglich verschleppt wurde und die Symptome ein zweites Mal aufflammten.
Bei den vier eindeutigen Fällen war der Verlauf bei der Erstinfektion mild. In zwei Fällen zeigten die Patienten bei der zweiten Infektion noch schwächere oder keine Symptome. Bei den Fällen in den USA und in Ecuador verlief die Erkrankung beim zweiten Mal schwerer.
Coronavirus: Was bedeuten Zweitinfektionen für die Impfstoffentwicklung?
Nach dem Bekanntwerden der Fälle von Zweitinfektionen mit dem Coronavirus wurden Zweifel laut, ob eine Immunisierung – entweder durch eine durchgestandene Infektion oder durch eine Impfung – bei SARS-CoV-2 überhaupt möglich sei.
Die Hoffnung auf einen wirksamen Impfstoff verwerfen Forscher jedoch nicht durch die Beobachtung der wenigen Einzelfälle. Um belastbare Aussagen treffen zu können, ist weitere Forschung nötig. Die erforderlichen Daten erwarten Wissenschaftler in den kommenden Wochen.
Denn viele Regionen erleben nach dem Abflauen der Infektionszahlen einen erneuten Anstieg der registrierten Fälle. Außerdem wird deutlich häufiger getestet als noch vor einigen Monaten. Die Forscher erwarten, dass ihnen deshalb in absehbarer Zeit ausreichende Datenmengen vorliegen, um Aussagen über eine mögliche Immunität gegen den COVID-19-Erreger und die Erfolgsaussichten für Impfstoffe treffen zu können.
Verwendete Quellen:
- Nature: "Coronavirus reinfections: three questions scientists are asking"
- Robert-Koch-Institut: "Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)"
- WHO: "COVID-19 Dashboard"
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