Ein Stern von Michelin, 18 Punkte von Gault Millau, eine Wahl zum "Koch des Jahres": Markus Neff scheint alles erreicht zu haben, was das Leben als Spitzenkoch zu bieten hat - und ist dabei erstaunlich normal geblieben.

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Markus Neff, der Schweizer Koch des Jahres 2007, braucht keinen Glamour, keine Extravaganz. Der bodenständige Vorarlberger überzeugt seine Gäste im Waldhotel Fletschhorn viel mehr mit einem unaufdringlichen Service voller Charme - und natürlich seiner hervorragenden Kochkunst. Die hat ihm 18 Gault-Millau-Punkte sowie einen Michelin-Stern eingebracht. Im Interview verrät Neff, warum er keinen zweiten braucht, wie viel Kult einer Karriere als Koch wirklich gut tut und das Gulasch jede Gourmetküche in die Tasche stecken kann.

Im kommenden Jahr blicken Sie auf 30 Jahre im Ferienort Saas-Fee im Wallis in der Schweiz zurück. Wie schwer ist es für Sie, all die Zeit im Alpenland zu leben - ganz ohne Verwandtschaft?

Markus Neff: Mit 14 bin ich von zu Hause weg und habe mit 17 die Lehre abgeschlossen. Danach war ich immer unterwegs. Natürlich habe ich eine Bindung zu meinen Eltern und Geschwistern, aber es ist nicht so, dass mir das Alleinsein wahnsinnig schwer fällt. Ich gehe zwei Mal im Jahr heim, das reicht doch.

In Saas-Fee kann man sich ja sicherlich auch sehr heimisch fühlen.

Zum einen ist es hier ähnlich wie bei uns zu Hause. Ich bin aus dem Klostertal, Vorarlberg. Das liegt zwar auf 700 Metern und nicht 1.800 Metern, aber es ähnelt sich landschaftlich. Wir waren es nie gewohnt, jeden zweiten Abend auszugehen oder ständig ins Kino zu gehen, weil es das bei uns einfach nicht gab. Von daher musste ich mich nicht umstellen. Wenn man mit sich selbst nichts anfangen kann, ist man in Saas-Fee am falschen Ort. Hier wirst du nicht unterhalten.

Dann arbeitet man eben mehr, oder?

Das war eigentlich immer so. Wenn man einen Betrieb hat wie diesen, in dem ich 20 Jahre lang mit Irmi zusammengearbeitet habe (Irma Dütsch, Schweizer "Köchin des Jahres" 1994, Anm. d. Red.), geht es nicht normal zu. Das ist kein Job, in dem man sich nach einem Acht-Stunden-Tag verabschiedet. Wenn um Viertel nach Neun am Abend Gäste kommen, stehst du um Zwölf eben noch in der Küche.

Konnten Sie sich Ihr Herzblut fürs Kochen in den ganzen 30 Jahren bewahren?

Ja, weil ich es gerne tue. Das ist ein ganz einfaches Rezept. Es gibt viele Köche, die arbeiten gerne, und es gibt welche, die damit einfach nur ihr Geld verdienen wollen. Diesen Unterschied merkt man. Ich möchte das mit einem Tischler vergleichen: Der baut einen Kasten. Dann gibt es Tischler, die bauen einen besonders schönen Kasten und versuchen, besonderes Holz zu verwenden und den Kasten schön auszuarbeiten. Diesen Unterschied gibt es auch in der Gastronomie und das ist gut so, denn sonst gäbe es nur Spitzenköche.

Findet man als Koch in der gehobenen Küche überhaupt noch Zeit für andere Dinge?

Nach meiner Wahl zum "Koch des Jahres" waren Radio und Fernsehen da und hätten von mir am liebsten gehört, dass ich wahnsinnig spannende Hobbys habe. Aber was sind meine Hobbys? Arbeiten, kochen, schlafen und auf die Zwischensaison warten (im Mai machen Saas-Fees Bewohner Saisonpause, Anm. d. Red.). Die Medien haben gedacht, dass ich vor dem Service noch schnell aufs Allalinhorn renne oder sowas. Sie hätten so gerne eine Sensation gehabt. Eine ganz arme Bauernfamilie und mich als 17. Kind, das eines Tages zum großen Koch wird. Aber mein Leben ist leider schrecklich normal.

Wie sah Ihr Weg in die Sterneküche denn aus?

Das war eigentlich nicht gewollt. Ich habe in einem ganz normalen Betrieb gelernt, in dem wir Schnitzel und Pommes Frites rausgehauen und Busse abgefertigt haben ohne Ende. Wir haben immer gebuckelt und das ist mir zugutegekommen. Ich war nie zu faul zum Arbeiten. Der Bruder meines Lehrchefs sagte zu mir Ende der 70er-Jahre, Anfang der 80er-Jahre: "Du musst in die Schweiz, da kannst du was lernen und Geld verdienen." Meine Eltern haben mich daraufhin ins Fletschhorn gefahren. Meine Mutter hat geweint, als sie gesehen hat, wie der arme Bub mit 18 da hinten im Wald leben würde.

Inzwischen halten Sie 18 Punkte von Gault Millau und einen Michelin-Stern. Ist ein weiterer Stern denn etwas, was Sie wollen?

Ich würde gegen mich reden, wenn ich sagen würde, dass ich keinen möchte. Aber man muss auch Realist bleiben. Wir sind in Saas-Fee. Wir sind im Wald hinten. Bei uns kommt der Fischhändler nicht dreimal am Tag vorbei, sondern nur zwei- bis dreimal in der Woche. Einen weiteren Stern kriegen ist das eine, ihn halten können das andere. Ich glaube, dass wir mit unseren 18 Punkten und unserem einen Stern ganz gut bedient sind. Ich werde von Gästen und Kollegen oft gefragt, wieso wir keine zwei Sterne haben. Diese Frage ist mir viel lieber als die, warum wir zwei Sterne haben.

Ein Zwei-Sterne-Restaurant ist auch nicht immer gleich ein Zwei-Sterne-Restaurant.

Wenn ich etwas am Michelin-System ändern dürfte, würde ich sagen: Vergebt doch bitte auch vier und fünf Sterne. Dann haben die, die derzeit drei Sterne haben, fünf Sterne. Damit eine Messung in kleineren Schritten möglich ist. Schließlich gibt es genügend Köche, die für zwei Sterne eigentlich gut genug wären, aber aus irgendeinem Grund trotzdem nur einen Stern haben. Aber die drei Sterne haben nun mal Tradition, daran wird sich nichts ändern.

Wann haben Sie aufgehört, Angst vor Restaurantkritikern zu haben?

Man darf das nicht als Angst bezeichnen. Ich habe den Schweizer Gault-Millau-Chef Urs Heller mal gefragt, wie er das macht. Wenn er in ein Restaurant kommt, erkennen ihn die Leute und wissen, dass der Gault Millau da ist. Er antwortete mir, dass das doch gut sei. Denn niemand kann von einer Minute auf die andere plötzlich besser kochen, nur weil ein Kritiker im Haus ist. Mir wäre es am liebsten, gar nicht zu wissen, dass ein Kritiker da ist. Wenn der Chef nervös wird, wird die Küche auch nervös. Das zieht sich durch und sollte deshalb tunlichst vermieden werden.

Viele Köche sagen, dass man so viele Stationen wie möglich durchwandert haben soll im Laufe seiner Karriere. Können Sie diese Ansicht teilen?

Nur bedingt. Wenn ich noch mal 20 Jahre alt wäre und wir hätten das Fletschhorn nicht, oder das Fletschhorn wäre nur eine Übergangslösung gewesen, dann würde ich das auch so machen. Ein Jahr hier, ein Jahr dort, einmal bei den besten Köchen arbeiten. Das heißt aber nicht automatisch, dass ich am Schluss dann auch ein Spitzenkoch bin. Ich kann von überall die besten Rezepte haben, ohne, dass es gut wird. Es wäre schön, wenn es ein Handbuch gäbe "Wie werde ich Drei-Sterne-Koch". Es gibt ja quasi ein Rezept: Kaufe die besten Produkte ein, kaufe die schönsten Teller, mach das schönste Restaurant, investiere so viel wie möglich in den Service – es gibt schon Möglichkeiten. Aber die hundertprozentige Lösung gibt es nicht.

Wie bilden Sie sich weiter?

Sicherlich nicht mit Kochsendungen. Ich gehe auch nicht meine vielen Kochbücher durch und wähle dann einzelne Rezepte aus, die ich probieren möchte. Neue Gerichte für die Karte kommen mir beim Spazierengehen im Wald in den Sinn. Oder wenn Gäste bei ihrem vierten Besuch etwas Neues wünschen, weil sie die anderen Speisen bereits kennen. Viele Gerichte sind aus der Not entstanden, dass man entweder bestimmte Zutaten nicht hatte oder bereits vorhandene Speisen satt hatte. Dass an einem Gericht drei Wochen lang herum probiert wird und allen möglichen Leuten zum Testen gegeben wird – das kann ich nicht. Es gibt Gerichte auf der Karte, die ich nie probiert habe.

Wie verschnörkelt darf Sterne-Küche sein?

Der Gast soll essen und Spaß dabei haben. Wenn ich am Abend das Licht ausmache im Speiseraum, sollte man sagen können "oh, das war Hummer" und "lecker, Pilze". Dass man den Punkt von der linken unteren Seite des Tellers mit der Kreation am rechten oberen Rand des Tellers zusammen essen muss, damit es schmeckt, halte ich für etwas übertrieben. Wir wollen doch den Gast nicht stressen.

Kann man die Zunge geschmacklich überfordern?

Ja, auf jeden Fall. Wenn man Dinge miteinander kombiniert, die einfach nicht zusammenpassen. Oder so viele Komponenten wie möglich auf den Teller bringen will und der Gast einfach nicht mehr weiß, was er gegessen hat. Man kann Sachen zu Tode kochen.

Kann ein Markus Neff in einer solch komplizierten Welt des Kochens und Essens überhaupt noch ein Lieblingsgericht benennen?

Es hätte vermutlich irgendetwas mit daheim zu tun, ein Essen mit österreichischen Wurzeln. Aber es wäre sicherlich kein Luxusprodukt. Am liebsten esse ich etwas Bodenständiges. Etwas, hinter dem viel Arbeit steckt, vielleicht etwas Geschmortes. Es muss etwas sein, bei dem jemand wirklich gekocht hat. Zu einem Geburtstag haben wir neulich eine Gulaschsuppe gekocht. Das war wunderbar, denn sowas habe ich einfach schon sehr lange nicht mehr gegessen.

Vermutlich finden Sie privat aber eher weniger Zeit zum Kochen.

Wenn wir hier nach vier Monaten Durcharbeiten mit sieben Tagen die Woche und zehn, zwölf Stunden am Tag, schließen, ist der erste Weg sicherlich nicht in ein Restaurant. Es muss eine Woche im Jahr geben, in der ich einfach nur zu Hause ein Stück Brot mit Wurst esse.

Welcher war der bisher bewegendste Moment Ihrer Laufbahn?

Das ist schwierig. Die Ernennung zum "Koch des Jahres" war solch ein Moment. Da haben Radiostationen angerufen, die noch nie etwas von mir und ich noch nie von ihnen gehört hatten. Der Wirbel war riesig. Auch die Übernahme vom Fletschhorn könnte man hervorheben. Der Moment, in dem das alles plötzlich dir gehört und du nicht mehr nur die Verantwortung für die Küche, sondern für das gesamte Werk hast.

Wer Markus Neffs Kochkünste selbst testen und erleben möchte, kann auf der Seite des Waldhotel Fletschhorn einen Tisch reservieren oder das Essen via Halbpension zum Hotelaufenthalt dazu buchen. Weitere Informationen zur Ferienrepublik Saas-Fee finden Sie bei Saas-Fee Tourismus.

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