Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung im Handwerk. Warum der Weg in die Werkstatt für manche trotzdem genau der richtige ist, um Tradition und Nachhaltigkeit zu verbinden.

"Lehrjahre sind keine Herrenjahre" – und genau deswegen haben junge Menschen keine Lust mehr auf eine Ausbildung. 40 Stunden die Woche an der Werkbank zu stehen, anstatt sich mit Freundinnen und Freunden zum Lernen in der Bibliothek zu treffen, ist für immer weniger junge Menschen attraktiv.

Mehr Studierende als Auszubildende

Toni Herfs hat sich trotzdem für eine Ausbildung in einem klassischen Handwerksberuf entschieden. Er ist einer von circa 350.000 Azubis im Handwerk. Während fast drei Millionen junge Menschen in Deutschland studieren, macht er eine Lehre in einem orthopädischen Schuhbetrieb. Dort stellt er Einlagen, Innenschuhe, Bandagen und andere Hilfsmittel her.

Tausende unbesetzte Ausbildungsplätze

Im April 2023 fehlen in Deutschland 40.000 Auszubildende. Und das, obwohl es laut Mikrozensus circa 600.000 Menschen zwischen 18 und 24 Jahren gibt, die von der Schule gegangen sind, aber danach weder eine Arbeit, Ausbildung noch ein Studium angefangen haben.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen wandelt sich das Arbeitsverständnis der Generation Z und damit auch die Ansprüche an den Arbeitgebenden und an den Alltag zwischen Beruf und Freizeit. Besonders seit den Corona-Lockdowns sind Homeoffice und mobiles Arbeiten für junge Menschen selbstverständlich geworden, im Handwerk ist das aber nicht so einfach umzusetzen.

"Die jungen Menschen haben einfach eine andere Herangehensweise an den Job. Diese Leistungsgesellschaft von früher, in der alle arbeiten und etwas schaffen mussten, ist heute nicht mehr so extrem", sagt Jochen Haas, Inhaber des Ausbildungsbetriebs von Toni Herfs.

Gründe für mangelndes Interesse an einer Lehre

Die Einstellung sei zwar eine andere, aber keine schlechtere. Man müsse die jungen Leute einfach anders abholen, ein bisschen mehr motivieren und Innovation hineinbringen. Mit moderner Technik wie 3D-Druckern versucht er, "Hightech und Handwerk zu kombinieren" und so ein attraktiver Arbeitgebender auch für junge Menschen zu sein, die sich ein Berufsleben ohne Digitalisierung nicht mehr vorstellen können.

Jochen Haas sieht das Nachwuchsproblem im Handwerk auch darin begründet, dass sich viele heute für ein Studium entscheiden, ohne sich wirklich mit den eigenen Stärken auseinandergesetzt zu haben. Kinder würden heute schon in der Grundschule darauf vorbereitet, auf ein Gymnasium zu gehen und zu studieren. "Abitur ist Pflicht und dadurch verlieren wir natürlich viele Leute, die auch handwerklich begabt wären und die einfach direkt studieren, aber noch nicht ganz konkret wissen, was sie machen möchten."

Leidenschaft für Mode und Schuhe im Handwerk umgesetzt

Dabei werden Orthopädie-Schuhmacher und -Schuhmacherinnen gebraucht. Weltweit leiden etwa 70 Prozent unter einer orthopädischen Fußfehlstellung und Schuheinlagen sind das am häufigsten verschriebene Hilfsmittel in Deutschland: Knapp 20 Prozent der Bevölkerung tragen ärztlich verordnete Einlagen, also nahezu jeder und jede Fünfte.

Toni Herfs hat auch erst über ein Modedesign-Studium nachgedacht, dann aber bei einem Praktikum während des Abiturs schnell festgestellt, dass sich seine Leidenschaft für Mode und Schuhe hier mit dem Erfolgserlebnis verbinden lassen, am Ende des Tages etwas in den Händen zu halten und zu sehen, was er geschafft hat.

Wie viele in seiner Generation nutzt Herfs die sozialen Medien als Ort der Entfaltung, um dort bei Menschen in seinem Alter ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen und ihnen das Handwerk wieder näherzubringen. Deswegen postet er Videos auf seinem Instagram-Kanal, in denen man ihn an der Werkbank sieht, wie er Schuhe baut oder neu besohlt. Außerdem bietet er hier auch an, alte Schuhe zu reparieren und wieder schönzumachen. Dazu bekommt er viel positive Resonanz und kann sich mit anderen Menschen vernetzen, die denselben oder einen ähnlichen Beruf wie er ausüben, nicht nur in Deutschland.

Diese Erfahrungen kann er mit in den Alltag nehmen und dort Ästhetik, Funktionalität und Nachhaltigkeit so verknüpfen, dass er Menschen mit seiner Arbeit helfen kann.

Verwendete Quellen:

Dieser Beitrag gehört zum Projekt der Abschlussklasse S21 der Journalistenschule ifp und ist in Zusammenarbeit mit der Redaktion von WEB.DE und GMX entstanden. Das gesamte Projekt finden Sie hier:

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