Wie verbreitet ist Sucht in Österreich? Ist Heroin wirklich eine der gefährlichsten Drogen und macht sofort abhängig? Im Gespräch mit GMX.at klären Primar Dr. Hannes Bacher und Diplomsozialarbeiter Manfred Hoy von der Suchthilfe Salzburg auf und sagen wie man sich am besten vor Suchtverhalten schützt.

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Herr Dr. Bacher, Herr Hoy – welches ist denn die gefährlichste Substanz, die im Umlauf ist? Und wie viele Menschen sind in Österreich von der Sucht betroffen?

Dr. Bacher: 8.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen von Alkoholmissbrauch, 200 an den Folgen illegalen Drogenkonsums. 100 Personen sterben unmittelbar nach einer reinen Alkoholvergiftung, 50 an einer reinen Opiatvergiftung. Das heißt: Die Drogen, die immer kriminalisiert werden, sind weitaus nicht so ein Problem wie der legal erhältliche Alkohol, der gesellschaftlich als positiv gesehen wird und bei Feierlichkeiten einfach dazu gehört.

Da haben wir derzeit in Österreich 670.000 Männer, die alkoholgefährdet sind, 260.000 Männer sind schwere Alkoholiker, bei den Frauen sind 65.000 alkoholkrank und mehr als 200.000 gefährdet. Bei den Drogenpatienten haben wir gegenwärtig circa 37.000 behandlungsbedürftige Menschen.

Dr. Hoy: Die Zahl der Drogenpatienten ist in den letzten Jahren relativ gleich geblieben. Es gab mal eine Zeit, da wurden es mehr. In der Zwischenzeit hat es aber durch die Medizin andere Antworten gegeben – die Substitutionstherapie, wo die Patienten ja auch abhängig sind von einem bestimmten Medikament, aber nicht als Drogenabhängige gelten. Früher hat es nichts anderes gegeben als die Abstinenz – alles andere wäre eine Ausflucht, hat man behauptet. In der Zwischenzeit sieht man, dass die Substitutionstherapie sehr viel zur Verbesserung der Lebensumstände und zur Lebensverlängerung beiträgt.

Wo liegt beim Alkoholkonsum die Grenze?

Ab wann ist jemand abhängig oder nur ein Gelegenheitstrinker? Die Schwelle ist ja nicht so leicht zu definieren.

Dr. Hoy: Ja, es gibt nicht den einen Punkt, an dem man sagen kann, da ist man abhängig. Das entwickelt sich langsam. Die Leute merken es am Anfang, wenn leichte Entzugserscheinungen aufkommen, die sie gar nicht als solche wahrnehmen – sie denken, heute fühlen sie sich unwohl, und dann kommen sie drauf, mit einem Glas Wein oder Bier wird es besser. Die Empfehlung der World Health Organisation ist: Nicht mehr als ein, zwei Flaschen Bier am Tag – plus alkoholkonsumfreie Tage jede Woche, mindestens zwei davon. Dann ist man auf der sicheren Seite.

Dr. Bacher: Die eigentliche Grenze für eine Schädigung beträgt bei Frauen 13 und bei Männern 17 Gramm Alkohol – das wäre ein Achtel Wein pro Tag. Bei meinen Patienten habe ich Leute mit zwei bis drei Liter Wein pro Tag, andere trinken 20 Bier am Tag, wieder andere trinken einen oder anderthalb Liter Wodka am Tag und noch Bier dazu. Wenn die Patienten die ersten Entzugserscheinungen spüren, fangen sie in der Früh mit Magenbitter an – und da kann es schon mal sein, dass ein ganzer Liter getrunken wird.

Rein medizinisch ist es ein Phänomen, dass der Körper im Lauf der Zeit lernt, mit solchen Mengen umzugehen. Irgendwann kommt aber der Moment, wo man nicht mehr zurück kann – wo man wirklich Entzugserscheinungen kriegt, die tödlich sein können. Ein Drogenentzug ist zwar schlimmer, weil man ihn bewusst miterlebt, aber er ist nicht tödlich. Tödlich ist dann potentiell erst wieder der Entzug von Medikamenten, die teilweise sehr leichtfertig verschrieben werden.

Wie entwickelt sich Sucht?

Ist bei anderen Substanzen der Prozess derselbe? Es heißt ja zum Beispiel, ein Schuss Heroin kann schon abhängig machen.

Dr. Hoy: Da sind wir bei der Suchtentwicklung. Der Mensch konsumiert einen Stoff, der ihm gefällt. Das heißt, er hat eine Droge gefunden, die zu seinem Gefühlsleben passt und genau die Veränderung bewirkt, die er will. Wenn er die Droge nimmt und es passt, dann nimmt er sie öfter. Um den gleichen Zustand wieder zu erreichen, muss er immer mehr davon nehmen. Das nennt man Toleranzentwicklung – aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, da kann er nicht mehr. Beim Alkohol sind das ungefähr 3,5 Promille.

Dr. Bacher: Es gibt eine gewisse Grenze – wobei man diese nach oben steigern kann. Ich kann mich erinnern, wir hatten an der Klinik mal einen Patienten, der hatte knapp über 5 Promille. Das sind aber Ausnahmen. Definitionsgemäß beginnt das Problem einer behandlungspflichtigen Alkoholvergiftung bei einem, der nicht routiniert ist, bei 1,5 Promille. Alles bis dorthin ist noch mehr oder minder eine Berauschung.

Wieviel entspricht das? Wieviel trinke ich, um 1,5 Promille zu erreichen?

Dr. Bacher: Wenn sie innerhalb kurzer Zeit eineinhalb Flaschen Wein trinken oder etwa eineinhalb Flaschen Sekt, dann haben sie dieses Level.

Dr. Hoy: Irgendwann ist also Ende mit der Dosiserhöhung, weil es dann eine tödliche Dosis wäre. Das heißt, die Menschen pendeln sich ein, egal bei welchen Drogen – legale, illegale – und brauchen diese Dosis dann jeden Tag. Manche entscheiden sich irgendwann, eine Entgiftungsbehandlung zu machen. Die kriegen eigentlich immer die Empfehlung, auch eine weitere Therapie zu machen.

Welche Probleme gibt es beim Entzug?

Abgesehen von der Rückfälligkeit, was sind denn die größten Probleme und Hürden bei einer Behandlung?

Dr. Hoy: Das hängt von den Drogen ab. Bei Alkohol sind es andere als bei illegalen Rauschdrogen. Bei Alkohol kommt man weniger mit dem Gesetz in Konflikt, während illegale Rauschdrogen relativ schnell wegen der Beschaffungskriminalität mit Vorstrafen verbunden sind.

Dr. Bacher: Bei Alkoholkranken wird meist von außen eingewirkt, weil diese Menschen entweder erst einsehen, dass sie ein Problem haben, wenn sich im Beruf etwas ändert, wenn sich zuhause etwas ändert und wenn sie niemanden mehr haben, der co-abhängig sein möchte. Co-Abhängigkeit bedeutet, dass man den Kranken in seiner Sucht unterstützt – auch im besten Gewissen, zum Beispiel die Ehegattin, die dem Gatten jeden Tag 4 Liter Wein hinstellt, weil sie sagt: Ohne geht es ihm so schlecht, und ich gebe es ihm halt.

Bei Drogenproblemen verhält es sich wie psychischen Leiden: Klassisch ist derjenige erkrankt, der eigentlich das Ausmaß seiner Erkrankung nicht einschätzen kann. Das ist wie bei psychotischen Störungen, auch bei Depressionen, bipolaren Störungen, dass sich der Kranke nicht behandeln lässt, weil für ihn der Zustand normal ist. Das ist auch bei einem Alkoholerkrankten so: Wenn der am Wochenende jeden Tag seine 5-7 Bier trinkt, dann ist das für ihn nichts Besonderes. Dass das aber sehr wohl bedenklich ist und weit über die Grenzen hinausgeht, das sieht der gar nicht.

In Österreich kommen auf eine Million Einwohner rund 22 Drogentote, in restriktiveren Ländern wie Finnland oder Großbritannien sind es mehr – 32,9 bzw. 40,3. Wäre die Antwort, mehr zu legalisieren?

Dr. Bacher: Wäre es nicht. Das Problem ist ja, dass die Drogentoten nicht an der Substanz sterben, sondern an dem, was in den auf dem Schwarzmarkt verkauften Substanzen drin ist. Wir können heute davon ausgehen, dass 10 bis 15 Prozent Reinsubstanz sind und der Rest von jedem Dealer, der es weitergibt, gestreckt wird. Der letzte in der Kette ist der Konsument, und der nimmt natürlich auch die Giftstoffe auf. Angefangen von Strychnin über Kameldung bis Kamelhaare – da ist alles drin. Mittlerweile werden auch Altmedikamente wieder aufbereitet: Da tarnt man dann ehemalige Kreislaufmittel als Ecstasy-Tabletten. Für die Substanzen, die teilweise Schwefelsäure brauchen, um wirksam zu werden, werden alte Autobatterien entleert, in denen Schwefelsäure drin ist, aber leider auch ein sehr hoher Bleianteil.

Noch eine polemische Frage: Wäre es dann sinnvoll, das zu kontrollieren, mit einer Art Gütesiegel?

Dr. Bacher: Das gibt es – die Substitutionstherapie. Da bekommt der Patient seine sogenannte Ersatzdroge, die gegen die unangenehmen Erscheinungen wirkt, aber in Apothekenqualität.

Dafür muss er aber erstmal wissen, dass er etwas tun muss.

Dr. Bacher: Wissen tun's die meisten, aber bereit sind viele noch nicht.

Dr. Hoy: Diese illegalen Substanzen wird man auch nie wegbringen. Bei den neuen Drogen kommen 80 bis 100 im Jahr dazu – wenn sie legal sind von der Formel her, werden die irgendwo bestellt, zum Beispiel in China. Bei den alten Drogen hat man gewusst, wie die auf längere Zeit gesehen wirken. Bei Ecstasy, vor dem man früher so gewarnt hat, ist man mittlerweile draufgekommen, dass das im Vergleich zu anderen eine relativ "sichere" Droge ist – weil man drauf schauen konnte, wie es wirkt.

Gesundes Leben und andere Süchte

Was ist wichtig für die Vorbeugung? Der Hinweis, dass etwas schädlich ist, nützt ja nichts – wie beispielsweise die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen.

Dr. Hoy: Gerald Koller aus Oberösterreich hat so ein Klaviermodell entwickelt. Er sagt, für jedes Problem gibt es eine Taste am Klavier, die man bedienen kann. Und wenn man 50 Tasten spielen kann, dann gibt das eine gute Melodie im Leben. Wenn langsam eine Einengung stattfindet, wie es bei Sucht bei Fall ist, dann werden die Tasten weniger. Irgendwann hat der Mensch dann vielleicht nicht mehr die Musik, den Stammtisch, die Freunde, und und und – sondern möglicherweise nur noch 2 oder 3 Sachen, die wichtig sind. Und wenn da etwas wegfällt, dann bleibt vielleicht nur noch eine Droge über. Vorbeugung heißt: Ein möglichst vielfältiges Leben, möglichst viele Kontakte, möglichst viele "Tankstellen", wo man sich Kraft holen kann. Und die Grundlagen sind wichtig: Das Einkommen, das Wohnen, Kommunizieren können, am sozialen Leben teilhaben können.

Primar Dr. Hannes Bacher ist Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatik und ärztlicher Leiter der Suchthilfe Klinik Salzburg. Manfred Hoy ist diplomierter Sozialarbeiter und Leiter der fünf Sucht- und Drogenberatungsstellen in Stadt und Land Salzburg. Beides sind Einrichtungen der Suchthilfe Salzburg (vormals Salzburger Landesverband für Psychohygiene).
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