Viele Menschen möchten die letzten Tage und Stunden ihres Lebens in den eigenen vier Wänden verbringen, nicht in einer Klinik oder einem Heim. Für Angehörige keine einfache Situation. Doch wer sich vorbereitet, kann diesem Wunsch eines geliebten Menschen nachkommen, ohne überfordert zu sein.
Auch wenn es um Leben und Tod geht, können grammatikalische Feinheiten bedeutsam sein. Etwa dann, wenn Sepp Raischl sagt: "Wir sterben nicht, wir werden quasi gestorben."
Die Dinge aus der Hand geben zu müssen, der absolute Kontrollverlust - darin liegt aus seiner Sicht unsere Angst vor dem Sterben begründet. Wie diese Angst nicht nur Sterbende, sondern auch ihre Angehörigen einnimmt, hat er in fast 27 Jahren Hospizarbeit unzählige Male erlebt.
Da kommt etwas auf uns zu, was wir nicht kennen - entsprechend unsicher sind wir. Viele Menschen fühlen sich überfordert, gerade dann, wenn ein Angehöriger den Wunsch äußert, statt in der weißen Bettwäsche eines weiß gestrichenen Klinik-Mehrbettzimmers in gewohnter Umgebung von der Welt Abschied nehmen zu können.
Es klingt banal, jedoch: Wie bei jeder Prüfung schafft gute Vorbereitung Abhilfe.
Kann jeder zu Hause sterben?
Bei 80 Prozent der Menschen spricht aus medizinischer Sicht nichts dagegen, zu Hause zu sterben, schätzt Raischl, fachlicher Leiter des Christopherus-Hospiz-Vereins München, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Im Jahr 2018 ist das in Deutschland in einem Ausmaß möglich, wie nie zuvor", sagt er. Das liegt auch daran, dass Angehörige auf jede Menge externe Hilfe zurückgreifen können.
Wo bekomme ich Hilfe?
Der Hausarzt, ambulante Pflege- und Hospizdienste, Palliativteams, Nachbarschaftshilfen - sie alle können Angehörigen unter die Arme greifen. Die Kosten tragen in aller Regel die Krankenkassen.
Raischl empfiehlt, frühzeitig Kontakte zu den Profis vor Ort zu knüpfen. Spätestens, wenn die Oma binnen weniger Monate wiederholt ins Krankenhaus musste, sei es Zeit, sich beraten zu lassen. "Viele stellen sich vor, dass ein Sterben zu Hause an mangelnder medizinischer oder pflegerischer Versorgung scheitert. Meine Erfahrung ist eher, dass es daran scheitert, dass die Menschen zu wenig miteinander reden."
Welche Fragen muss ich klären?
Reden, reden, reden. Das mag die wichtigste Devise in diesem Zusammenhang sein. Um mit externen Helfern die richtigen Absprachen treffen zu können, muss der Angehörige die Wünsche des Sterbenden kennen, wissen, was ihm wichtig ist.
Außerdem sollte in der Familie darüber gesprochen werden, wer welche Unterstützung leisten kann. Wer kümmert sich um Medikamente? Um Lebensmittel? Wer kommt wann zu Besuch? Gibt es jemanden, der auch mal über Nacht bleibt?
Für den Sterbenden wird das Abschiednehmen leichter, wenn er alle und alles, was ihm lieb ist, gut versorgt weiß. Das gilt nicht nur für seine Mitmenschen, sondern mitunter auch für die Katze oder die Balkonblumen. Deshalb: Kann die Enkelin die Katze aufnehmen? Welcher Nachbar hat Interesse an den Pflanzen? Auch finanzielle Sorgen sollte man nach Möglichkeit nehmen.
Wie erkenne ich, dass es ernst wird?
Jeder Mensch ist anders, im Leben wie im Sterben. Doch es gibt Indikatoren, die darauf hinweisen, dass der Sterbeprozess beginnt. Einige Beispiele zählt Raischls Kollegin Katarina Theißing auf:
- Anhaltende Müdigkeit
- Wenig Hunger und Durst
- Verwirrung: Viele Menschen verwenden dann Vokabeln, die mit dem Reisen zu tun haben. "Ich muss packen." "Ich werde abgeholt." "Ich darf den Zug nicht verpassen."
- Veränderter Atem: Die Pausen zwischen den Atemzügen werden länger. Der Atem wird rasselnd, laut und feucht, weil Speichel, der auf den Stimmlippen hängt, nicht mehr abgehustet werden kann. Zum Ende hin stellt sich Schnappatmung ein
- Arme und Beine werden kalt und verfärben sich bläulich
Wichtig sei, sagt Theißing, diese Symptome richtig zu deuten. Schnapp- und Rasselatmung etwa hätten nichts mit Ersticken zu tun. Dass sich die Atmung dahingehend verändert, sei am Lebensende völlig normal.
Zwei andere häufige Irrtümer: Kalte Extremitäten bedeuten nicht zwangsläufig, dass der Sterbende friert - erfahrungsgemäß hätten es die meisten Menschen in dieser Situation lieber kühl als warm. Wer über Durst klagt, hat laut Theising oft keinen Durst, sondern einen trockenen Mund. Wenige Tropfen aus einer Pipette oder Sprühflasche schaffen Abhilfe.
Dableiben oder gehen?
Alleine sterben, das klingt traurig. Doch allein sein und sich allein gelassen fühlen, sind zwei Paar Stiefel. "Dass sich der Sterbende allein gelassen fühlt, sollte man vermeiden. Das bedeutet aber nicht, dass 24 Stunden am Tag jemand seine Hand halten muss", sagt Raischl.
Auch Vorwürfe, im Moment des Todes nicht vor Ort gewesen zu sein, sind aus seiner Sicht meist unbegründet. "Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass alle Menschen im Sterben jemanden bei sich haben wollen." Vielmehr habe er es oft erlebt, dass Menschen gerade dann gehen, "wenn endlich a mal a Ruh is", wie Raischl es auf Bayrisch formuliert. Fast so, als wollten sie ihren Lieben diesen Moment ersparen. Fast so, als seien sie beruhigt zu sehen, wie die Angehörigen auch für sich selbst sorgen.
Loslassen. Welch schwere Aufgabe in diesem Zusammenhang. Doch wer krampfhaft versuche, einen Sterbenden festzuhalten, obwohl er ihn ja doch nicht festhalten kann, tue diesem keinen Gefallen, sagt Raischl.
Worauf muss ich bei einem Toten gefasst sein?
Wer es nie erlebt hat, den mag der Anblick erschrecken: Die meisten Menschen sterben mit weit geöffnetem Mund, viele auch mit offenen Augen.
Das entspricht so gar nicht der Vorstellung, die uns die Sprache mit Formulierungen wie "sanft entschlafen" oder "eingeschlafen" mitgibt. Auch Film und Fernsehen würden häufig falsche Vorstellungen prägen, sagt Theising. "Vergessen Sie, was Sie dort sehen." Einem Toten mit einer sanften Bewegung die Augen schließen zu wollen - eine Standard-Krimi-Szene - sei utopisch. Dafür brauche es mehr Kraft, und nach Eintreten der Leichenstarre sei man ohnehin machtlos.
Tote schlafen nicht, deshalb sehen sie auch nicht so aus und fühlen sich nicht so an: Die Haut verfärbt sich an der Unterseite dunkelrot bis violett, die Körpertemperatur sinkt, nach etwa ein bis zwei Stunden tritt die Leichenstarre ein.
Und wenn nicht alles nach Plan läuft?
Vorbereitung ist wertvoll, sie beruhigt, schafft Zutrauen in die eigene Kraft. Eine Garantie, dass alles nach Plan läuft, ist sie nicht.
Theißing rät Menschen, die einen Angehörigen in den Tod begleiten, nicht nur gut zu diesem, sondern auch gut zu sich selbst zu sein. "Man hat nicht immer für alles die perfekte Lösung - im Leben nicht und beim Sterben auch nicht."
Verwendete Quellen:
- "Letzte-Hilfe-Kurs" mit Katarina Theißing am 14. November 2018 in der evangelisch-lutherischen Rogatekirche in München.
- Gespräch mit Sozialpädagoge Sepp Raischl vom Christopherus-Hospiz-Verein München.
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