Daumen runter für zu viel Tippen: Ständige Smartphone-Nutzung oder Arbeit am Computer kann unsere Gelenke und Muskeln überstrapazieren. Was hilft gegen Phänomene wie den "Handy-Daumen" oder die "iPad-Schulter"?
Wer ständig am Handy hängt, kennt es vielleicht: Der Daumen zwickt, das Handgelenk zieht, und irgendwie fühlt sich alles verkrampft an. Der sogenannte "SMS- oder Handy-Daumen" ist eine echte Belastung für Sehnen und Gelenke. Auch Phänomene wie der "Mausarm" oder die "iPad-Schulter" gelten inzwischen als typische Zivilisationskrankheiten und zeigen: Unser digitaler Lifestyle hinterlässt Spuren am Körper.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt Privatdozent Dr. Bastian Marquaß, leitender Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin und Unfallchirurgie, wie diese Beschwerden entstehen, woran man sie erkennt - und wie man vorbeugen kann.
Was genau versteht man unter einem "Handy-Daumen"?
Dr. Bastian Marquaß: In der Regel ist ein "SMS-Daumen" das Resultat des laufenden Tippens von Kurzmeldungen, deshalb auch die Bezeichnung. Aufgrund der einseitigen Bewegungen kommt es zu einer Kapselreizung im Daumengelenk. Die Folge sind schmerzhafte Entzündungen. Inzwischen hat sich der modernere und zeitgemäße Begriff "Handy-Daumen" etabliert.
Wie führt Tippen und Wischen zu Beschwerden im Daumen?
Dr. Marquaß: Diese einseitigen monotonen Bewegungen überanstrengen vielfach die Sehnen - insbesondere die permanenten Dehn- und Abspreizbewegungen. Die Folge ist eine schmerzhafte Entzündung. Dies betrifft häufig auch PC-Nutzer - aber grundsätzlich kann jede Über-Beanspruchung der Sehnen eine Entzündung des umhüllenden Bindegewebes verursachen. Dadurch kommt es im weiteren Verlauf zu Schwellungen sowie Schmerzen - anfangs nur bei Bewegungen, später vielfach selbst im Ruhezustand.
Ist das Phänomen neu - oder gab es ähnliche Probleme schon vor der Smartphone-Ära?
Dr. Marquaß: Mit fortschreitender Digitalisierung und der grenzenlosen Kommunikation haben sich völlig neue Arbeitsbedingungen ergeben, aber damit einhergehend auch neue "Zivilisationskrankheiten". Ein Beispiel dafür ist auch die "iPad-Schulter": Wer stundenlang mit gebeugtem Kopf und krummen Nacken auf seinen Rechner starrt, der bekommt oft nicht nur Kopf- und Schulter-Schmerzen. Auch Muskeln, Sehnen und Nerven können bei stark einseitiger Belastung beschädigt werden, wie eine Harvard-Studie belegt.
Der "Mausarm" ist ein weiteres typisches Phänomen des Digital-Zeitalters. Betroffen davon sind sehr oft leidenschaftliche Computerspieler und andere Dauer-Tipper: Mit kleinen, schnellen Bewegungen steuern sie täglich stundenlang ihre PC-Maus und riskieren so Entzündungen in Sehnen und Muskeln von Oberarm, Schulter und Nacken.
Welche Symptome deuten darauf hin, dass es sich um einen "SMS- oder Handy-Daumen" handelt?
Dr. Marquaß: Wenn der Daumen zittert und schmerzt beim Handy-Halten sind das Alarmzeichen, die ernst genommen werden sollten. Auch ein leichtes Ziehen in Daumen oder Handgelenk kann ein Warnhinweis sein. In diesem Fall bitte die Nutzung des Handys stark reduzieren oder, noch besser, für eine Weile ganz pausieren.
Können die Beschwerden durch einfache Maßnahmen gelindert werden?
Dr. Marquaß: Ja, am besten ist es, für mindestens eine Woche ganz auf das Handy zu verzichten, falls möglich. Aber es ist auch schon hilfreich, beim SMS-Schreiben öfter zu pausieren und bei auftretenden Schmerzen sofort das Tippen zu unterbrechen.
Welche Therapiemethoden sind aus medizinischer Sicht am effektivsten?
Dr. Marquaß: Stellt der Arzt eine Sehnenscheiden-Entzündung fest, so können stabilisierende Bandagen oder Stützverbände hilfreich sein. Kurzfristig können auch Schmerzmittel helfen. Linderung bringen zudem vielfach Physiotherapie, Handmassagen und generell Übungen, die die Muskeln entlasten.
Empfehlenswert ist beispielsweise folgende Übung zur Selbstmassage der Daumenmuskulatur. Ausgangsstellung: Die betroffene Hand liegt mit dem Handteller nach oben auf dem Tisch. Durchführung: Suchen Sie nun mit der anderen Hand die schmerzhaften Punkte am Daumenballen. Haben Sie diese gefunden, üben Sie mit den Fingern Druck auf diese Punkte aus. Halten Sie den Druck, bis der Schmerz und die Spannung im betroffenen Bereich nachlassen. Es ist auch möglich, die entsprechenden Stellen mit leicht kreisenden Bewegungen zu massieren.
Welche präventiven Maßnahmen empfehlen Sie Menschen, die beruflich oder privat viel tippen?
Dr. Marquaß: Präventiv wirken können kurze Lockerungs- oder Dehnübungen. Hilfreich ist es natürlich auch, wenn das Handy nicht ständig in Aktion ist, also sich öfter einmal kurze Auszeiten gönnen. Außerdem sollten Viel-Tipper es beim Schreiben von Nachrichten etwas ruhiger angehen lassen - und hektische Drehbewegungen möglichst vermeiden. Entlastend kann es auch sein, wenn statt des einen Daumens beide eingesetzt werden.
Gibt es eine ergonomisch optimale Art, das Smartphone zu halten und zu bedienen?
Dr. Marquaß: Halten Sie das Gerät möglichst so hoch, dass der Kopf in aufrechter Position bleibt. Und bitte häufig die Freisprechanlage wählen, dies lässt Ihnen mehr Bewegungsfreiheit. Gönnen sollte man sich auch des Öfteren eine Entspannungsübung zwischendurch.
Ein praktisches Beispiel: Setzen Sie sich aufrecht hin und drücken Sie die linke Hand ganz leicht gegen ihr linkes Ohr. Nach ein paar Sekunden das Ganze mit der anderen Seite wiederholen. Durch diese und ähnliche Übungen entspannt die Muskulatur und Sie vermeiden einen Handy-Nacken. Denn durch das ständige Nach-Unten-Schauen auf das Smartphone-Display wird die Nackenmuskulatur stark belastet und die Halsmuskeln können überdehnen. Mögliche Folgen: ein steifer Nacken und Kopfschmerzen.
Über den Experten:
Privatdozent Dr. Bastian Marquaß arbeitet als leitender Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin und Unfallchirurgie an der Gelenk-Klinik-Gundelfingen. Zu seinen Behandlungsschwerpunkten zählen Schulter-, Hand- und Ellenbogenschmerzen sowie Kniebeschwerden. (ncz/spot) © spot on news