Island hatte die Coronakrise besser im Griff als andere Länder in Europa. Nun muss das Land den wirtschaftlichen Niedergang stoppen - und setzt dabei auf Tourismus und den Anschein von Normalität.
Mit 90 Prozent der Stimmen sicherte sich der isländische Präsident Gudni Johannesson in der vergangenen Woche eine zweite Amtszeit. Ein hervorragendes Ergebnis für eine Zeit, in der sich die Regierung vor allem als Verkündigungsorgan täglich neuer Schreckensmeldungen betätigt. Die Wahl hätte leicht zum Corona-Tribunal werden können - doch sie endete im Vertrauensbeweis.
Denn Island hat einiges richtig gemacht in dieser Krise. Kaum ein Land in Europa ist bisher so glimpflich davongekommen, wie der kleine Inselstaat im Nordatlantik. Während Island im März mit 513 Erkrankten pro 100.000 Einwohnern noch eine der höchsten Infektionsraten in Europa beklagte, haben die Gesundheitsbehörden die Infektionskurve ohne großen Lockdown auf gegenwärtig drei Infektionen gedrückt.
Das Rezept: Freiwilligkeit. In täglichen Pressebriefings schwor eine Gesundheits-Task-Force die Bevölkerung auf Social-Distancing-Maßnahmen ein, Warnhinweise waren an sämtlichen öffentlichen Orten angebracht und Abstandsregeln wurden ohne große Diskussionen befolgt. Rückkehrer aus Risikogebieten wurden bereits am Flughafen isoliert, da wurde in Ischgl noch Apfelstrudel serviert. Und dank der Zusammenarbeit mit dem Forschungsunternehmen Decode Genetics, ließen sich innerhalb von sechs Wochen 50.000 Menschen, also 13 Prozent der Bevölkerung, auf das Virus testen - ein Spitzenwert im weltweiten Vergleich! Statt Geschäfte komplett dicht zu machen, zählten die Betreiber die Kunden in ihren Läden, reichten Plastikhandschuhe und stellten Plexiglasscheiben auf. Wie in Deutschland, eben nur alles schon etwas früher.
Island öffnet allmählich
Nun tritt Island ein in eine zweite Phase: die stückweise Öffnung des Landes. Die liberale Ausgestaltung der Corona-Regeln hat das Land, das erst 2011 eine verheerende Wirtschaftskrise hinter sich gelassen hat, nicht vor einem ökonomischen Schock bewahrt, im Gegenteil. Die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile auf sieben Prozent hochgeschnellt, die Regierung rettete Angestellte und Freelancer mit Lohnfortzahlungen von bis zu 75 Prozent vor dem privaten Ruin und viele Banken und Vermieter zeigten sich genügsam, indem sie ihren Kunden Zahlungen stundeten. Nun muss der Wirtschaftsmotor wieder anlaufen, sonst droht das finanzielle Darben.
Für Island müssen es vor allem die Touristen richten, die schon bald wieder zu den Geysiren, Vulkanen und Wasserfällen, für die Island bekannt ist, gelotst werden sollen. Bereits am 15. Juni öffneten die Grenzen, doch die Nachfrage schwächelt, vor allem, weil die wichtigen Gäste aus den USA und Asien bislang nicht einreisen dürfen. Galt der Flughafen Keflavik vor Corona als Rennstrecke für Billigflieger, die Schnäppchenjäger von Europa nach Nordamerika und zurück beförderten, ist der Tourismus weitgehend eingebrochen. Das wird nun zum Problem: Denn mit dem Besucheransturm der letzten Jahre wuchsen auch die Verbindlichkeiten. Wo früher nur Hot-Dog-Buden standen, finden sich nun überall im Land noble Restaurants. Im Wochentakt eröffnete irgendwo auf der Insel ein Vier-Sterne-Bunker, um mit dem Touristenwachstum von bis zu 40 Prozent im Jahr Schritt zu halten.
Die Touristen bleiben vorerst zu Hause
Jetzt passen alle Flüge am einzigen Interkontinentalflughafen der Insel auf zwei Bildschirmseiten. Am ersten Tag der Grenzöffnung, so erzählte es Chefepidemiologe Thorolfur Gudnason auf einer Pressekonferenz, reisten lediglich 1.100 Menschen auf den Inselstaat - vor Corona waren es rund 6.500 am Tag. Zum ersten Mal seit Jahren werden ausländische Besucher zahlenmäßig den Einheimischen unterlegen sein. Sollte auch die zweite Hälfte der Hauptsaison von Mai bis September ein Reinfall werden, stehen viele Betreiber vor dem finanziellen Ruin. Rund ein Drittel aller Arbeitsplätze steht auf dem Spiel.
Die Regierung setzt deshalb auf vertrauensbildende Maßnahmen. Icelandair, die staatliche Airline, setzt auf eine Maskenpflicht an Bord, auch in der Ankunftshalle ist der Stoff vor dem Mund vorgeschrieben. Wer das Flughafengebäude hinter sich lassen will, hat drei Optionen: Eine 14-tägige Quarantäne, ein anerkannter Coronatest aus dem Ausland oder ein Rachenabstrich am Flughafen. Das Testergebnis gibt es für den letzten Fall nach vier bis sechs Stunden per SMS oder App-Meldung, die sich jeder Tourist herunterladen soll. Rund 500 Testungen am Tag geben die Kapazitäten derzeit her, sie sollen in den kommenden Wochen noch ausgebaut werden.
Lockerungen auch innerhalb des Landes
Gemeinsam mit den laxeren Einreiseregeln hat Island auch einige Lockerungen im Landesinneren vorangetrieben. Waren in der Pandemie zeitweise nur Ansammlungen von bis zu 20 Personen erlaubt, dürfen sich jetzt wieder 200 Menschen treffen. Auch Turnhallen, Bars und Gaststätten haben überwiegend geöffnet und dürfen ihre Kapazität bis zur Hälfte der Sitzplätze ausreizen. Sollte eine zweite Welle ausbleiben, rechnet die Regierung damit, noch im Sommer Feste mit bis zu 1000 Teilnehmern zu genehmigen.
Ihren eigenen Zugang haben die Gesundheitsbehörden auch zu den Abstandsregeln gefunden, die in vielen europäischen Ländern noch obligatorisch sind. Statt zwei Metern Abstand, wie das zuletzt Pflicht war, ist nun enges Zusammenrücken offiziell erlaubt. Die Betreiber von Restaurants, Theatern oder Läden müssen lediglich sicherstellen, dass Besucher einen freiwilligen Abstand einhalten können, wenn sie wollen. "Mindestens ein paar Sitzplätze" müssten in Kinos und Theatern deshalb freibleiben, gab jüngst Chefepidemiologe Gudnason zu Protokoll.
Island war den anderen Ländern Europas bei der Corona-Bekämpfung voraus - auch Deutschland. Aufhorchen lassen deshalb auch die Erfahrungen in Reykjavík mit der Corona-Warn-App "Rakning-Covid-19", die bereits im April an den Start ging. Rund 40 Prozent der 350.000 Isländer nutzen sie bereits - in Deutschland sind es lediglich 15 Prozent. Anders als die deutsche Bluetooth-gestützte App nutzt die isländische Version GPS-Daten, mit denen Bewegungsprofile erstellt werden können. Dadurch können Behörden zwar wissen, wann jemand wo war und welche Personen sich zu diesem Zeitpunkt dort noch aufgehalten haben. Die Technologie ist allerdings deutlich ungenauer. Entsprechend ernüchternd fällt auch das Fazit aus: "Die Technologie ist mehr oder weniger nutzlos", so ein Entwickler der App. Zumindest in dieser Hinsicht scheint Deutschland Island etwas voraus zu haben.
Quellen:
- CNN: Iceland now feels like the coronavirus never happened
- Contrasttravel: Aktuelles zum Coronavirus in Island
- Auswärtiges Amt: Reise- und Sicherheitshinweise
- Forbes: This Is What It’s Like To Go To Iceland Now
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