Was ist Conchita Wurst denn nun? Eine Frau mit Bart oder ein Mann mit Kurven? Diese Frage stellen sich viele, seit die Diva mit Bart den Eurovision Song Contest nach Österreich geholt hat. Nach Schätzungen leben hierzulande rund 600 Männer und 300 Frauen, die sich als Angehörige des anderen Geschlechts empfinden. Sie sind transsexuell – Carla B. ist eine von ihnen.

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Conchita Wurst wird seit ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest als Königin Europas gefeiert. Im privaten Leben heißt sie sie Thomas Neuwirth. Transsexuell, intersexuell oder einfach eine geniale Marketingstrategie? "Ich bin etwas dazwischen", sagt Conchita Wurst. Sie sprengt Normen, polarisiert und stößt dennoch großteils auf Akzeptanz. "Ich bin eine hart arbeitende Frau und in meiner Freizeit ein wahnsinnig fauler junger Mann. Und das wird sich auch nicht ändern", sagt sie und wirft keck ihre lange Mähne nach hinten.

So einfach hat es Carla B. nicht. Sie ist keine Dragqueen, sondern transsexuell: Sie wurde als Frau geboren, lebt und fühlt sich aber als Mann. In ihrem Kopf heißt sie Karl. Selbst ohne Hormontherapie hat die 38-Jährige Bartwuchs und eine tiefe Stimme. Trotzdem unterscheidet sie sich von Intersexuellen wie Dancing Star Erik Schinegger. Bei Intersexuellen - auch Hermaphroditen genannt - sind von Geburt an Merkmale beider Geschlechter vorhanden.

"Schon als Volksschülerin habe ich gesagt, dass ich ein Bub bin", sagt Carla B. Heute ist sie ein zufriedener Mensch, lebt in einer glücklichen Partnerschaft mit einem schwulen Mann. Doch der Weg dahin war steinig. "Wenn man sich in seinem eigenen Körper nicht wohl fühlt, kann man auch nicht lieben, man mag seine Hülle nicht", sagt sie.

Die Hintergründe von Transgender - darunter fallen nicht nur Transsexuelle sondern auch bewusst androgyne Menschen und Dragqueens - sind nicht bekannt. Es gibt zwar eine Vielzahl psychologischer Theorien, die aber von genauso vielen Gegenbeispielen widerlegt werden. Grundsätzlich sind Transgender unabhängig von der sexuellen Orientierung.

Was der Gesetzgeber sagt

Carla B. könnte laut österreichischem Recht auch ohne Geschlechtsumwandlung ihren Namen ändern - allerdings nur bei Wahl eines geschlechtsneutralen Vornamens. Also etwa "Andrea": die deutsche Variante des Namens ist eindeutig weiblich, die italienische Variante männlich.

So weit möchte Carla nicht gehen. "Die meisten glauben ohnehin, dass ich lesbisch bin", sagt die Altenpflegerin mit den kurzen Haaren. "Und eigentlich ist es mir auch egal, was die Leute denken." Zu einer Geschlechtsumwandlung kann sie sich nicht durchringen. "Das würde bedeuten, dass ich viele Krankenstände hätte. Ich fürchte um meinen Job. Mein Leben ist auch so sehr glücklich."

Hat sich jemand einer geschlechtsanpassenden Operation unterzogen, so ist – unabhängig davon, ob diese Person verheiratet ist oder nicht – die Änderung des Geschlechts als Randvermerk in das Geburtenbuch einzutragen. So sieht es der österreichische Gesetzgeber vor. Nur wenige Staaten besitzen eine eindeutige gesetzliche Regelung.

Mann, Frau, Ladyboy

In einigen Kulturen sind Transsexuelle gesellschaftlich akzeptiert - etwa in Tailand. Dort heißen sie Katoeys, Touristen nennen sie Ladyboys. Dass Transsexuelle ausgerechnet in eine Gesellschaft integriert scheinen, die derart gläubig und konservativ ist wie die thailändische, mag verwundern. Tatsächlich seien Katoeys nicht trotz der allgegenwärtigen Religiosität akzeptiert, sondern gerade deswegen, schreibt der Soziologe Richard Totman in seinem Buch "The third sex".

Schon in frühen buddhistischen Niederschriften werden demnach nicht zwei, sondern vier Geschlechter genannt: Männer, Frauen, Hermaphroditen und Katoeys - biologische Männer, die sich seit ihrer Kindheit als Frauen fühlen. Heute sind Katoeys präsenter denn je: Die schönsten Transsexuellen werden bei eigens veranstalteten Wahlen zur "Miss Tiffany" von 15 Millionen thailändischen Fernsehzuschauern bewundert.

So weit wie in Thailand wird es in Österreich noch nicht so bald sein, aber: Conchita Wurst hat es geschafft, viele Herzen zu erobern. Die Königin Europas steht nicht nur für große Sangeskunst, sondern auch für Akzeptanz und Toleranz. Und sie hat es geschafft, dass sich Carla B. ein bisschen normaler und damit glücklicher fühlt.

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