Die Stadt Mitterteich in Bayern hatte die erste deutsche Ausgangssperre wegen des Coronavirus ausgerufen. Seit Dienstag dürfen die Bewohner wieder raus. Bürgermeister Roland Grillmeier erzählt, wie es weitergeht und ob der Corona-Exit kommen kann.
Seit Dienstag darf die Bevölkerung von Mitterteich wieder raus. Für die 7.000-Einwohner-Stadt in der bayerischen Oberpfalz hatte die erste deutsche Ausgangssperre wegen des Corona-Virus gegolten – die Bevölkerung durfte die Stadt nicht verlassen, von außerhalb war kein Besuch erlaubt. Mitterteichs Bürgermeister Roland Grillmeier erzählt, wie das Leben unter der Ausgangssperre war, wie es weitergeht in Mitterteich und ob der Corona-Exit kommen kann.
Herr Grillmeier, bei Ihnen war die Isolation härter als im Rest von Bayern und Deutschland. Wie haben Sie’s überstanden?
Herr Grillmeier: So sehr anders war’s ja bei uns nicht, kurz gesagt durften wir halt nicht aus der Stadt raus. Aber ein Spaziergang in der Stadt war möglich.
Aber es gab schon ein paar härtere Bestimmungen. Hat die Bevölkerung von Mitterteich die Ausgangssperre akzeptiert?
Wir durften die Stadt nur aus triftigem Grund verlassen. Sogar der Weg zur Arbeit und wieder nach Hause war nur mit einer Bescheinigung des Arbeitgebers erlaubt. Am Anfang hat das schon Sinn ergeben wegen der stark steigenden Infektionszahlen in der Stadt und im Landkreis, und deshalb haben es die Menschen auch akzeptiert und sich daran gehalten. Aber nach zwei Wochen habe ich angefangen, das infrage zu stellen. Die Fallzahlen haben sich den Zahlen in den umliegenden Orten angeglichen, und deshalb wurden die Bestimmung seit Dienstag aufgehoben. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Landkreis Tirschenreuth, zu dem Mitterteich gehört, immer noch ein Hotspot der Corona-Verbreitung ist.
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Wie konnte es dazu kommen?
Die Regierung will in einer Studie klären lassen, warum sich das Virus in einem Flächenlandkreis wie unserem, wo die Bevölkerung gerade nicht dicht zusammenlebt, so stark verbreitet hat. Es gibt einige Vermutungen, warum die Zahlen höher sind als anderswo, aber letztendlich wissen wir nicht, warum wir so intensiv betroffen sind – das war schockierend für uns und daher wollen wir jetzt herausfinden, wie es dazu kam. Die Zahlen sind mit Sicherheit schnell hochgegangen, weil wir früh betroffen waren und früher mit dem Testen begonnen haben.
Wie haben Sie persönlich die Zeit der Isolation erlebt?
Hier auf dem Land kennt man sich. Man hat gesehen, wer betroffen ist, man hat Sterbefälle erlebt – das beschäftigt einen schon. Auch in unserem Behindertenwohnheim hat es Todesfälle gegeben – jeder kennt einen Betroffenen. In Orten mit wenigen Fällen ist man sicher sehr viel entspannter als hier bei uns. Aber am meisten hat mich als Bürgermeister natürlich die Krisenbewältigung in Anspruch genommen – sogar das Rathaus war anfangs unter Quarantäne, das war nicht einfach.
Haben sich die harten Ausgangssperren Ihrer Meinung nach als nützlich erwiesen?
Nützlich war vor allem die "Landmentalität“ – dass man hier in Mitterteich zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt, dass es zum Beispiel gleich eine Nachbarschaftshilfe gegeben hat, die einen Einkaufsservice für die älteren Menschen organisiert hat. Das Zusammenstehen funktioniert hier noch, auch die Familienbezüge sind enger, man kauft für Verwandte ein. Das ist bestimmt in den großen Städten anders. Man merkt in so einer Krise schon, auf wen man sich verlassen kann. Aber natürlich war auch die Ausgangssperre wichtig, um den Anstieg der Infektionszahlen zu bremsen.
Klinik- und Ärzteversorgung muss besser werden
Werden Ihre Krisenerfahrungen für die Zukunft von Nutzen sein?
Das ganze Geschehen wird uns noch lange beschäftigen. Wir müssen herausfinden, was man ändern kann, bevor sich so etwas wie Corona wiederholt. Zum Beispiel muss dringend die Klinik- und Ärzteversorgung besser werden – eine Landarztquote haben wir schon lange vor Corona gefordert. Auch die personelle Aufstellung der Gesundheitsämter muss verbessert werden. Da wird der Freistaat stark gefordert sein, Bürgermeister und Landrat können allein wenig ausrichten. Aber wir müssen auch an anderen Stellen bessere Strukturen schaffen: Wir haben erlebt, wie wichtig die kleinen Geschäfte im Ort sind, wenn man nicht mehr rausfahren kann. Die müssen wir unbedingt erhalten, auch das Wirtshaus muss bleiben. Und wir müssen uns fragen, ob man wirklich alles bei Amazon bestellen muss und nicht besser die Geschäfte hier vor Ort am Leben erhält. Aber es ist jetzt wohl noch zu früh, um schon über konkrete Konsequenzen nachzudenken, momentan ist noch die Akutbewältigung das A und O.
"Nicht gleich alle Schleusen öffnen"
Sollte man trotzdem schon langsam über die Exit-Strategie nachdenken?
Das Ende der Ausgangssperre für uns in Mitterteich ist ja schon ein Stück Exit. Man kann noch nicht über Urlaub, Ostern in der Kirche, Feste und Freibad nachdenken – da sitzen wir immer noch mit ganz Bayern und Deutschland in einem Boot. Wir haben hier viel Wald, viele Seen, man freut sich jetzt darauf, mit den Kindern an Ostern im Grünen Eier suchen zu gehen. Aber der Krisenstab hat nur eine Abflachung der Infektionskurve festgestellt, die Krise ist damit noch nicht zu Ende.
Hier in der ländlichen Gegend ist der Exit leichter als in der Stadt, wo es volle U-Bahnen und volle Geschäfte gibt. Aber auch wir haben ein Gymnasium mit tausend Schülern – das wieder aufzumachen, kann man sich jetzt noch nicht vorstellen. Man könnte vielleicht in kleineren Gemeinden mit Lockerungen vorangehen. Dann müsste das ein Exit mit Regeln sein, zum Beispiel mit Masken. Und wenn das Einkaufen im Supermarkt funktioniert, warum soll es dann nicht auch in Kleidergeschäften gehen oder im Baumarkt? Man wird sehen, ob die Bugwelle der Infektionen weiter fällt und sollte sicher nicht gleich alle Schleusen öffnen.
War es wenigstens ein bisschen spannend, dass Mitterteich durch Corona sehr schnell berühmt geworden ist in Deutschland?
Auf diese Berühmtheit hätten wir verzichten können! Wir haben vorher die Entwicklung in Heinsberg mitbekommen – keiner hat gedacht, dass wir bald selber zu den Hotspots gehören würden. Bei einer Pandemie gibt’s keine Ausnahmen, wir waren nur etwas mehr dabei als andere – aber jedem sollte klar sein, dass er selber schnell zu den Betroffenen gehören kann.
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