In Pandemien geht eine besondere Gefahr von "Superspreadern" aus: Einzelne Patienten, die gleich Dutzende Menschen anstecken.
Im Schnitt steckt jeder Mensch, der mit dem Coronavirus infiziert ist, zwei bis drei andere Personen an.
Das klingt zunächst nicht nach einem besonders hohen Wert – und in der Tat ist SARS-Cov-2 nicht infektiöser als die meisten Grippeviren. Doch wie so häufig bei dem Thema handelt es sich hier um einen Mittelwert.
Es gibt bei jeder Epidemie Patienten, die überdurchschnittlich viele andere Personen infizieren. Wissenschaftler sprechen dann von "Superspreadern", also "Superverbreitern". Ein Beispiel früherer Pandemien war ein Arzt, der Anfang 2003 das SARS-Virus in sich trug. Er reiste von der Stadt Guangzhou nach Hongkong und steckte auf der Etage seines Hotels mindestens zwölf weitere Gäste an.
Doch auch in der Corona-Pandemie sind entsprechende Fälle bekannt geworden. Die britische Zeitung "The Guardian" etwa berichtete von einem Geschäftsmann, der sich offenbar auf einer Konferenz in Singapur ansteckte, danach in einem französischen Skiort Urlaub machte und schließlich zurück nach England flog.
Erst dort erfuhr er, dass ein anderer Konferenzteilnehmer positiv getestet worden war. Der Brite soll auf seinem Weg unwissentlich mindestens elf Menschen infiziert haben.
Manche Patienten stecken niemanden an
Wie ein Mensch zum Super-Verbreiter wird, ist unter Wissenschaftler noch umstritten. Wer das Virus in sich trägt und viele Sozialkontakte hat, hat viele Möglichkeiten es weiterzugeben. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen, glaubt im Fall des aktuellen Coronavirus aber auch an eine biologische Erklärung: Menschen geben das Virus offenbar in unterschiedlicher Intensität weiter.
"Wir haben hier in Essen mit dem Gesundheitsamt die ersten Fälle gut nachverfolgt", sagt der Professor im Gespräch mit unserer Redaktion. Und die waren offensichtlich sehr unterschiedlich: "Darunter gab es Patienten, die infiziert waren, mit ihrer Familie in einem Haushalt leben, aber noch nicht einmal die anderen Familienmitglieder infiziert haben", erklärt Dittmer.
Andererseits gebe es Patienten, die mehrere Dutzend anderer Personen infizieren: "Familie, Freunde und alle, die sich in diesem Umfeld aufhalten."
Tröpfcheninfektion am häufigsten
Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann sich grob gesagt auf zwei Wegen verbreiten: Erstens über die Schmierinfektion, bei der die Erreger über Berührungen weitergereicht werden. Zweitens über die Tröpfcheninfektion, also durch winzige Speichelpartikel, die Patienten über Husten, Sprechen oder Spucken von sich geben.
Nach allem, was man bisher weiß, kommt die Schmierinfektion aber seltener vor, sagt Dittmer. "Sicherlich kann man sich auch so infizieren – aber eine Tröpfcheninfektion über enge Kontakte spielt die größere Rolle. Sonst hätten wir andere Muster von Infektionsketten gesehen."
Die Anzahl der Viren, die sich in einem einzelnen Tröpfchen befinden, ist offenbar von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Das würde erklären, warum mache Infizierte den Erreger nicht oder kaum und andere dafür umso stärker weitergeben. "Wenn die Virendosis bei bestimmten Patienten sehr hoch ist, können sie auch sehr effizient andere Menschen infizieren", sagt Dittmer.
Die beispielsweise in Deutschland derzeit geltende Kontaktsperre hält der Virologe daher auch für eine sinnvolle Maßnahme: "Tröpfcheninfektionen laufen in der Regel im Umkreis von 1,50 Metern ab. Wenn man zwei Meter Abstand hält, ist man schon auf der sicheren Seite. Wenn wir enge Kontakte auf unsere Familien reduzieren, hat das Virus es deutlich schwerer, sich auszubreiten."
"Plexiglas-Scheiben sind absolut angebracht"
Die Kontaktsperre dürfte die Infektionsgefahr durch "Superspreader" verringern. Allerdings gibt es auch jetzt noch Menschen, die in der Öffentlichkeit besonderen Gefahren ausgesetzt sind – und gleichzeitig das Virus an andere Menschen weitergeben könnten, wenn sie infiziert sind.
Dazu gehören zum Beispiel Kassiererinnen und Kassierer in Supermärkten, die jeden Tag mit vielen Menschen zu tun haben. "Sie sitzen tiefer, als die Kunden stehen. Deshalb bekommen sie mehr Tröpfchen ab. Schon Husten oder Sprechen reicht, um Tröpfchen zu produzieren", erklärt Ulf Dittmer. "Eine Abschirmung durch Plexiglas-Scheiben ist absolut angebracht. Wenn das nicht geht, müssten Kassierer eigentlich einen Mund-Nasenschutz tragen."
Besonders im Fokus stehen zudem Menschen in medizinischen und Pflegeberufen. Wenn Ärzte und Pflegekräfte mit bestätigten COVID-19-Patienten zu tun haben, müssen sie Dittmer zufolge zum Beispiel einen hochsicheren Mund-Nasenschutz tragen. "Auch ein Schild vor dem Gesicht, weil das Virus theoretisch auch über die Augen übertragen werden kann."
Besondere Situation bei Pflegediensten
Das Coronavirus stellt auch mobile Pflegedienste vor große Herausforderungen. Nicht nur, weil deren Mitarbeiter ebenfalls vielen anderen Menschen ausgesetzt sind – sondern weil sie auch selbst viele Pflegebedürftige anstecken können, wenn sie infiziert sind. Und unter denen sind vor allem alte und kranke Menschen, denen das Virus besonders gefährlich werden kann.
"Wenn man jemanden pflegt und ihm näher als zwei Meter kommen muss, muss man meiner Ansicht nach unbedingt einen Mund-Nasenschutz tragen", sagt Ulf Dittmer. "Am besten wäre es, wenn auch die zu pflegende Person einen Mundschutz trägt – dann hätte man zwei Barrieren, die das Virus überwinden muss." Allerdings sehen Pflegedienste derzeit vor dem gleichen Problem wie viele Krankenhaus-Mitarbeiter: Schutzmasken sind Mangelware.
Verwendete Quellen:
- Prof. Dr. Ulf Dittmer, Institut für Virologie, Universitätsklinikum Essen
- Sueddeutsche.de: Auf der Spur der Superspreader
- TheGuardian.com: "Super-spreader" brought virus from Singapore to Sussex via France
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.