Michael K. ist 51 Jahre alt. Bis vor kurzem leitete er ein Team von 16 Mitarbeitern; diesen Job hat er aufgegeben. Er bezeichnet sich selbst als "Arschloch", weil er Frauen sexuell belästigt.
Eine seiner Mitarbeiterinnen zeigt Michael K. bei dessen Chefin an. Der Grund: Sie fühlt sich sexuell belästigt. Erst jetzt, so sagt er, wird ihm bewusst, dass er Grenzen überschritten hat. K. gibt seinen Job auf, begibt sich in Psychotherapie: "Es klingt mehr als nur absurd: Auch Täter, so wie ich, leiden."
Herr K., Sie bezeichnen sich selbst als Widerling. Warum?
Michael K.: In meiner Firma hatte ich eine Stelle mit Führungsaufgaben. Diesen bin ich in keiner Form gerecht geworden. In dem Unternehmen ist die Belegschaft zu 70 Prozent weiblich. Als Teamleiter wäre ich dafür da gewesen, dass meine Mitarbeiterinnen mit ihren Sorgen zu mir kommen. Aber ganz im Gegenteil: Ich war derjenige, der eine Mitarbeiterin so weit gebracht hat, dass sie nicht mehr wusste, wohin sie sich wenden konnte.
Was ist genau passiert?
Ich hatte eine Liaison mit einer Kollegin, eine On-Off-Beziehung. Wenn es mal wieder nicht gut lief, war meine Gefühlslage sehr negativ.
Sie sind damit nicht gut zurechtgekommen?
Ich habe mich dann extrem unwohl gefühlt. Anstatt mit meiner Geliebten zu sprechen, habe ich mich anders abreagiert. Ich bin zu einer meiner Mitarbeiterinnen gegangen und habe die gesamten Details dieser Liebschaft vor ihr ausgebreitet: Was ich mit meiner Liaison alles unternehme, was ich für ein guter Liebhaber bin, welche Sex-Praktiken ich beherrsche. Ich hab den Helden, den "Big Lover" rausgekehrt – in allen Details. Weil ich dumm war, oder eben ein Arschloch.
Was als sexuelle Belästigung empfunden wird, ist individuell verschieden. Hatten Sie das Gefühl, die Grenzen dieser Mitarbeiterin zu verletzen?
Ja, sie war damit hoffnungslos überfordert. Beim ersten Mal fand sie das vielleicht noch amüsant und hätte es verarbeiten können. Aber ich habe immer weitergemacht. Sie hat es als sexuelle Belästigung verstanden, und da hat sie recht – auch wenn ich es nicht als solche gemeint habe. Entscheidend ist aber: Ich habe nicht erkannt, was bei ihr angekommen ist.
Woran haben Sie schließlich gemerkt, dass Ihre Mitarbeiterin sich sexuell belästigt fühlt?
Sie wusste ja von meiner Liaison mit der anderen Kollegin und hat sich ihr anvertraut. Diese hat ihr geraten, zu meiner Chefin zu gehen, was auch passiert ist. Die Chefin hat mir Rückmeldung gegeben, dass es eine Beschwerde wegen sexueller Belästigung gab. Da habe ich erst gemerkt, dass meine Mitarbeiterin sich von mir belästigt gefühlt hat. Ich habe als Kollege völlig versagt und als Teamleiter unverantwortlich gehandelt. In letzter Konsequenz habe ich daher meinen Arbeitsvertrag zum Monatsende aufheben lassen und verlasse das Unternehmen. Ich kann meiner Mitarbeiterin ja nicht mehr unter die Augen treten.
Kam es öfter vor, dass Sie Frauen – mitunter unbewusst - sexuell belästigt haben?
Ich habe grundsätzlich ein Problem damit. Ich flirte für mein Leben gerne und überschreite dabei mitunter die Grenze des noch akzeptablen Flirts, weil ich sie nicht erkenne. Der Vorfall mit der Mitarbeiterin war ein Extremfall. Aber dieser kleine Schritt zu weit, der ist durchaus häufiger gegeben.
Wussten Sie schon immer um dieses Problem oder ist es Ihnen erst durch den Vorfall am Arbeitsplatz bewusst geworden?
Das ist mir tatsächlich erst jetzt bewusst geworden. Deswegen habe ich mich sofort in Psychotherapie begeben. Sonst gibt es keine Gewähr, dass das nicht nochmal passiert. Und das will ich nicht.
Dieser Vorfall scheint Sie erschreckt zu haben.
Definitiv. Der Vorfall war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich habe mich selber in Frage gestellt und habe mich direkt in einem Kriseninterventionszentrum in stationäre Behandlung begeben. Ich will analysieren, wie es dazu kommt und welche Verhaltensmuster ich an den Tag lege. Der nächste Schritt ist eine Tagesklinik und dann tiefenpsychologische Behandlung, um so etwas in Zukunft komplett vermeiden zu können.
Warum fällt es Ihnen schwer, Ihr Verhalten zu ändern?
Weil ich noch nicht alle Verhaltensmuster genau definieren kann. Letztens habe ich mich zum Beispiel in der Klinik mit einer anderen Patientin unterhalten. Wir saßen beieinander. Dann kam jemand dazu und ich rutschte ein bisschen und sagte zu der Patientin: "Du kannst ruhig näher kommen, ich beiße nicht – außer auf Wunsch." Und da habe ich gemerkt: Lass doch diesen letzten Teilsatz weg! Aber das kommt raus, bevor ich darüber nachdenke. Und genau das muss ich verhindern.
Hat Ihnen der Aufenthalt im Kriseninterventionszentrum etwas gebracht?
Ja, sehr viel. Das war der erste Schritt, um wieder Stabilität zu erlangen. Es gibt viele Einzelgespräche und Gruppentherapie. Aber man hat auch viel Zeit, um in sich zu gehen - es gibt keine Computer oder Fernseher. Und der Austausch mit Patienten und Therapeuten war für mich sehr wichtig. Auch wenn die Patienten ganz unterschiedliche Probleme haben: Man überlegt, was man davon auf sich selbst anwenden kann. Mir hat das unwahrscheinlich geholfen. Und ich mache das nicht uneigennützig, sondern für mich selbst: Ich möchte nicht nochmal in eine solche Situation kommen.
Weil Sie dadurch Ihren Job aufgeben mussten?
Nein. Ich möchte nicht nochmal das Gefühl haben, dass andere Menschen wegen meines Verhaltens leiden müssen.
Sie zeigen Mitgefühl. Können Sie sich vorstellen, was in den Frauen vorgeht, die sexuelle Belästigung erleiden?
Ja. Sehr gut sogar. Das geht gar nicht… ich verstehe mich nicht. Hätte ich erlebt, dass sich ein Kollege so verhält wie ich mich verhalten habe, hätte ich ihn zur Sau gemacht.
Weil Sie dieses Verhalten dann klarer gesehen hätten als Sie es bei sich selbst tun?
Ja. Bei anderen hätte ich dieses Verhalten schon vorher gesehen. Das ist das Schlimme: Bei mir habe ich es nicht erkannt. Und da habe ich noch viel an mir zu arbeiten.
Haben Familie, Freunde oder Bekannte Sie nie darauf hingewiesen?
Ach naja. Ein Kumpel von mir sagt immer: "Wenn du tot bist, muss man deine Klappe extra totschlagen." Aber das passiert auch eher auf amüsierte Art. Feedback nach dem Motto "Das war jetzt ne Nummer zu viel" kommt nicht.
Hätte Ihnen das geholfen?
Auf jeden Fall.
Vielen Dank für das Gespräch.
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