Berichte aus China über die Häufung von Lungenentzündungen bei Kindern schürten unlängst Ängste vor einer neuen Pandemie. Einer der Erreger nimmt auch in Europa wieder zu. Es handelt sich um sogenannte Mykoplasmen. Was verbirgt sich dahinter?

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In Europa ist derzeit ein Anstieg von Lungenentzündungen zu verzeichnen – etwa in der Schweiz, Frankreich, Dänemark und auch in den Niederlanden.

Das Netherlands Institute for Health Services Research (NIVEL) in Utrecht berichtet, dass 130 von 100.000 Kindern zwischen 5 und 14 Jahren in der 47. Kalenderwoche an einer Lungenentzündung erkrankt seien. In der Woche davor waren noch 80 von 100.000 Kindern betroffen. Und auch bei den 0- bis 4-Jährigen setzte sich der Anstieg fort, von 155 auf 164 pro 100.000. Die Zahlen sind auch im Vergleich zu vorpandemischen Jahren deutlich gestiegen. Bisher teilten offizielle Stellen keine Ursache hinter diesen Erkrankungen mit.

Auch in Dänemark nahmen die Lungenentzündungen zu – und hier gibt es belastbare Aussagen zur Ursache. Das dänische Statens Serum Institute (SSI) teilte vergangene Woche mit, dass Infektionen mit Mycoplasma pneumoniae (MP) ein epidemisches Ausmaß erreicht hätten. Der Anstieg der Infektionen mit diesen Bakterien hatte schon im Sommer begonnen, verstärkte sich in den letzten fünf Wochen jedoch deutlich, heißt es in der Erklärung.

"In Woche 47 wurden 541 neue Fälle einer MP-Infektion festgestellt, das ist mehr als das Dreifache seit Woche 42, als die Zahl der festgestellten Fälle bei 168 lag. Die tatsächliche Zahl der Fälle liegt wahrscheinlich viel höher, da nicht jeder mit leichten Symptomen getestet wird", heißt es in der Mitteilung der dänischen Behörde.

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Steigende Infektionszahlen nicht überraschend

"Tatsächlich sind auch in weiteren Ländern steigende Infektionszahlen nachgewiesen worden. Das kommt insofern nicht überraschend, da die Inzidenzen aufgrund der Maßnahmen während der Pandemie fast zum Erliegen gekommen sind", ordnet Roger Dumke vom Konsiliarlabor des Robert-Koch-Instituts für Mykoplasmen das aktuelle Geschehen ein. Daher sei wegen der Abnahme der Menge spezifischer Antikörper ein Anstieg erwartbar gewesen. Das sei zu dieser Jahreszeit auch nicht ungewöhnlich.

"Mykoplasmen-Infektionen treten in Wellen auf, wobei die Krankheit diejenigen Bevölkerungsgruppen befällt, die noch keine Immunität aufgebaut haben. Daher ist es auch eine typische Erkrankung, die bei Schulkindern im Alter von 6 bis 12 Jahren auftritt", erklärt die leitende Forscherin Hanne-Dorthe Emborg vom Statens Serum Institut.

Die letzte Epidemie ereignete sich demzufolge in Dänemark zwischen 2015 und 2018, als es in drei aufeinanderfolgenden Saisons zu hohen Inzidenzen kam. Auch in den Jahren 2019 bis 2020 – unmittelbar vor der Covid-19-Pandemie – gab es hohe Fallzahlen. Während der Pandemie sanken die Fallzahlen aufgrund der Shutdowns jedoch auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau. Dänemark hätte auf ansteigende Infektionszahlen "gewartet, seit wir das Land nach der Covid-19-Pandemie geöffnet hatten", so die Forscherin.

China: Bedenklich viele Infektionen bei Kindern

Das Meldesystem Promed, das weltweit Krankheitsausbrüche überwacht, warnte am 21. November vor einer Epidemie von Lungenentzündungen bei Kindern in China. Kinderkrankenhäuser in Peking, Liaoning und anderen Orten mit kranken Kindern seien überfüllt und Schulen und Klassen würden kurz vor der Schließung stehen, heißt es in der Nachricht.

Auf einer Pressekonferenz am 13. November 2023 hatten auch chinesische Behörden der Nationalen Gesundheitskommission davon berichtet. Sie führten den Anstieg auf die Aufhebung der Covid-19-Beschränkungen und darauf zurück, dass die Gesundheitssysteme aktuell überlastet seien, unter anderem weil sich bekannte Erreger wie Influenza, SARS-CoV-2, RSV und Mycoplasma pneumoniae besonders stark und besonders unter Kindern ausbreiten, die wegen der Pandemie-Situation jetzt erstmals mit ihnen in Berührung kommen würden.

Was sind Influenza, RSV und Mycoplasma pneumoniae?

  • Die echte Grippe, auch Influenza genannt, ist eine akute Krankheit der Atemwege. Sie ist eine ernsthafte, mitunter auch lebensbedrohliche Krankheit, die durch Grippeviren ausgelöst wird. Die Grippeimpfung schützt gegen die Influenza.
  • Das Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) ist ein Erreger von akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege in jedem Lebensalter. Er gilt als einer der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen, insbesondere Frühgeborenen und Kleinkindern.
  • Auch Infektionen mit Mycoplasma-pneumoniae-Bakterien sind weltweit verbreitet und vor allem bei Kindern häufige Ursache einer Tracheobronchitis, also einer gleichzeitigen Entzündung der Schleimhäute in der Luftröhre und den luftleitenden Anteilen der Lunge, oder einer ambulant erworbenen atypischen Lungenentzündung.

Der Weltgesundheitsorganisation WHO genügte diese Erklärung nicht. Sie hatte China am 22. November offiziell aufgefordert, detaillierte Informationen über den jüngsten Anstieg von nicht näher diagnostizierten Atemwegserkrankungen weiterzugeben. Dazu gehören unter anderem genaue Patientenzahlen und die Laborergebnisse der erkrankten Kinder, hieß es in einer Mitteilung der WHO. Außerdem forderte die WHO weitere Angaben zu aktuellen Trends der bekannten Krankheitserreger von Influenza bis SARS-CoV-2.

Am 23. November lieferten die chinesischen Gesundheitsbehörden die angeforderten Daten zu den Atemwegserkrankungen. Demnach gehe die Häufung auf mehrere bekannte Erreger zurück, darunter Influenza-Viren und Mykoplasmen-Bakterien. "Die Daten deuten auf einen Anstieg der ambulanten Arztbesuche und Krankenhauseinweisungen von Kindern aufgrund einer Mycoplasma-pneumoniae-Lungenentzündung seit Mai und RSV, Adenovirus und Influenzavirus seit Oktober hin", schrieb die WHO dazu auf X. Einige dieser Anstiege erfolgten früher in der Saison als in der Vergangenheit, seien jedoch angesichts der Aufhebung der Corona-Beschränkungen, wie sie in anderen Ländern ähnlich erlebt wurden, nicht unerwartet.

Die WHO rief die Menschen in China zu schützenden Maßnahmen auf, um sich nicht anzustecken und eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Darunter nannte sie unter anderem, sich impfen und testen zu lassen, Maske zu tragen, Abstand von Kranken zu halten, für gute Belüftung zu sorgen, bei Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben und sich regelmäßig die Hände zu waschen.

Zunehmende Antibiotika-Resistenzen können Therapie einschränken

Zur Behandlung einer Mykoplasmen-bedingten Lungeninfektion im Erwachsenenalter eignen sich Antibiotika: sogenannte Makrolide, Tetrazykline und als Reserve Fluorchinolone. Makroliden sind die Antibiotika der ersten Wahl für die Therapie bei den vorrangig betroffenen Kindern – und auch so ziemlich das Einzige, denn sowohl Tetrazykline als auch Fluorchinolone sind aufgrund der Nebenwirkungen bei Kindern nicht einzusetzen.

Bei der Auswahl von Antibiotika müssen die weltweit, insbesondere in Asien zunehmenden Resistenzen gegen Makrolide berücksichtigt werden. Die Situation hierzulande unterscheidet sich "signifikant" von China, da die Resistenz gegenüber Makroliden in der Bundesrepublik nach der letzten Erhebung bei etwa drei Prozent lag. Die durchschnittliche Rate an Makrolid-resistenten MP-Stämmen dürfte in China bei rund 90 Prozent liegen, so Roger Dumke. Es würde sogar mehrere Studien geben, die eine Resistenz-Rate von 100 Prozent ergeben hätten.

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