Babyflaschen aus Polypropylen sind weit verbreitet. Doch vor allem beim Erhitzen wird enorm viel Mikroplastik frei, wie eine neue Studie zeigt. Was bedeutet das für die Gesundheit der Kinder?
Sie sind praktisch, leicht und stabil. Doch handelsübliche Babyflaschen aus Polypropylen setzen beim Erhitzen und Schütteln große Mengen Mikroplastik frei. Beim Einsatz solcher Produkte nähmen Babys in den ersten zwölf Monaten pro Tag durchschnittlich knapp 1,6 Millionen Partikel auf, berichten irische Forscher im Fachblatt "Nature Food". In einem "Nature"-Kommentar schreibt der Mediziner Philipp Schwabl von der Uniklinik Wien, die Resultate klängen alarmierend, die gesundheitlichen Folgen solcher Mengen müssten aber noch geklärt werden.
Die Belastung von Menschen weltweit mit Mikroplastik - gewöhnlich definiert als Teilchen mit einem Durchmesser unter fünf Millimetern - wird wegen möglicher gesundheitlicher Folgen mit Sorge beobachtet. Mikropartikel seien im Stuhl von Menschen nachgewiesen und könnten möglicherweise zu Störungen der Darmflora oder des Fettstoffwechsels führen, schreibt das Team um Liwen Xiao vom Trinity College Dublin. Womöglich könnten winzige Teilchen sogar die Blut-Hirn-Schranke passieren und das Gehirn beeinflussen, spekulieren sie.
Bisher habe sich die Forschung auf Mikroplastik-Quellen in Wasser und Lebensmitteln konzentriert und den direkten Eintrag aus Plastikbehältern vernachlässigt. Nachgewiesen ist demnach, dass etwa Teebeutel und Flaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) bei normalem Gebrauch Mikroplastik abgeben. Das meiste in menschlichem Stuhl gefundene Mikroplastik stamme allerdings von Polypropylen (PP), schreiben die Autoren. Auf welchen Wegen dieser vielgenutzte Kunststoff, der auch für Lebensmittelbehälter eingesetzt wird, in den Körper gelangt, sei weitgehend unklar.
Babyflaschen setzten bei Test enorm viele Plastikteilchen frei
Nun untersuchten die Materialforscher und Chemiker handelsübliche PP-Babyflaschen verschiedener Marken im täglichen Gebrauch. In Deutschland haben die zehn getesteten Produkte einen Marktanteil von rund 72 Prozent.
Beim Vorgehen hielt sich das Team an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Zunächst sterilisierten sie die Flaschen fünf Minuten lang mit 95 Grad Celsius heißem Wasser. Danach füllten sie - als Ersatz für die Babynahrung - etwa 70 Grad warmes destilliertes Wasser ein und schüttelten die Flasche dann 60 Sekunden. Nach dem Abkühlen gossen sie das Wasser durch einen Filter mit einer Porengröße von 0,8 Mikrometern (Tausendstel Millimeter) und analysierten anschließend dessen Inhalt per Raman-Spektroskopie.
Bei den vollständig aus PP gefertigten Flaschen fanden sie pro Liter zwischen 1,3 und 16,2 Millionen Mikropartikel. Bestand nur Zubehör der Flasche aus dem Kunststoff, waren es noch zwischen 70.000 und 270.000 Mikropartikel. Die Menge der gemessenen Teilchen war in der Flasche um den Faktor 1000 bis 100.000 größer als im ursprünglich verwendeten Wasser.
Temperatur entscheidet über Menge der Mikropartikel
Weitere Experimente zeigten, dass die Zahl der Mikropartikel vor allem von der Temperatur abhängt: In einer PP-Flasche lag die Menge der Teilchen nach Erhitzen auf 95 Grad Celsius um etwa den Faktor 100 höher als bei 25 Grad - 55 Millionen im Vergleich zu 600.000. Auch das Schütteln verstärkte die Freisetzung von Teilchen.
Im nächsten Schritt schätzten die Forscher die jährliche Aufnahme an Mikropartikeln während der ersten 12 Lebensmonate eines Kindes für 48 Länder und Regionen - unter Berücksichtigung der jeweiligen Stillraten sowie des Marktanteils von PP-Produkten an Babyflaschen: Im Mittel liegt die tägliche Aufnahme demnach bei knapp 1,6 Millionen Mikropartikeln. Allerdings hängt sie stark von der Weltregion ab und reicht von knapp 530.000 in Afrika über knapp 900.000 in Asien bis zu 2,6 Millionen in Europa.
Für Deutschland, Österreich und die Schweiz gehen die Forscher von 1 bis 2 Millionen Mikropartikeln pro Tag aus - deutlich weniger als etwa in Frankreich, Großbritannien, Italien und Polen. "Der auffällige Unterschied in der jeweiligen Belastung hängt mit Unterschieden im Stillen und der Nutzung für PP-Produkten oder anderen Produkten zusammen", erläutert das Team. Zum Vergleich: Bisher ging man davon aus, dass Erwachsene pro Tag etwa 600 Partikel Mikroplastik aufnehmen.
Wasserkocher aus PP im Haushalt können Werte steigen lassen
Das Maximum erreiche ein Kleinkind im Alter von 5 bis 6 Monaten, wenn der Appetit schon relativ groß sei, aber noch kaum Beikost zugefüttert werde. Die Forscher betonen, dass die Werte noch deutlich steigen, wenn zusätzlich etwa Wasserkocher aus PP genutzt werden. In Großbritannien haben solche Produkte aus diesem Material demnach einen Marktanteil von 91 Prozent. Hier würden bei einem Kochvorgang rund 10 Millionen Mikropartikel freigesetzt, schreibt das Team unter Verweis auf frühere Studien. Auch die Nutzung von Mikrowellen zum Wasserkochen, die ungeachtet aller Warnungen vielerorts gängig sei, könne die Belastung deutlich steigern.
Lediglich als Randnotiz merken die Forscher an einer Stelle an, dass sie bei einem Produkt in einem Liter Wasser - zusätzlich zum Mikroplastik - Billionen Nanoteilchen mit einem mittleren Durchmesser von 100 Nanometern (Millionstel Millimetern) gefunden hätten.
Der Wiener Gastroenterologe Schwabl betont in seinem "Nature"-Kommentar, die Studie sei ein "wichtiger Meilenstein" und rufe nach weiteren Untersuchungen dazu, wieviel Mikroplastik generell aus Kunststoffbehältern frei wird - insbesondere bei thermischer und mechanischer Beanspruchung. Die Arbeit zeige, dass Polypropylen-Produkte - ebenso wie viele Teebeutel und andere Produkte - nicht Temperatur-resistent seien.
"Das hier vorgestellte Ausmaß der Mikroplastik-Belastung mag alarmierend klingen, aber die tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern müssen weiter untersucht werden, da die Folgen von Mikro- und Nanoplastik auf die menschliche Gesundheit bislang kaum verstanden sind", so Schwabl. Bisher gehe man davon aus, dass der Großteil solcher Partikel den Verdauungstrakt durchlaufe und wieder ausgeschieden werde. Allerdings könne es von Größe und elektrischer Ladung abhängen, ob Stoffe etwa von Zellen aufgenommen würden oder nicht.
"Plastik könnte mit dem Mikrobiom wechselwirken und als Träger chemischer Zusatzstoffe (wie zum Beispiel Bisphenol A) dienen, die möglicherweise entweichen", schreibt Schwabl weiter. Letztlich könnten Studien dazu beitragen, die Regeln für die Produktion und Strapazierfähigkeit von Babyflaschen und anderen Lebensmittelbehältern zu verbessern.
Besser auf Glasflaschen umsteigen
Eleonore Fröhlich von der Medizinischen Universität Graz wertet die Resultate als "Zeichen für die mangelnde Temperaturresistenz von Plastik". Sie verweist darauf, dass die Aufnahme solcher Partikel auch von der Größe abhänge. Beunruhigend finde sie die Bemerkung der Forscher zum Fund von Billionen Nanopartikeln.
"Partikel in einem Größenbereich zwischen 50 bis 200 Nanometern können die Darmwand sehr gut passieren und stellen dadurch eine weit höhere Belastung des Organismus dar als Mikropartikel, welche größtenteils mit dem Stuhl ausgeschieden werden", betont Fröhlich. Zudem seien Nanopartikel durch ihre größere Oberfläche wesentlich reaktiver als Mikropartikel und könnten Studien zufolge Epithel- und Immunzellen schädigen.
"Wir wollen Eltern nicht ohne Grund beunruhigen, vor allem weil wir wenig über die möglichen Folgen von Mikroplastik für die Gesundheit von Kleinkindern wissen", sagt Ko-Autor John Boland vom Trinity College Dublin. "Aber wir rufen politische Entscheidungsträger auf, die derzeitigen Empfehlungen für die Zubereitung von Babynahrung bei der Nutzung von Plastikflaschen zu überdenken. Es ist möglich, das Risiko für die Aufnahme von Mikropartikeln zu senken, wenn man die Praxis der Sterilisation und Zubereitung ändert."
Die Forscher raten im Wesentlichen dazu, möglichst alle Schritte zu vermeiden, bei denen PP-Babyflaschen thermischer und mechanischer Belastung ausgesetzt sind, und nur fertige und abgekühlte Kost in die Flaschen zu füllen. Zwar müsse man die Flaschen regelmäßig sterilisieren. Danach solle man sie aber mehrmals mit kühlerem Wasser ausspülen.
Unabhängig davon betont die Grazer Forscherin Fröhlich, dass Glasflaschen eine Alternative zu Plastikprodukten sein können. (Walter Willems/dpa/kad)
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